Nachts in der Stadt

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Im Dämmerlicht der Straßenlaternen in der Nacht, die mit großen Schritten auf die Geisterstunde zueilte, ging ein junger Mann die Straße entlang. Den alten Mantel eng um sich geschlungen, der Stoffgürtel ging zweimal um seinen zu schlanken Körper. Der aufgestellte Kragen schützte etwas vor dem Wind, der durch die Straßen pfiff und ein unheimliches Lied spielte.

Der Mann trug ausgetretene Schuhe und eine Jeans, die ganz deutlich schon einmal bessere Tage gesehen hatte. In den Händen hatte er Stoffbeutel, die ebenfalls schon Zeichen ihres Alters trugen. Sie waren gefüllt und das reichte dem Mann schon.

Er war froh, dass er es vor der Arbeit noch geschafft hatte einkaufen zu gehen, denn Zuhause hatte er kaum noch etwas. Wie er daraus seinem kleinen Engel etwas für die Pause hätte zaubern sollen, war ihm ein Rätsel, von einem Frühstück mal ganz zu schweigen. Nun aber hatte er es ja geschafft, seine Kleine würde am nächsten Morgen ein Frühstück und ein Pausenbrot haben.

Die Schläge der Kirchturmglocke mischten sich in das Lied des Windes und verkündeten die Geisterstunde. Es war spät geworden, der Mann hatte schon zu Hause sein wollen. Sein Engel war zum Glück schon groß genug, um selbst ins Bett zu gehen und schon zu schlafen, wenn er nach Hause kam.

An dem alten Mehrfamilienhaus angekommen, kramte er seinen Schlüsselbund aus der Tasche des Mantels und steckte ihn ins Schloss. Bemüht leise zu sein, da die Wände des Hauses extrem dünn waren, ging er die ausgetretene Treppe nach oben. Im dritten Stock, neben dem schief hängenden, von seiner Kleinen gemalten Namensschild und der schlechten, meist nicht funktionierenden Klingel lebte er.

In der Wohnung daneben wohnte eine alte Frau mit zu vielen Katzen. Er hatte den Verdacht, dass da mindestens ein Kater dabei sein musste und sie die Kätzchen nie weggab, denn wann immer er sie sah, schleppte sie Katzenfutter in ihre Wohnung. Er schüttelte den Kopf, er sollte nicht über seine Nachbarin nachdenken.

Bemüht leise öffnete er die Tür, auch wenn ihm auffiel, dass es unnötig gewesen war. Sein Engel schlief fest und würde von dem Klappern eines Schlüssels im klemmenden Schloss nicht aufwachen und er hörte den Fernseher der alten Dame durch die Wand. Erschöpft stellte er die Einkaufstaschen ab und zog sich die Schuhe von den Füßen. Er stellte sie an die Wand und hängte den Mantel an den Harfen weiter oben an der Wand. Der seines Engels war auf einer Höhe, auf der sie ihn auch erreichen konnte.

Am Anfang hatte er die Schuhe noch vor der Tür stehen lassen, doch nachdem ihm das dritte Paar gestohlen wurde, hatte er sie immer in der Wohnung behalten. Er besaß ja auch nur dieses eine und ein paar Winterstiefel, deren Futter so abgerieben war, dass er ohne drei Paar Socken trotzdem fror.

Er nahm die Einkaufstaschen und trat in die winzige Küche. Die Tür war kaputt gewesen und er hatte es nicht als nötig befunden eine neue einzubauen, sodass nun nur noch der Türrahmen stand. In der Küche war alles so eng, dass nur eine Person darinstehen konnte, wenn man einen der Schränke oder den Ofen öffnen wollte. Eine zweite konnte am Tisch sitzen, der zweite Platz dort war allerdings auch nur zugänglich, wenn alle Schränke geschlossen waren.

Geübt begann er die Einkäufe in den Schränken zu verstauen und die Taschen in die dafür bereithängende Tasche zu stopfen. Er fand kein herumstehendes Geschirr, wie es sonst manchmal der Fall war, doch heute musste er nicht spülen. Sein Engel hatte heute daran gedacht und es selbst getan.

Es gab neben der Küche, dem engen Flur und dem kleinen Bad nur zwei Räume. Der größere davon gehörte seinem Engel. Er öffnete die Tür dazu und sah in das karge Kinderzimmer, das aber besser ausgestattet war als der Rest der Wohnung. Zwar waren auch die Möbel in diesem Raum recycelt, doch es gab ein paar Spielsachen, neuere Klamotten und eine Schultasche.

Er gab alles für seinen Engel. Wenn diese glücklich war, was machte es da, wenn er am Ende des Monats kaum etwas aß, weil er alles seinem Engelchen überließ. Ob das seine Klamotten alt und abgetragen waren, wenn sein Engel ordentliche Sachen trug und keine Probleme mit anderen Kindern hatte.

Es machte ihn glücklich zu sehen, wie froh sein Engel durch ihr Leben ging, obwohl sie doch so wenig hatten. Sie hatte viele Freunde, auch wenn sie zu Kindergeburtstagen nie mir einem größeren Geschenk als einer Packung Süßigkeiten und etwas Gemalten auftauchen konnte. Selbst zu ihrem Geburtstag trafen sie sich im Park, da in der Wohnung einfach kein Platz war. Ein paar Spiele und Kuchen, mehr konnte er ihr nicht bieten, ein einzelnes, hart ersparte Geschenk. Doch sie hatte sich noch nie beschwert.

Er trat zu ihrem Bett. Da lag sie. Sein Engelchen. Er strich über ihren Blondschopf, den sie in einen schlecht geflochtenen Zopf gezwungen hatte. Sie hatte eine richtige Mähne, die er morgens immer in einer Frisur bändigte. Am Anfang, als er noch ungeübt gewesen war, hatte es schrecklich ausgesehen, doch er hatte es gelernt. Heute war er echt gut. Sein Engel erzählte immer wie neidisch die anderen auf ihre tollen Frisuren waren.

In den Armen hatte sie den Stoffhirsch, den er zu ihrer Geburt gekauft hatte. Es war ihr absolutes Lieblingsspielzeug und hatte überall mit hingemusst. Leise zog er die Bettdecke zu ihrem Kinn und verließ das Zimmer dann wieder.

Nach einer schnellen Runde im Bad, betrat er das letzte Zimmer der Wohnung. Es war sein Schlafzimmer. Außer seinem Bett hat gerade noch ein Regal Platz, indem seine Klamotten liegen. Es sind wenig genug. Eine Handvoll Hosen, Oberteile, etwas mehr Unterwäsche und Socken.

Das einzige, was etwas Freude in den trostlosen Raum brachte, wie seine Tochter in sein Leben, waren die farbenfrohen Zeichnungen seiner Tochter an den Wänden. Sie liebte es zu malen und war gut darin. In Kunst und Werken bekam sie nur Bestnoten und hatte sogar schon einen Wettbewerb gewonnen. Der Preis war ein großes Malset gewesen und es hätte kaum etwas geben können, was sie mehr erfreut hätte. Das Malen brachte Farben in ihr trostloses Leben, wobei seine Tochter immer in voller Farbe lebte, er hingehen ohne sie in einer grau in grauen Welt.

Er strich über ein Bild von sich, was man tatsächlich gut erkannte, eine erstaunliche Leistung für eine achtjährige, und legte sich dann schlafen. Der Wecker war gestellt und würde ihn in weniger als sieben Stunden erneut aus dem Schlaf klingeln, damit er aufstand und seine Kleine auf die Schule vorbereitete. 

Blonder EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt