Ein ganz normaler Morgen I

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Das Scheppern des alten Weckers, der auf dem Boden hin und her hüpfte, riss ihn aus dem Schlaf. Schlaftrunken setzte er sich auf, streckte sich und beeilte sich dann den Wecker auszustellen. Nicht dass sich noch die Nachbarin beschwerte. Er konnte es beim besten Willen nicht leisten aus dem Haus geschmissen zu werden. Andrerseits, die alte Dame hatte schlechte Ohren und hörte oftmals nichts.

Mit einem gezielten Griff hatte er ein Outfit aus dem Schrank geholt, alles bis auf Socken und Unterwäsche Secondhand und Selbige schon oft getragen, und machte sich barfuß auf den Weg ins Bad. Dort gab es eine Dusche, ein Klo und ein Waschbecken. Die Waschmaschine hatte er dazu gezwängt, wodurch der Raum noch kleiner wurde. Aber sie brauchten sie eben auch.

Nach einer Blitzdusche stand er vor dem Spiegel und strich über seinen Dreitagebart. Er beschloss es für heute dabei zu belassen und sich erst am nächsten Tag wieder zu rasieren. Schnell putzte er die Zähne und zog sich an, bevor er sich daran machte seine Tochter zu wecken.

In deren Zimmer herrschte, dank der bunten Vorhänge, noch Dunkelheit und so sehr er sich auch wünschte seinen Engel nicht stören zu müssen, so musste sie doch in die Schule. Leise trat er ans Bett, setzte sich neben sie auf die Matratze und strich ihr über den Kopf.

„Aufstehen, Engelchen. Du musst in die Schule. Aufstehen. Mäuschen." Sie gähnte, streckte sich im Liegen und setzte sich dann auf, rieb sich mit einer Faust den Schlaf aus den Augen. „Ich bin keine Maus. Ich bin ein Rehkitz. So wie Bambi." Die Anspielung machte den Mann etwas traurig, denn seine Tochter kannte ja nur ihn. Ihren zweiten Elternteil hatte sie nie kennengelernt.

„Na dann, Bambi. Stehst du auf?" Sie nickte, schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Er ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf, ließ das Licht des Morgens ins Kinderzimmer scheinen. Es zeigte ein helles, freundliches Zimmer. Die hellbrauen Wände und der grüne Teppich vermittelte eine Wärme und die hellen Möbel eine Freiheit.

Während sich die Kleine an ihrem Schrank zu schaffen macht und sich ein Outfit aussuchte, ging ihr Vater in die winzige Küche. Schnell bereitete er ein leckeres Pausen Brot vor. Ein belegtes Brot, mit Wurst und Salat, ein paar der von seiner Tochter geliebten sauren Gurken und in einer extra Dose ein paar Erdbeeren. Dazu gehörte eine Flasche mit Birnenschorle, die sein Engelchen so liebte. Erst als er damit fertig war, richtete er zwei Schalen Müsli, für sich eine Tasse Kaffee und für seinen Engel eine Tasse mit Kaba.

„Daddy!" Der Ruf seines Engels sagte ihm wie jeden Morgen, dass sie im Bad fertig war und das er nun zu kommen hatte, um ihre Frisur zu richten. Er trat lächelnd zu ihr und griff nach der Bürste. Sie hatte seine Mähne geerbt, aber bei langen Haaren fiel das zum Glück nicht mehr so auf.

Er kämmte die blonde Lockenpracht aus und flocht dann einen Kranz um ihren Kopf, ließ den Rest locker über ihren Rücken fallen. „Gut so Engelchen?" Sie sah in den Spiegel, drehte sich dann um und warf sich in seine Arme. Er fing sie auf und drückte sie an sich.

„Das ist perfekt. Du bist der beste Daddy auf der Welt." Sie gab ihm einen dicken Kuss auf die Wange. Er lächelte, küsste sie auf die Stirn und setzte sie dann ab. Fröhlich und aufgedreht wie immer hüpfte sie in die Küche, wo sie sich auf ihren Stuhl setzte. Es war ihrer, da dort zwei Kissen lagen und auf dem anderem keines.

„Heute haben wir Kunst. Ich werde das Bild vom letzten Mal fertig malen. Soll ich dir sagen, was da drauf ist?" Er setzte sich und lächelte sie an. „Was ist denn auf deinem Bild?" „Königin Susen und König Peter und Königin Lucy und König Edmund aus Narnia. Wie sie gekrönt werden." Er hatte das Buch so häufig für sie lesen müssen, dass er die Geschichte beinahe auswendig kannte, doch es war nun mal die Lieblingsgeschichte seiner Tochter.

Blonder EngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt