Lessien
Es war Nacht und in ganz Caras Calen brannte kein einziges Licht, nicht einmal eine winzige Kerze. Es war unheimlich, die sonst schön erleuchtete Stadt so düster zu sehen. Laut Mithrellas hatten sie bereits kurz nach Beginn des Angriffs begonnen, um den Korsaren zumindest bei Nacht ein wenig die Orientierung zu nehmen. Trotz der Dunkelheit schlief die Stadt jedoch keineswegs. Soldaten liefen umher, nahmen ihre Positionen ein. Schwerter wurden geschärft, Köcher mit Pfeilen gefüllt und mutmachende Worte einander zugeflüstert. Ich stand zusammen mit Mithrellas auf der Mauer und sah zum Fluss, wo die Schiffe der Korsaren die Stadt belagerten. Alles war ruhig, doch das würde sich bald ändern. Naqi'a und die Werwölfe waren auf dem Weg zu den zwei Schiffen, die Caras Calen am nächsten waren. Es war der Beginn des Plans, den wir zuvor über Stunden hinweg zusammen mit Königin Lalaith, Prinz Maglor und einigen Generälen ausgearbeitet hatten. Danach hatten wir Naqi'as Falken mit einer Nachricht zu Legolas geschickt, die die Situation in Caras Calen schilderte, ebenso wie unser weiteres Vorgehen. Am liebsten hätte ich noch eine eigene, private Nachricht für Legolas hinzugefügt, denn ich wünschte mir, dass er hier wäre. Ich war so aufgewühlt wegen unseres Plans und dessen doch recht unsicheren Ausgangs, dass ich kaum ruhig stehen konnte, als ich mit Mithrellas auf der Mauer Position bezog. Legolas hatte es schon oft geschafft, mich zu beruhigen und ich war mir sicher, er würde es auch jetzt schaffen - wäre er nur hier. Ich wagte kaum, zu atmen, aus Angst ich würde verraten, dass wir uns auf eine Schlacht gefasst machten. Die Korsaren hatten zwar viele ihrer Männer auf den Schiffen, doch auch Bodentruppen waren am Ufer des Flusses verteilt worden, von denen niemand genau wusste, womit sie bewaffnet waren. Das Warten wurde von Minute zu Minute unerträglicher, denn die Zeit verging quälend langsam. Irgendwann begann ich mich zu fragen, ob nicht doch etwas schief gegangen sei. Vielleicht hatte man Naqi'a und die Werwölfe doch im Wasser des Flusses entdeckt und ertränkt. Ich schüttelte den Kopf. Nein, das durfte nicht passieren. Wir hatten nur diese eine Chance, dann war die Überraschung nicht mehr auf unserer Seite. ,,Ich bin sicher, dass alles klappt", meinte Mithrellas neben mir. Er hatte meine Nervosität wohl bemerkt. ,,Das hoffe ich", entgegnete ich und genau in diesem Moment wurde ein Brandsatzgeschoss auf dem Schiff entfacht, dass der Stadt am nächsten war. Ein paar Sekunden später wurde es auch schon abgeschossen, jedoch nicht auf die Stadt, sondern auf die übrigen Schiffe der Korsaren. Der Feuerball flog durch die Luft, ließ mich das ganze Ausmaß der Flotte sehen, bevor es in eines der Schiffe einschlug, welches mit lautem Krachen entzweigeschlagen wurde. Ich atmete erleichtert auf. Alles lief soweit nach Plan. Naqi'a und die Werwölfe hatten es geschafft, die ersten zwei Schiffe zu übernehmen und die Korsaren mit ihren eigenen Waffen anzugreifen. Auf den anderen Schiffen der Flotte brach Tumult aus, als bemerkt wurde, was vor sich ging. Bald darauf flogen Bandsatzgeschosse in beide Richtungen, doch zuerst hatten wir mehr Erfolg, da die große Anzahl der Korsarenschiffe eine größere Angriffsfläche für uns bot. Nun kam auch Bewegung in die Soldaten auf der Stadtmauer. Ein General rief den Elben Befehle zu. Pfeile wurden entzündet, angelegt und geschossen. Viele Pfeile flogen nur ins Wasser und waren nutzlos, doch andere wiederum trafen ihre Ziele. Weitere Schiffteile fingen Feuer, Korsaren wurden von den brennenden Spitzen durchbohrt und fielen über die Reling in den Fluss. So ging das eine Weile und es sah tatsächlich so aus, als würden wir diese Schlacht auf Anhieb gewinnen. Doch dann traf ein Geschoss der Flotte eines unserer gekaperten Schiffe und versenkte es im Fluss. Die wenigen Planken, die auf der Wasseroberfläche blieben standen lichterloh in Flammen, dazwischen sah ich einige Werwölfe Richtung Ufer schwimmen. Die zuvor fast schon euphorische Stimmung auf der Mauer kippte augenblicklich. Lautes Poltern aus dem dunklen Wald verbesserte diesen Zustand auch nicht, denn kurz darauf stürmten die Bodentruppen der Korsaren auf Caras Calen zu. Ich war erschrocken, wie viele es waren - beinahe eine ganze Armee kam aus dem Wald auf die Mauer zu. Unsere Bogenschützen schossen einen Pfeilhagel nach dem anderen auf die anrückenden Horden an wild brüllenden, bis an die Zähne bewaffneten Korsaren, doch es hielt sie nicht auf. Auch ich schoss Pfeile und verfehlte meine Ziele nicht, doch als die ersten Leitern an den Mauern aufgestellt wurden und die Korsaren zu hunderten an ihnen hinaufkletterten, um in die Stadt zu gelangen, zog ich mein Schwert. Verwendet hatte ich es natürlich schon, aber es in einer Schlacht zu schwingen, einen Feind nach dem anderen damit zu töten, war etwas völlig neues für mich. Ich hatte nie in einer Schlacht kämpfen wollen, doch ich musste meine Heimat verteidigen. Die ersten Korsaren, die es bis hinauf zu uns schafften, konnte ich leicht abwehren und hinunterstoßen, doch mit der Zeit wurden es immer mehr. Ich wirbelte herum, mein Schwert traf auf ein anderes, wehrte es ab, schlug erneut zu, traf Fleisch und schnitt hindurch. Schreie und das Klirren von aufeinandertreffenden Waffen erfüllten die Mauer. Der Geruch von Feuer und Blut lag in der Luft. Ein Aufschrei nicht weit von mir entfernt ließ mich herumfahren. Ich sah Mithrellas mit blutender Schulter. Er wurde von mehreren Korsaren immer weiter an den Rand der Mauer gedrängt und drohte, hinunterzustürzen. Durch meinen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit versetzte mir ein Angreifer einen Tritt in den Bauch. Ich krümmte mich vor Schmerz, taumelte rückwärts und konnte gerade noch rechtzeitig einen Schwerthieb meines Gegners abwehren. Er starb kurz darauf, mein elbisches Blut war widerstandsfähiger als die Menschen. Dann kämpfte ich mich zu Mithrellas, dessen verletzte Schulter ihm schwer zu schaffen machte. Er konnte das Schwert kaum noch halten, sein Arm verlor an Kraft. Ich erreichte ihn und tötete den fies grinsenden Korsaren, indem ich ihm mein Schwert durch die Brust jagte. "Hannon le", sagte Mithrellas etwas außer Atem und richtete sich etwas schwerfällig auf. "Kannst du weiterkämpfen?", fragte ich besorgt und betrachtete seine blutige Schulter. Er nickte. "Es geht schon", sagte er, bevor er mich völlig unvermittelt zur Seite stieß. Ich hatte den Korsar hinter mir nicht bemerkt. Mithrellas tötete ihn, doch davon bekam ich kaum etwas mit, denn statt einfach nur gegen die Mauer zu prallen, wurde ich mit einem Ruck darüber hinweggezogen. Ein Korsar hatte in seiner Todesangst vor dem Sturz von der Mauer meinen Arm gepackt und mich mit sich in den Abgrund gezogen. Ich sah Mithrellas, wie er den Korsar tötete, der mich beinahe umgebracht hätte und dann erschrocken nach mir rief. Ich konnte ihm nicht antworten, war selbst fiel zu erschrocken vom plötzlichen Fall. Wenn ich mit dem Rücken voran auf dem Boden aufkam, würde es mein Rückgrat völlig zerschmettern, so viel war klar. Ich würde unter höllischen Schmerzen sterben, wenn mir nicht zuvor einer der Korsaren einen Gnadenstoß mit seinem Schwert versetzen würde. Aber ich wollte nicht sterben, vor allem nicht hilflos und vor Schmerzen wimmernd. Ich dachte an Gwil, meine liebliche Schwester, die ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte und an mein Versprechen, sie niemals allein zu lassen. Dann dachte ich an Legolas, dem ich versprochen hatte, zu ihm zurückzukehren. Ich wollte meine Versprechen halten -ich musste sie halten!
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Hallo zusammen,
Diese FF lebt auch noch.
Ich weiß nicht, wann und ob ich diese FF überhaupt jemals zuende führen werde, aber ich wollte euch dieses Kapitel aus Lessiens Sicht (und das letzte das ich bisher vorgeschrieben hatte), nicht vorenthalten.
Voraussichtlich wird es das letzte Kapitel in einer ziemlich langen Zeit sein, das ich zu dieser FF hochladen werde, da ich zusammen mit einem Freund gerade einen Fantasy-Mehrteiler schreibe (Account: T_S_Aton). Das nimmt viel Zeit, Arbeit und Kreativität in Anspruch, aber wir beide sind wirklich fleißig und mit mega viel Spaß am Schreiben, weshalb das für mich erst einmal Priorität hat, bevor uns die Kreativität bei diesem Projekt evtl für eine Weile ausgeht. Hochgeladen ist von diesem Fantasy-Mehrteiler auch schon etwas, also schaut gerne mal rein😉.Bis bald, eure Luisa🌸
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Kissed by Fire ⚜A Middleearth Story | Book 3⚜
FantasyAbgebrochen ⚜⚜⚜ Thranduil ist auf der Flucht und muss untertauchen, denn Celleth sucht nach ihm, um ihn ein für alle mal aus dem Weg zu räumen. Währenddessen sind Legolas, der von Thranduil nach wie vor für tot gehalten wird, und Lessien auf dem Weg...