Kapitel 1

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Sams POV:

Er hat es getan. Schon wieder. Wie immer habe ich es ausgehalten. Genauer gesagt, eher über mich ergehen lassen. Und jetzt saß ich auf einer Bank in irgendeinem gottverlassenen Park und ließ all meinen Gefühlen freien Lauf. Ließ all den Tränen, die ich in der letzten Zeit schon so oft geweint hatte und die auch diesmal wieder unaufhörlich meine Wangen hinabrannen, freien Lauf.

Warum nur tat er mir das immer wieder an? Ich dachte, er liebt mich! Aber fügt man etwa einem Menschen, den man aus ganzem Herzen liebt, ein ums andere Mal körperliche und seelische Schmerzen zu und sieht genüsslich dabei zu, wie eben diese „geliebte" Person jedes einzelne Mal unter diesem Druck zusammenbricht? Mir tat es wahnsinnig weh, immer wieder daran erinnert zu werden, mich in der Person getäuscht zu haben, die mir die Welt bedeutete. In dem Mann, für den ich mich vor einigen Jahren bewusst entschieden hatte. Für den ich mein gesamtes gewohntes Umfeld inklusive meiner Freunde zurückgelassen hatte, um mit ihm in eine fremde Stadt zu ziehen. Wegen dem ich mit meinen Eltern in einem riesigen Streit auseinandergegangen war. Mit dem ich den Bund für's Leben geschlossen hatte.

Eben dieser Mann, mit dem ich mir die schönsten aller Zukunftsträume ausgemalt hatte, hatte sich in der letzten Zeit zu einem wahrgewordenen Albtraum entwickelt. Einem Albtraum, der jeden Tag aus nichts anderem bestand als Alkohol, Schlägen und sexueller Gewalt. Ja – mein Traummann (oder das, wofür ich ihn auch immer gehalten hatte) verging sich an mir tagaus, tagein auf jegliche Art und Weise, die sich kein Mensch vorstellen mag.

Wie hypnotisiert strich ich mir mit den Händen über meine Arme, die lediglich von einem dünnen Pullover verhüllt und mit unzähligen Blutergüssen übersät waren. Im Vergleich zu damals, als er angefangen hatte, mich zu schlagen, erschien mir der Schmerz mittlerweile bei Weitem nicht mehr so schlimm. Es mag sich zwar für Außenstehende verrückt anhören, aber: Das genaue Gegenteil war der Fall. Der Schmerz erinnerte mich gewissermaßen jeden Tag auf's Neue daran, dass ich überhaupt noch am Leben war und es dieser Mistkerl noch nicht geschafft hatte, mich zu Tode zu prügeln.

Plötzlich fing es an zu regnen – zunächst nur ganz leicht, aber innerhalb weniger Minuten hatte sich der Regen zu einem regelrechten Wolkenbruch entwickelt. Ich mochte den Regen. Immer wenn es regnete, fühlte es sich so an, als würden all meine Sorgen und Schmerzen von meinem Körper gewaschen werden. Und so störte es mich nicht, dass meine Kleidung mit jeder Minute, die ich hier im strömenden Regen verbrachte, immer nasser wurde, bis ich schließlich komplett bis auf die Haut durchweicht war. Ich blieb weiterhin auf der Parkbank sitzen, zog meine Knie an die Brust und blendete die Welt um mich herum aus, indem ich die Augen schloss und mich voll und ganz auf die Musik konzentrierte, die aus meinen Ohrstöpseln schallte:

„Lights will guide you home
and ignite your bones.
And I will try to fix you!"

(„Lichter werden dich nach Hause geleiten
und das Feuer in dir entfachen.
Und ich werde versuchen, dich wiederherzustellen!")

Coldplay – Fix you

Wird dieser Wunschtraum jemals in Erfüllung gehen? Wird irgendwann mal in diesem Leben eine Person in mein Leben treten, die mein Leid beendet, mich aus diesem Albtraum befreit und mir meinen Lebensmut zurückgibt? Die mich sozusagen wiederherstellt und mich wieder zu der Person macht, die ich vor vielen Jahren mal war? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort fand.

Ich war so sehr in meine Gedanken vertieft, dass ich im ersten Moment nicht mitbekam, wie sich mir eine Person näherte und schließlich vor mir stehen blieb. Ebenso konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Entferntesten ahnen, dass eben diese Person mein ganzes Leben gehörig verändern würde.

Fix youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt