Über Werwölfe, Könige und Carcharoth

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Legolas (*)
Mehrere Tage ritten wir über die Löwensteppen, bis wir schließlich die Reviere der Werwölfe erreichten. ,,Zur Furt sind es noch ein paar Meilen nach Norden", sagte ich, als wir die Pferde am Fluss tränkten. ,,Ich habe ein ungutes Gefühl", meinte Vater und ließ seinen Blick auf die Landschaft hinter dem Fluss. ,,Das hast du, seit ich dir gesagt habe, dass ich König der Werwölfe bin", entgegnete ich ein wenig genervt. Langsam war ich es leid, dass Vater mir in dieser Hinsicht nicht vertraute. Natürlich hatte er ein Stück weit Vorurteile gegenüber den Werwölfen, aber da ich ihm während unseres Ritts die wahre Geschichte über die Abwesenheit der Werwölfe während der Schlacht des letzten Bündnisses erzählt hatte, sollten eben diese mittlerweile verschwunden sein. Zumindest halbwegs. Wir ritten weiter nach Norden und überquerten den Fluss an der Furt. Außer den gedämpften Hufschlägen unserer Pferde war es totenstill. ,,Vielleicht hast du doch Recht, Vater", meinte ich und stoppte Arod. Die Ohren des Pferdes bewegten sich nervös in alle Richtungen. ,,Ohne Gimli beleidigen zu wollen: Ich glaube du hast zu viel Zeit mit sturen Zwergen verbracht", meinte Vater. ,,Still jetzt! Dafür habt ihr später Zeit", zischte meine Tante und sah sich um. ,,Seht ihr etwas?", fragte ich in Sindarin, doch alle schüttelten den Kopf. Vater schloss plötzlich die Augen. ,,Adar, was tust du da?", fragte ich verwirrt, doch er gab mir mit einem Handzeichen zu verstehen, dass ich still sein sollte. ,,Sie hatten sich wohl am Fluss versteckt. Jetzt umzingeln sie uns, ich höre ihre Schritte", sagte er nach einer Weile. ,,Was tun wir jetzt?", fragte Lessien. Jedoch kam jede Reaktion zu spät, da aus Verstecken rund um uns herum ein Dutzend Werwölfe traten. ,,Taric", sagte ich angespannt, als der Anführer aus dem Kreis vor uns trat. ,,Wir wussten, du kommst zurück, Königsmörder", sagte Taric mit dunkler Stimme. ,,Dein Vater war nicht der rechtmäßige König, weder durch sein Blut, noch durch das Gesetz", entgegnete ich. ,,Und was macht dich zum rechtmäßigen Erben?", hakte Taric spöttisch nach. ,,Ob mein Blut dafür ausreicht, weiß ich nicht, doch die alten Gesetze sind eindeutig. Ich habe die Revierspiele gewonnen, dein Vater war tot und du verschwunden. Somit wurde ich gemäß der alten Gesetze König der Werwölfe", sagte ich. Taric schwieg einen Moment und wandte sich in der fremden Sprache der Werwölfe an seine Gefolgsmänner. ,,Legolas, uns sollte schnellstens etwas einfallen. Ich weiß nicht wieso, aber ich verstehe ihre Sprache", sagte Vater in Sindarin, ,,Sie besprechen ihr weiteres Vorgehen und soweit ich das verstanden habe, soll keiner von uns die nächsten paar Minuten überleben." ,,Ich mache dir einen Vorschlag, Taric", sagte ich schließlich, nach kurzem Nachdenken. Sofort wandte sich der Werwolf mir zu. ,,Wir lassen die verfluchte Kreatur in die Arena. Der, der es vermag, sie zu zähmen, ist der wahre König", verkündete ich und erntete damit entsetzte Blicke von Lessien und meiner Tante. Selbst einige von Tarics Gefolgsmännern blickten mich ein wenig entsetzt an. ,,Bis dies geschehen ist, wird keinem etwas zuleide getan, weder von uns noch von euch", fügte ich noch hinzu, auch wenn sich bereits jetzt ein paar sorgenvolle Bauchschmerzen bemerkbar machten. Was, wenn die Loyalität der Kreatur dem wahren König gegenüber nur eine Lüge Faolans war? Doch einen Rückweg gab es nun nicht mehr. ,,Damit unterschreibst du dein Todesurteil, Elbling", knurrte Taric. Ich schluckte kurz. ,,Das liegt ganz bei der Kreatur", sagte ich.
