Kapitel 1: Das Mädchen und der Überfall

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„Cara du kleines Miststück! Komm endlich her und mach das, was ich dir aufgetragen habe!", schrie Parker, als er bemerkte, dass Cara sich ihm wiedersetzt hatte.

Hinter geschlossenen Schranktüren versteckte sich das siebzehnjärige Mädchen und hoffte, dass er sie nicht fand. Dass er ihr nicht zu nahe kam.

Wie lange schon musste sie das alles hier ertragen? Es handelte sich um ihre fünfte Pflegefamilie in siebzehn Jahren und gleichzeitig auch um die Schlimmste. Doch sie hatte es nicht geschafft ihrer Sachbearbeiterin dies begreiflich zu machen, denn sie hatte vorher schon viele Geschichten erfunden, in denen sie ihre Pflegeeltern oder deren Kinder diskreditierte. Sie hatte einen Fehler begangen, denn sie hatte dadurch ihre Glaubwürdigkeit verloren und dies hatte zur Folge, dass niemand ihr mehr vertraute.

Das erste Mal hatte sie mit fünf gelogen, als sie behauptet hatte im Keller schlafen zu müssen. Die Familie hatte ihr ein wunderschönes Mädchenzimmer präsentiert, doch sie hatte sich nicht wie zuhause gefühlt. Es hatte etwas gefehlt und so hatte sie gelogen. Sie war aus der Familie herausgenommen worden und erneut in ein Kinderheim gegeben worden, doch schon bald hatte sich die nächste Familie gefunden. Es ging immer so weiter, bis sie sich mit vierzehn Jahren in ihren Pflegevater verliebt hatte. Sie hatte stets die Angewohnheit gehabt, sich in die falschen Männer und Jungs zu verlieben. Allesamt waren es Jungen gewesen, die sie schlecht behandelten. In Jim hatte sie jedoch den perfekten Mann gesehen. Er war stets freundlich zu ihr gewesen, war für sie da und hörte ihr zu. Sie interpretierte ihre Zuneigung als Liebe. Sie kannte nichts anderes, denn sie war weit herum gekommen ohne je tiefere Gefühle für jemanden zu entwickeln. Schon bald hatte Rosie, Jims Frau, Wind davon bekommen und war nicht länger bereit gewesen, ihr ein Dach über dem Kopf zu bieten. Cara war selber schuld gewesen, hatte sie schließlich versucht Jim zu verführen.

Jetzt befand sie sich jedoch in einer wesentlich schlimmeren Situation, denn seit drei Jahren schon lebte sie bei den Westons, die ihr die Hölle auf Erden präsentiert hatten. Sie war ausgebeutet worden, war tatsächlich in den Keller gesperrt worden und noch schlimmeres. Es hatte sie abgehärtet, doch die letzte Aktion hatte sie erschauern lassen. Parker, ihr Pflegevater, war mit einem Arbeitskollegen nachhause gekommen und hatte Cara zu sich gerufen. Dann hatte er von ihr verlangt sich auszuziehen. Er hatte eine Grenze überschritten, die vorher noch niemals angetastet worden war und so war sie davon gelaufen. Parker war nicht hinterhergekommen, da er stark alkoholisiert war. Wenn Maggie, Parkers Frau, gewusst hätte wozu ihr Mann im Stande war, hätte sie dies vermutlich verurteilt jedoch nichts dagegen unternommen. Parker war ein jähzorniger Mann der auch nicht vor Gewalt zurück schreckte wenn er merkte, dass er nicht das bekam was er wollte. Und das wusste auch Maggie.

Etwas ging zu Bruch und Cara erschrak so sehr, dass sie gegen die Schranktür stieß. Ihr Herz blieb stehen und sie kauerte sich ins hinterste Eck zurück in der Hoffnung, der Schrank möge sie in sich aufsaugen und nie wieder ausspucken. In ihr war schon so viel zu Bruch gegangen, sie war sich sicher, dass sie nie wieder jemandem vertrauen könnte, doch wenn Parker sie erwischen und sie dazu zwingen würde, das zu tun was er wollte, dann würde sie in tausend Scherben zersplittern und niemand würde je wieder die Möglichkeit erhalten, sie wieder zusammenzusetzen.

„Ich habe dich gehört Cara...", ein boshaftes Lachen folgte diesen Worten, was Caras Körper zum zittern brachte. Angstschweiß trat ihr auf die Stirn bei dem Gedanken daran, was Parker mit ihr anstellen würde, wenn er sie tatsächlich schnappen würde. Sie machte sich noch kleiner, doch Parker würde sie unweigerlich sofort sehen, wenn er die Tür öffnete. Sie hörte seine schweren Schritte auf dem Holzboden ihres Zimmers. Er war ihr nah. So nah, dass er sie vermutlich atmen hören könnte also presste sie sich ihre Hand auf den Mund und hoffte, dass ihr kein einziges Geräusch entkam.

Second Faces (1) - Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt