Wut vs. Hoffnung

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Die zwei Wochen auf Kur verflogen so schnell, wie es die Zeit nun Mal so an sich hatte, wenn man sich amüsierte. Am Ende der beiden Kurwochen, blickten wir auf zwei grandiose Wochen zurück, voller Entspannung, Kunst und neuen Ideen. Ich hatte mich über die Zeit tatsächlich mit Tess angefreundet. Sie war zwar immer noch ziemlich zurückhaltend, aber ich war überzeugt davon, dass sie mich mochte, auch wenn sie das noch nicht so gut zeigen konnte. Am letzten Tag hatten wir Nummern und Adressen ausgetauscht und dabei festgestellt, dass wir nur fünfzig Kilometer voneinander entfernt wohnten. So würden auch künftig Besuche nicht allzu schwer fallen. Tess lebte nicht in einer Klinik. Ihr Problem wurde stationär therapiert.

Zum Abschied stellte sie sich auf die Zehenspitzen und umarmte mich vorsichtig, dabei berührte ihr Körper kaum den meinen, doch ich wusste die Geste zu schätzen. Ich kannte die Angst vor fremden Berührungen noch zu gut.

Als ich neben Kostas im Bus saß, mit einer Hand auf seinem Knie, sah ich etwas wehmütig gen Küste, die nun gleich hinter die Biegung verschwinden würde. Mein geliebtes Meer.

Aber ich war zuversichtlich, dass ich es bald wieder sehen würde. Nicht auf Kur, nicht als Patient. Sondern als Urlauber, als freier Mensch.

Kostas sah gerade auf sein Handy, lächelte, und zeigte mir dann die Nachricht die gerade eingetroffen war. Sie war von Sarah, die uns für die Postkarte dankte, die wir ihr letzte Woche geschickte hatten. Ich hatte Grüße an meine Eltern, Kostas Freunde, und sogar einer Freundin aus meiner Vergangenheit geschickt, mit der ich mir wieder Kontakt vorstellen konnte. Alles lief perfekt. Zu perfekt. Eigentlich hätte ich es wissen müssen.

Der Bus hielt an einer Raststätte, da einem der Marrenklinikpatienten schlecht geworden war. Ich hielt das zunächst für einen Vorwand, um noch nicht so bald wieder in der Klinik einzutreffen, doch als der wankende Mann aus dem Bus geführt wurde, war mir schnell klar, dass es ihm offenbar wirklich nicht besonders gut ging.

Kostas fragte nach, ob wir uns die Beine vertreten durften, während wir warteten, und der Betreuer nickte schließlich, bat uns aber in Sichtweite zu bleiben.

Wir waren schon einige Schritte gegangen, Kostas hatte sich bei mir untergehakt, da hörte ich wie sich eine Gruppe Leute die bei ihren Motorrädern standen, lautstark unterhielten.

„Was ist das denn für ne Meute?", fragte der eine gerade, und deutete auf den Bus, mit dem wir gekommen waren. Davor standen einige Patienten, einige sahen Löcher in die Luft, manche Fluchten leise, einer musste gerade beruhigt werden.

„Sind die behindert, oder was stimmt mit denen nicht?", fragte eine der Frauen.

„Ich glaube das sind Bekloppte. Also irgendwelche Psychos.", meldete sich einer der Männer zu Wort. Ich atmete tief durch. Kostas zog mich ein wenig am Arm, wollte Abstand gewinnen, doch ich war gerade genug damit beschäftigt ruhig zu atmen. Klar, ich nannte mich selbst manchmal Phycho oder Irrer, aber wenn das Wildfremde taten, und sich im gleichen Atemzug noch abfällig über Behinderte äußerten, brachte das mein Blut mal wieder zum Kochen.

„Was starrt der mich so an?", fragte plötzlich einer der Typen.

„Ja, was starrst du ihn so an?", pflichtete ein Anderer ihm bei. Ich zwang mich den Blick abzuwenden. Mit zusammen gebissenen Zähnen drehte ich mich um, lehnte mich halb gegen Kostas und lenkte meine Schritte von der Gruppe weg.