~
In wenigen Minuten würde ich zum zweiten Mal die Arena aus Stein betreten. ,,Was auch immer das für eine Kreatur sein mag, ich bin mir sicher, du schaffst das, Junge", sagte Gimli. Er schien von allen noch der fröhlichste zu sein, soweit man das als fröhlich bezeichnen konnte. Vater, Tante Arien und Lessien sahen mich betrübt an. ,,Bist du dir sicher, dass du weißt, was du da tust?", fragte Vater. ,,Von sicher kann wohl kaum die Rede sein", antwortete ich etwas nervös. Ich wollte ihnen nicht zeigen, dass ich nervös war, doch ich schaffte es einfach nicht, diese Tatsache vollkommen zu verbergen. ,,Du weißt, was dieses Monster Arvon angetan hat", murmelte Lessien. ,,Ich weiß, aber das hier ist der einzige Weg, wie wir unversehrt bleiben", sagte ich und trat näher zu ihr. Ich nahm eine von Großvaters Zwillingsklingen hervor und reichte sie ihr. ,,Nur für den Fall, dass ich...", setzte ich an, verstummte jedoch, als sie mir einen Finger auf die Lippen legte. ,,Sag es nicht", meinte sie, ,,Sonst bringst du die Schicksalsweberin noch auf dumme Gedanken." Ich nickte und sie ließ ihre Hand sinken. ,,Danke", flüsterte sie und für den Bruchteil einer Sekunde spürte ich ihre zarten Lippen auf meiner Wange, bevor sie meinem Vater folgte, der schon etwas vorausgegangen war. ,,Versuche mit der Kreatur sanft umzugehen, mit ihr zu sprechen. Das hilft zumindest den meisten Tieren, sich etwas zu beruhigen", meinte meine Tante noch, bevor sie ebenfalls ging. Ich nahm ihre Worte nur halbwegs wahr, da mein Blick und meine Gedanken auf Lessien ruhten und dem angenehmen Gefühl der Wärme, das ihr flüchtiger Kuss auf meine Wange in meinem Herzen ausgelöst hatte. Das Knarren des Tores zur Arena riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Als das Tor sich geöffnet hatte, trat ich in die Arena, dasselbe nervöse Gefühl im Magen, wie bei den Revierspielen. Taric folgte nur wenige Augenblicke später. ,,Versuche gar nicht erst deine Angst zu verbergen", knurrte er, ,,Die rieche ich auch fünfzig Meilen gegen den Wind." Ich entschloss mich dazu, ihn zu ignorieren und sah mich in der Arena um. Alles war so, wie ich es in Erinnerung hatte: Sandiger Boden, die drei Steinsäulen in der Mitte und die Ränge der Zuschauer. Ich sah Vater, Tante Arien, Gimli und Lessien rechts von mir auf den Zuschauerrängen, links Tarics Gefolgsmänner. Durch das Tor hinter Taric und mir, wurde eine Art Käfig geschoben, in den man allerdings nicht hineinsehen konnte. Im Inneren des Käfigs hörte ich bereits das Knurren der Kreatur. ,,Dein letztes Stündchen hat geschlagen", murmelte Taric, als der Käfig geöffnet wurde und die übrigen Werwölfe sich schnell aus dem Staub machten. Ich nahm den übrigen Mithrildolch zur Hand, um mich verteidigen zu können. Die Kreatur war gerade dabei, den Käfig zu verlassen. Zuerst sah ich riesige Pranken mit scharfen Krallen, dann folgte der Kopf. Rot glühende Augen starrten uns an und spitze, messerscharfe Zähne zeigten sich, als die Kreatur bedrohlich knurrte. Als die Kreatur den Käfig komplett verlassen hatte, wurde mir erst klar, wie groß sie wirklich war. Es war ein Wolf, wie ich ihn nur aus den Geschichten des Ersten und Zweiten Zeitalters kannte. So groß, wie einige der Ponys, die ich in Bree gesehen hatte und mit einem so kräftigen Körperbau, dass man sich nur vorstellen konnte, wie schnell er seine Opfer zur Strecke brachte. ,,Ihr habt einen zweiten Carcharoth erschaffen", meinte ich zu Taric, als mir schließlich der Name des Wolfs in den Geschichten von Beren und Luthien wieder einfiel. ,,Alte Geschichten werden dir nicht weiterhelfen", entgegnete Taric. In diesem Moment entdeckte der Wolf uns und kam bedrohlich knurrend auf uns zu. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich umklammerte den Dolch in meiner Hand fester. Der Wolf setzte zum Sprung an und ich konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, sonst hätte er mich umgeworfen. Taric lachte hämisch auf, machte damit den Wolf allerdings auf sich aufmerksam. Argwöhnisch betrachtete der Wolf seinen zweiten Gegner, seine Augen schienen nach etwas zu suchen und ich meinte etwas Furcht im Blick des Wolfes zu sehen. Als der Wolf allerdings nicht das sah, was er erwartet hatte, knurrte er wütend. Taric schien es mit der Angst zu tun zu bekommen und wich zurück, allerdings brachte das wenig. Der Wolf griff ihn an und Taric wehrte sich zwar, wurde jedoch einen Moment später von einem kräftigen Hieb des Wolfs gegen eine der Steinsäulen geschleudert und blieb benommen liegen. Jetzt wandte sich der Wolf an mich, allerdings schien es nicht so, als wollte er mich angreifen. Er beäugte mich eher neugierig und kam langsam näher. Als der Blick seiner glühenden Augen jedoch auf den Mithrildolch in meiner Hand fiel, knurrte er drohend, kam jedoch nicht näher, als würde er sich fürchten. Jetzt wusste ich, dass der Wolf eigentlich geglaubt hatte diesen in Tarics Händen zu finden, schließlich hatten er und auch sein Vater den Wolf über Jahre hinweg damit in Schach gehalten. Ich ließ den Dolch fallen, um ihm zu zeigen, dass ich ihm nicht wehtun würde. Kurz zuckte der Wolf erschrocken zurück, als der Dolch mit einem leisen Klirren auf dem sandigen Boden aufkam, näherte sich mir dann aber interessiert. ,,Ich weiß, dass dir viel Leid zugefügt wurde", sagte ich so ruhig wie möglich, mich an den Rat meiner Tante erinnernd, ,,Ich verspreche dir, dass ich dir nicht wehtun werde. Niemals." Der Wolf lauschte aufmerksam und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Ich wollte weitersprechen, doch da wurde der Wolf zur Seite gestoßen. Es war Taric, der das kräftige Wesen angegriffen hatte, warum konnte ich mir momentan nicht erklären. Die beiden rangen miteinander, wodurch sich eine immense Staubwolke bildete. Irgendwann sah ich die beiden nicht mehr, hörte nur noch aggressives Knurren, doch dann wurde es plötzlich still. Mit klopfendem Herzen wartete ich darauf, dass sich die Staubwolke lichtete. Ich wusste nicht, was mich erwartete, weshalb ich als reine Vorsichtsmaßnahme den Mithrildolch wieder vom Boden aufhob. Der Staub verflog, als ein leichter Wind durch die Arena aus Stein wehte und das Bild welches sich mir und allen anderen anwesenden bot, würde sicherlich niemand so schnell vergessen. Taric lag regungslos am Boden, sein dunkles Fell blutüberströmt, von seinen unzähligen, grausigen Wunden ganz zu schweigen. Der Wolf stand über ihm mit Krallen und Zähnen rot vom Blut seines Opfers. Fest hielt ich den Dolch in meiner Hand, doch je länger mich der Wolf anstarrte, desto weniger hatte ich das Gefühl, er würde mich angreifen. Sein Blick fesselte mich, schien mich beinahe schon anzuflehen. Wieder ließ ich den Dolch fallen. In der Arena war es totenstill, man hätte eine Stecknadel auf den sandigen Boden fallen hören, ja sogar ein einzelnes Sandkorn. Dann kam plötzlich Bewegung in den Wolf. Er richtete sich auf, stieß mich mit seinen kräftigen Vorderpfoten zu Boden und sah mich dann eindringlich an. Wieder machte sich Angst in mir breit. Hatte ich die Situation falsch eingeschätzt und der Wolf würde mich ebenfalls töten? Doch dann, ganz unvermittelt, sprang das sonst so gefährliche Wesen spielerisch um mich herum und stupste mich an. Ich setzte mich auch und beobachtete ihn. Der grimmige Ausdruck in seinen Augen war völlig verschwunden. Jetzt erinnerte der Wolf mehr an einen verspielten Hund. Er blieb wieder neben mir stehen und meine Hand fuhr durch sein dichtes Fell. Es war weicher als erwartet und erinnerte mich nur noch mehr an einen zahmen Hund. ,,Du brauchst keine Furcht mehr zu haben", sagte ich leise zu ihm, ,,Und falls du mich wirklich verstehst, erlaube ich, als König der Werwölfe, dir alle, die dich jemals verletzt haben, aufzuspüren und hier zusammenzutreiben. Danach werden wir sehen, was mit ihnen geschieht." Ich sah den Wolf neben mir an, wie er mir aufmerksam lauschte. Dann nickte er mit seinem großen Kopf und wandte sich anschließend an Tarics Gefolgsmänner, die noch immer schockiert auf den toten Körper ihres Anführers blickten. ,,Bring sie her", sagte ich leise zu dem Wolf und stand auf. Der Wolf rannte zu Tarics Männern, während ich ihm hinterhersah. ,,Legolas!" Das war Lessien. Kaum eine Sekunde nachdem ich mich umgedreht hatte, stand sie schon vor mir und schloss mich fest in ihre Arme. Ich war im ersten Moment etwas überrascht, erwiderte die Umarmung aber dann. ,,Für einen Moment dachte ich, es wäre vorbei", flüsterte sie. ,,Keine Angst, mir geht es gut", sagte ich, während ich über ihre Schulter zu meinem Vater sah, der mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Argwohn musterte. Letzteres lag unverkennbar an Lessiens Umarmung ,,Das ist unmöglich! Ihr seid keiner von uns", ertönte hinter uns die Stimme eines Werwolfs. Lessien und ich lösten unsere Umarmung und ich drehte mich um. ,,Orophers Blut fließt durch meine Adern. Er war einst euer König, bevor euer Volk den Eryn Lasgalen verlassen und Zegrath die Macht unrechtmäßig an sich gerissen hat", sagte ich. ,,Wenn Ihr uns besänftigen wollt, warum bringt Ihr den Mann hierher, der uns einst dazu brachte, den Wald zu verlassen?", fragte ein anderer Werwolf und blickte vorwurfsvoll zu Vater. Ich selbst wandte mich ebenfalls zu ihm um, woraufhin Vater ein paar Schritte nach vorne trat. ,,Mein Verhalten damals beruhte auf einem Missverständnis, das erst von meinem Sohn selbst aufgeklärt wurde", erklärte Vater. Ungläubig sahen die Werwölfe meinen Vater an. ,,Es ist die Wahrheit. Mein Vater Oropher hatte mir nichts von dem Brief erzählt, den er eurem Volk hatte zukommen lassen und so nahm ich fälschlicherweise an, eure Krieger wären schlichtweg zu spät gekommen, um sich dem Elbenheer anzuschießen", erklärte Adar weiter. Die Werwölfe sahen sich skeptisch an. ,,All eure Erklärungen ändern nichts an der Tatsache, dass ihr den König und den Kronprinz getötet habt", meinte einer der Werwölfe schließlich mit feindseligem Blick. ,,Taric fiel nicht durch meine Hand", versuchte ich die Werwölfe zu besänftigen, doch mir war klar, dass keiner von uns dies zu tun vermochte. ,,Ihr akzeptiert mich nicht und diese Meinung können wir allein wohl nicht ändern", sagte ich schließlich, ,,Was haltet ihr dann davon, das Volk entscheiden zu lassen und zwar sofort um unnötige Beeinflussungen zu vermeiden?" ,,Schön", brummten die Werwölfe etwas widerwillig, denn eigentlich war uns allen bereits bewusst, dass das Volk sich bereits nach den Revierspielen entschieden hatte, sonst hätte ich mir den Titel König der Werwölfe nie zu eigen machen können.

Kissed by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 3⚜Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt