Wir hatten völlig die Zeit vergessen, und kamen nur geradeso noch rechtzeitig, zur Nachmittagstherapie. Ich sah wie Mik neben mir staunte, als er den Raum voller Materialien in Augenschein nahm. In den hohen Regalen an den Wänden stapelten sich Krepppapier, Linolium, Öl- und Acylfarben in alle Schattierungen, Wellpappe, Leinwände... von einigen Dingen wusste ich nicht mal den Namen. Es sah aus als hätte diese Kureinrichtung einen ganzen Kunstbedarfsladen leergekauft.
„Ihr habt jetzt drei Stunden Zeit hier frei zu arbeiten!" erklärte die Dame gerade, die uns gerade noch einen skeptischen Blick zugeworfen hatte, als wir in letzter Sekunde in den Raum gehuscht waren. „In 180 Minuten, sind treffen wir uns mit ihren Werken im Nebenzimmer und sprechen über das Entstandene. Ich bin aber die ganze Zeit hier, falls sie fragen haben. Sie können alles verwenden, was sie hier sehen. Ich mache keine Vorgaben, außer der, dass ihr Werk ihre derzeitige emotionale Lage wiederspiegeln sollte, in welcher Form auch immer, und dass sie bitte heute versuchen fertig zu werden. Das nächste Mal wollen wir uns einem neuen Projekt widmen!"
Da meine Arbeit noch nicht mal unbedingt besprochen wurde am Ende, schnappte ich mir einfach eine Leinwand, und begann mit den verschiedensten Farben und Pinseln herum zu probieren. Mik hatte sich mehr Gedanken gemacht. Er skizzierte bereits ein Bild auf einem Stück Papier, hatte sich aber ebenfalls eine Leinwand ausgesucht, die er gleich mit Leben und Emotionen füllen wollte.
Ich sah mich im Raum um, und stellte fest, dass einige der Kursteilnehmer Speckstein bearbeiteten, andere Pappe zuschnitten und wiederandere einen Klumpen Ton mit den Händen kneteten. Ein paar Standen aber immer noch verloren im Raum, gingen von Regal zu Regal und schienen mit der Aufgabe überfordert. Eine von ihnen war Tess. Sie stand inmitten der Regale, starrte auf einige Styroporkugeln und sah dabei so traurig und verloren aus, dass ich instinktiv nach der Therapeuten Ausschau hielt, doch diese half gerade einer anderen Patientin dabei, einen Gipsabdruck ihres Gesichtes zu machen. Ich stubste Mik vorsichtig an und deutete stumm auf Tess.
„Wie es aussieht, hat sie keinen Schimmer, was sie hier überhaupt macht.", sagte ich leise zu ihm und er seufzte.
Ohne zu zögern ging Mik zu ihr rüber. Ich konnte von hier aus nicht hören, was er zu ihr sagte, doch an ihrem zaghaften Lächeln sah ich, dass es wohl das Richtige gewesen war. Ich sah dabei zu, wie er mit ihr ein paar Fächer weiter ging und ihr dann scheinbar verschiedene Dinge zeigte, die sie für ihr Projekt nutzen konnte. Ich verwarf meine erste Leinwand, und begann eine Neue, während Mik eine ganze Weile bei Tess verbrachte, Farben auswählte und gemeinsam mit ihr eine Skizze ausarbeitete.
Als er schließlich wieder neben mir war und nun, schneller, da er Zeit eingebüßt hatte, begann seine Idee umzusetzen, sah ich ihn von der Seite her an und versuchte zu ergründen, was in ihm vorging. Er stand da an seiner Leinwand, konzentrierte sich und wirkte völlig unverändert. Ich raffte es einfach nicht.
„Du weißt schon, dass du grade freiwillig auf eine fremde Person zugegangen bist... und geschlagene 12 Minuten mit ihr geredet hast?" fragte ich ihn, mit einem Blick auf die Uhr, was ihn schmunzeln ließ.
„Es ist komisch, aber es hat sich angefühlt, als hätte ich mit einer jüngeren Version von mir selbst gesprochen. Sie hat so einsilbig geantwortet. Aber irgendwie mag ich sie. Ich glaube bei ihr ist es nicht so schlimm wie es bei mir noch bis vor kurzem war. Trotzdem zeigt sie die gleichen Verhaltensmuster. Ich weiß, wie ich sie daraus locken kann!", sagte er und ich musste schmunzeln. Ich konnte nicht anders, als einen Arm um ihn zu legen, was dazu führte, dass sein Pinsel abrutschte.
„Hey!" beschwerte er sich, doch das war mir grad egal. Ich umarmte ihn überschwänglich und riss ihn dabei von den Füßen, was dazu führte, dass er sich an mich klammern musste, um nicht umzufallen. Ich hielt ihn fest im Arm, vergrub mein Gesicht in seinem Haar und genoss einfach diesen kurzen Glücksmoment. Als wir bemerkten, dass nahezu Jeder von seiner Arbeit aufsah um uns anzuschauen, lockerte ich schließlich meine Umklammerung und gab ihm noch einen flüchtigen Kuss, bevor ich mich wieder meiner Arbeit widmete.
Ich hatte kurz einen Eifersüchtigen Stich gespürt, als Mik so lange mit Tess geredet hatte. Schließlich war ich immer der Einzige gewesen, dem er sich wirklich geöffnet hatte, mit dem er wirklich in Kontakt stehen wollte. So war ich für ihn immer etwas Besonderes gewesen. Was war, wenn ich jetzt nicht mehr diese besondere Person für ihn war? Doch genauso schnell wie diese Gedanken sich in mein Bewusstsein einschlichen, so schnell hatte ich sie auch wieder im Griff. Es war so toll, dass er jetzt soweit war, wieder auf andere Menschen zuzugehen. Das durfte und würde ich auf keinem Fall kaputt machen! Außerdem vertraute ich ihm absolut und bedingungslos.
Als unsere Kunstwerke schließlich fertig waren, war ich äußerst unzufrieden. Klar, es spielte keine Rolle, was ich hier zustande gebracht hatte, es ging ja eigentlich nur um Mik. Dennoch wusste ich, dass Mik mich um Längen schlagen würde. Zwar hatte er dafür gesorgt, dass ich sein Werk noch nicht vor der Fertigstellung sehen konnte, doch seinem zufriedenen Gesichtsausdruck, den er gegen Ende aufgesetzt hatte, entnahm ich, dass er mit seiner Leistung zufrieden war.
Auf meiner Leinwand befand sich ein Wirbelsturm aus bunten Farben und Lichtreflexen. Im Hintergrund war eine Landschaft angedeutet. Außerdem hatte ich versucht, in den Wirbel Gesichter mit einzuarbeiten, die man nur bei näherem Hinsehen erkennen konnte. Das war mir allerdings nur mittelmäßig gelungen. Zu meiner Verteidigung habe ich allerdings vorzubringen, dass ich Mik zwischendurch Modell stehen musste, was mich Zeit gekostet hatte. Dennoch, als er mich schließlich einen Blick auf sein Werk werfen ließ, klappte mir die Kinnlade runter. Wann hatte er das mit dem Gips gemacht?
Auf dem Bild war vorne die Marrenklinik zu sehen. Zwar stark stilisiert, doch es war unverkennbar. Im dunkler werdenden Hintergrund waren verschiedene Stationen von Miks Leben zu sehen. Ich erkannte sein Elternhaus, welches ich von Fotos kannte, ein Gebäude was wohl seine Schule sein musste, und einige heruntergekommene Häuser und Gassen, die wohl mit seiner Drogenvergangenheit einher gingen. Ich sah verschiedene Gesichter, Menschen die ihm offensichtlich mal wichtig gewesen waren, in blassen Grautönen. Gegenstände wie Spritzen, Rasierklingen und Messer, voller Blut stachen in hellen Metallischen Tönen sowie leuchtendem Rot heraus. Sonst war all das eher dunkel und blass gehalten.
Die Klinik im Vordergrund war in hellen Tönen gemalt worden und ganz am Rande, im Vordergrund stand Mik. Er sah entschlossen den Betrachter des Bildes, mich in diesem Falle, an. Neben ihm war ich zu sehen. Ich hatte einen Arm um ihn gelegt, und sah wohlwollend zu ihm rüber, den Kopf leicht ihm zugewandt.
Ein Bein von Mik war aus Gips Modelliert und ragte in einer Schrittposition aus dem Bild heraus.
Ich musste nicht auf Miks Erklärung warten um dieses wirklich gelungene Werk zu verstehen. Er hatte sich selbst gezeichnet. Wie er seine Vergangenheit hinter sich ließ und mit mir den Schritt in die Zukunft machte.
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My beloved Madman - Kostory
FanfictionMik ist seit seiner Jugend psychisch gestört. Nach einer Zeit mit Drogen, Alkohol und tätlichen Übergriffen, ließen ihn seine Eltern in eine Spezialklinik einweisen. Dass er dort lernen wird, wieder ein normales Leben zu führen, bezweifelt Mik inzwi...