Für alle, die sich so lange geduldet haben und diese Geschichte trotz meiner echt miserablen Schreibgeschwindigkeit mitverfolgen.
Lebensmotto eines Verrückten
JolinaAuf wackligen Beinen latschte ich aus der Umkleidekabine. Meine feuchten Haare tropften meinen Rücken nass – aber kein durchnässtes T-Shirt der Welt hätte mich meine Dusche bereuen lassen können. Meine brennenden Muskeln unter dem heißen Wasser zu entspannen, war das schönste Erlebnis meines Lebens gewesen. Na gut, vielleicht nicht das schönste aller Erlebnisse, aber es kam auf jeden Fall in die Top Ten.
„Müde Arme?", fragte Lane, der wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht war. „Wenn es nur die Arme wären", jammerte ich und er lachte, was wiederum mich zum Lachen brachte. Nachdem unser Lachen verstummt war, gingen wir still nebeneinander her. Wir passierten die kaum befahrene Straße und folgten dem Bürgersteig in Richtung der Hochschule. Elenora lächelte mir von Weitem zu und streckte die Daumen ermunternd nach oben. Ich erwiderte die Geste und war nicht minder stolz auf mich, dass ich Lane (bis jetzt) noch nicht verjagt hatte, wie es sonst meine Art war. Vielleicht konnte ich mich tatsächlich bessern.
„Was hat dich eigentlich hierher verschlagen?", durchbrach er die Stille. „Ein Stipendium", antwortete ich. Hastig fügte ich einen kompletten Satz an, damit er sich durch die Satzfragmente nicht vor den Kopf gestoßen fühlte: „Ich habe in Europa an einem Casting für Schauspielstipendien teilgenommen, an dem verschiedene Talentsucher von den unterschiedlichsten Schulen vertreten waren – und hier bin ich."
„Das klingt aufregend", gab Lane anerkennend zu. „Was ist mit dir?", wollte ich im Gegenzug wissen. Er zuckte mit den Schultern. „Nun, meine Geschichte ist nicht ganz so ausgefallen. Ich bin hier aufgewachsen und durch meine Mom, die damals auf den Bühnen zu sehen war, bin ich ins Theater hineingewachsen. Seit ich sprechen kann, möchte ich an dieser Schule studieren. Glücklicherweise konnte ich mir einen Platz ergattern."
„Deine Mom ist Schauspielerin?", fragte ich nach. Also ich fand seine Geschichte ganz und gar nicht langweilig. Im Gegenteil. „Sie war eine. Nicht besonders weit bekannt, aber hier in der Umgebung hatte sie doch einige Auftritte." Er lächelte melancholisch. Als würde er an eine Zeit denken, die längst vorbei ist. Unsicher spielte ich mit den Zotten an meiner Tasche. „Das tut mir leid", murmelte ich. Überrascht löste sich sein nachdenklicher Gesichtsausdruck auf. „Was tut dir leid?"
„Du hast gesagt, dass sie eine Schauspielerin war. Nun, da dachte ich... Naja, dass sie verstorben ist", stotterte ich. Lane lachte froh. Dass ein Mensch überhaupt so viel lachen konnte. „Nein, nein. Sie erfreut sich bester Gesundheit. Sie gibt nur keine Auftritte mehr, sondern konzentriert sich auf ihre Karriere als Psychologin." Mir war überhaupt nicht klar, weshalb jemand seine Schauspielkarriere an den Nagel hängte, um Psychologin zu sein, aber ich quittierte seine Erklärung mit einem Nicken.
Trotzdem schien er meine Verwirrung wahrzunehmen, denn er hob die Hände an und meinte: „Ich versteh ihre Beweggründe auch nicht. Ich bin nicht mal sicher, ob sie diese Entscheidung versteht." Er zwinkerte mir zu. „Von einem Tag auf den anderen beschloss sie keine Schauspielerin mehr zu sein und so kündigte sie kurzerhand ihrem Agenten, lehnte alle Aufträge ab und absolvierte ein Psychologiestudium. Mittlerweile hat sie ihre eigene Praxis eröffnet und könnte nicht glücklicher sein mit ihrer Arbeit."
Ich wusste nicht recht, was man auf eine ehemalige Schauspieler-Mutter erwiderte, die zur Psychologin konvertiert war. Glücklicherweise wechselte Lane das Thema, bevor ich mich zu einer Antwort gezwungen sah. „Hast du dich in meiner Stadt gut eingelebt?" Ich zog die Augenbrauen hoch. „Deiner Stadt? Ich wusste nicht, dass dir die ganze Stadt gehört." Er grinste schief. „Dann muss sich das Empfangskomitee verlaufen haben. Ich werde das selbstverständlich nachholen!" Ich wartete auf das versprochene Empfangskomitee, doch nichts geschah. „Äh und wann?", fragte ich letztlich. „Geduld", meinte er nur verschwörerisch und mir wurde leicht mulmig zumute.
Um meine Unsicherheit zu überspielen, beantwortete ich seine eigentliche Frage. „Nun, ich habe mich ganz gut in deiner Stadt eingelebt. Durch die vielen Kurse hatte ich noch nicht so viel Zeit durch die Straßen zu streifen, neue Ecken zu entdecken und zu hoffen, dass ich den Nachhauseweg finde, aber langsam habe ich mehr oder weniger den schnellsten Weg zur Hochschule raus. Sobald ich ein Geschäft gefunden habe, in welchem ich die grauen Lumpen von Bettlaken ersetzen kann, bin ich eingerichtet", erklärte ich stolz.
„Wenn du willst, zeige ich dir, wo du allerlei Bettlaken findest. Ich kenne das perfekte Geschäft!", meinte er fast beiläufig. Ich glaubte erst, er wolle mich nur hochnehmen, aber in seiner Stimme schwang kein Anzeichen einer Lüge mit. Ein Teil in mir wollte seine Hilfe ablehnen. Dieser Teil hatte noch immer seine Mühen fremde Hilfe anzunehmen. Glücklicherweise siegte die andere Hälfte, die zugeben musste, dass diese Stadt viel zu groß war, um auf gut Glück das richtige Geschäft zu finden. Die Hirnzellen, die mich anschrien, dass ich zusagen sollte, weil sie unbedingt mehr Zeit mit Lane-Anschmachten verbringen wollten, ignorierte ich geflissentlich.
„Gerne", lenkte ich ein. „Wo befindet sich dein Wunder-Geschäft?" Seine blauen Augen musterten ganz unschuldig die meinen. „Sag ich dir nicht." Nach gefühlten Stunden – es konnten kaum mehr als fünf Sekunden verstrichen sein – konnte ich mich von seinem Anblick losreißen, den Blick geradeaus richten und meine Gedanken sammeln. „Du sagst es mir nicht? Aber du hast doch angeboten..."
„Ich habe nie angeboten, dir zu sagen, wo sich das Geschäft befindet", fiel er mir ins Wort. „Ich sagte, ich würde dir zeigen, wo du allerlei Bettlaken findest." Ungläubig starrte ihn an. „Du willst mich begleiten, um Bettlaken zu kaufen", fasste ich zusammen. „Genau", grinste er. „Diesen Samstag hätte ich Zeit." Ich schüttelte den Kopf. „Du hast sie nicht mehr alle." Er lachte fröhlich auf. „Kann schon sein, aber wen kümmert das schon? Sich anzupassen ist langweilig, da bin ich lieber ein bisschen verrückt. Oder wie du so schön sagtest: Dann habe ich lieber nicht mehr alle!"
Ich stimmte ihn sein Lachen ein, da ich darauf nichts zu erwidern wusste. Dieses Mal war mein Lachen aber nicht mehr so leicht, nicht mehr so echt. Immerhin war ich wohl gerade diese Art angepasster Langweiler, die versuchten ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und dabei vermieden mit allem und jedem zusammenzustoßen. Wie so oft wünschte ich mir, ich wäre ein bisschen mutiger, ein bisschen eigensinniger, ein bisschen verrückter.
„Komm, wir verlieren noch den Anschluss zu den anderen", meinte Lane und zog mich an der Hand vorwärts. Hatte ich Sekunden zuvor noch über mein langweiliges Ich gegrübelt, so waren alle trüben Gedanken wie weggeblasen. Genau genommen nicht nur alle trüben Gedanken, sondern alle anderen, die nicht „Seine Hand fühlt sich perfekt in meiner an" oder „Reiß dich zusammen, du hormongesteuerter Idiot" lauteten.
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Jaune Canari
Novela JuvenilJolina ist eine junge Frau mit dem grossen Traum die Bühnen für sich zu erobern. Ihre Wünsche scheinen schon fast in greifbarer Nähe zu sein, als sie das Stipendium für eine der renommiertesten Kunsthochschulen gewinnt. Dass sie dafür ihre Familie v...