„Guck dir diese Schwuchteln an. Wollten vermutlich fragen ob einer von uns, mit aufs Klo kommen will, ihr wisst schon was ich meine..." hörte ich den einen der Männer lachen. Ich fuhr herum und sah noch die Geste die er zu seinem widerlichen Kommentar vollführte. Das reichte jetzt wirklich! Zeit denen mal eine Lektion zu erteilen!

„Ihr spinnt doch!", rief ich der Gruppe zu, die jetzt einige Meter entfernt war.

„Was soll ich mit einem von euch, wenn ich das hier habe!", rief ich und zog den verdutzten Kostas zu mir heran, und begann ihn stürmisch zu küssen. Ich klammerte mich fest an meinen Freund, küsste ihn tief und innig, und fuhr dabei provokant mit meinen Händen an seinem Körper entlang und unter sein Shirt.

Als ich mich von ihm löste, konnte ich die Gruppe irgendwas pöbeln hören, doch das war mir ganz egal. Ich schaute meinem Freund tief in die Augen. „Ich liebe dich", flüsterte ich ihm zu, bevor weiter meine Show abzog, ihn fest an mich zog, und mich langsam und lässig von der Gruppe abwandte, allerdings nicht ohne ihr meinen erhobenen Mittelfinger nochmal gezeigt zu haben.

„Solche Idioten", schimpfte ich, als wir außer Hörweite waren. Kostas sagte nichts. Er sah mich nur von der Seite her an.

„Was?", fragte ich.

„Du bist einfach unglaublich!" sagte er kopfschüttelnd. „Kannst du so bitte immer so auf blöde Kommentare reagieren? Hätte ich nichts gegen einzuwenden!", grinste er dann und küsste mich unbeschwert auf den Mund.

„Ich werde es versuchen!" sagte ich und dachte kurz über die Wut nach, die sich abermals in meinem Inneren breit gemacht hatte. Diesmal war es anders gewesen. Klar war ich wütend, doch ich fühlte mich nicht mehr gesteuert von dieser Wut. Ich war ihr nicht mehr machtlos ausgeliefert.

Wieder in der Klinik zu stehen, meine Tasche auszupacken, den gleiche Blick aus dem Fenster, wie die vergangenen Jahre...all das machte mich irgendwie traurig. Doch ich war mittlerweile zuversichtlich, dass die Tage, die ich noch hier bleiben musste, gezählt waren.

So sah das auch der Doc, als ich ihn am nächsten Tag begegnete. Er hatte zuvor mit den anwesenden Betreuern gesprochen, mit der Kurleitung telefoniert und sich die Wochen von Kostas schildern lassen. Nun war er gefühlt besser im Bilde als ich selbst.

„Marik!", sagte er, als ich in seiner Tür auftauchte.

„Doc", sagte ich, lächelte aber. „Schön sie zu sehen!" das fand ich wirklich. Immerhin war er einer der wenigen Menschen, die immer an mich geglaubt hatten.

„Ebenso, Marik. Setzen sie sich bitte."

Ich erzählte ihm noch einmal meine Version vom Kuraufenthalt und er nickte freudig bei den Einzelheiten, die ich auf seine Nachfrage hin Preisgab.

„Sie sind auf einem sehr guten Weg. Das freut mich außerordentlich. Wenn sie so weiter machen, können wir bald die Abschlussgutachter einbestellen. Ich will sie noch bis Weinachten hier raus haben!" verkündete er zum Ende des Gespräches. Bis Weinachten. Das waren grad mal vier Monate.

„Wirklich?", fragte ich. „Obwohl mein letzter Ausbruch erst vor ein paar Wochen war?"

„Hätte es den nicht gegeben, würde ich alles Notwendige bereits für nächsten Monat einleiten. Doch das darf ich unter diesen Umständen nicht. Aber wie dem auch sei... Sie sind so weit, das spüre ich! Wenn sie sich weiter so entwickeln, und keinen Rückfall mehr erleiden... dann werden sie Weinachten nicht mehr mit uns in der Klinik feiern. Darauf gebe ich ihnen meine Wort!"

Ich strahlte ihn an. Wenn das keine guten Aussichten waren, dann wusste ich auch nicht.

My beloved Madman - KostoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt