Sonnengewachsene auf dem Mond #7

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Einige Stunden später sitze ich niedergeschlagen auf der Bank vor dem Waffenhaus und trinke Wasser. Alles schmerzt und meinen Mitbewohnern geht es nicht anders. Sogar Jay sieht erschöpft aus.
Ray jedoch, ist in bester Laune und erzählt uns die Geschichte, wie es dazu kam, dass sie uns ausbilden muss, da sie sonst nur die Ausbildner überwacht und wir ihre ersten Schüler seit längerem sind. „Aber als ich erfuhr, dass ich eine Sonnengewachsene in meinem Team haben werde, freute ich mich doch."
Sofort liegen drei Augenpaare auf mir.

„Du bist eine Sonnengewachsene?"

Ich nicke. „Ja, ich bin im östlichen Feuerdorf aufgewachsen."
Lex schaut mich anerkennend an. „Deshalb die dunklen Haare." Stellt er fest.
„War ja klar, dass sie keine Mondgewachsene war, das sieht man bereits an ihrem Gang." Wirft Sharon trocken ein. „Sie läuft wie jemand, der die ganze Zeit Steine schleppen musste."
„Wir schleppen keine Steine in den Feuerdörfern, das ist nur dummes Gerede." Sage ich empört.

„Schätzchen ich stelle mich auf Fakten. Wenn im nördlichen Feuerdorf alle versklavt sind, wird es ein Dorf weiter auch nicht anders sein."
„Das stimmt nicht! Niemand wird bei uns versklavt, wir leben in Frieden!"
„Da habe ich aber etwas anderes gehört."

„Sei still!"

Schneller als ich denken kann, richte ich meinen Dolch drohend auf sie. „Du weißt nichts über uns." Meine Stimme hat einen drohenden Unterton angenommen.
„Stopp!" Ray schlägt mit erstaunlicher Kraft mit ihren Flügeln und der Windstoß wirft uns fast von der Bank.
Ich schaue betreten zu Boden und stecke meinen Dolch zurück in die Halterung. Die Blondine zuckt nur mit den Schultern und mustert mich erneut mich abschätzigem Blick.
„Naja, man glaubt was man glauben mag, aber was erwartet man auch von Menschen, die unter der Erde im Dreck leben."
Ich beiße meine Zähne zusammen und balle die Hände zu Fäusten.

„Beruhigt euch Ich denke ihr seid jetzt alle müde, deshalb sind wir für heute fertig. Vergesst nicht eure Ausweise im Horizontgebäude abzuholen und euch die Stadt und Angebote anzuschauen."
Das hatte ich ganz vergessen. Unsere Ausweise, mit denen wir auch unser Essen und Kleidung kaufen können, müssen wir persönlich abholen.
„Morgen treffen wir uns vor eurem Haus, dann gehen wir gemeinsam zum Schulgebäude, in welchem ihr euren anderen Mitschülern begegnen werdet. Alles Weitere morgen. Wegtreten!"

Meine Mitbewohner gehen sich umziehen, während Ray mich zu sich holt.
„Alva, das Flügel erscheinen und verschwinden lassen ist so zentral wie das Fliegen in der Ausbildung. Bei eurem Abschluss werdet ihr in der Lage sein, eure Flügel innerhalb von Millisekunden hervorzuholen und wieder verschwinden zu lassen. Wenn man es erst einmal draufhat, ist es nicht schwierig und man muss nur noch üben." Sie läuft um mich herum.
„Verschränke am besten deine Arme, dann geht es leichter." Ich mache was sie sagt und presse meine Arme fest an meinen Oberkörper.
„Jetzt stell dir vor, wie deine Flügel hervorsprießen, wie eine kleine Pflanze, stell dir die Weichheit der Federn und die Schwere der Flügel vor. Ihr leuchtendes Weiß und ihre starken Muskeln."

Ich schließe meine Augen und versuche mir meine Flügel vorzustellen.
„Merke dir das Gefühl, das du hast, wenn du sie rufst."
Ein flaues Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, ich spüre wie sich meiner Wirbelsäule entlang etwas kaltes hochschlängelt und sich über meine Schulterblätter verteilt. Ein kurzer Stich in den Rücken lässt mich zusammenzucken und etwas zieht mich nach hinten.

„Sehr gut, das ging ja besser als erwartet." Ich blicke hinter mich und sehe meine weiß schimmernden Flügel. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und Stolz erfüllt mich.
„Jetzt das ganze umgekehrt. Stell dir vor, deine Flügel ziehen sich zusammen und rollen sich in deinem Rücken ganz klein ineinander hinein."
Ich stelle mir alles umgekehrt vor, spüre den kalten Stich und fühle mich auf einmal ganz leicht.
„Mach dies jedes Mal und mit der Zeit reicht ein Gedanke an deine Flügel, um sie zu holen. Geh dich jetzt umziehen und dein Ausweis holen. Wir sehen uns morgen." Sie entfaltet ihre eigenen Flügel und rauscht über mich hinweg, in Richtung Zentrum.

Im Waffenhaus kommt mir Jay entgegen, der mir kurz zunickt und das Haus verlässt. Erstaunt über diese Art der Kontaktaufnahme lächle ich und setze mich neben Lex, der scheinbar darauf wartet, dass Sharon sich fertig umgezogen hat. „Dumm, dass es nur eine Kabine zum Umziehen gibt." Meint er und ich nicke.
„Tut mir leid, was Sharon über deine Heimat gesagt hat, aber ich glaube dir, wenn du sagst, dass bei euch niemand versklavt ist."
Lex ist eigentlich sehr nett, im Gegensatz zu Sharon versucht er, freundlich zu sein.
„Wollen wir nachher gemeinsam die Ausweise abholen." Fragt er mich. „Vorausgesetzt, du weißt wo das Horizontgebäude ist."
Er nickt. „Wir waren alle schon mal dort, du nicht? Der Seraph wohnt auch dort und es spielen sich alle wichtigen Entscheidungen dort ab."
„Vielleicht war ich doch schon Mal dort, aber ich weiß es erst sicher, wenn ich es sehe. Man hat mir nicht viel erklärt."
„Wenn du Fragen hast kannst du immer gerne zu mir kommen." Er grinst mich an und steht auf, als Sharon im selben Augenblick aus der Kabine kommt.

„Hört auf mit dem rumgesülze, Lex, lass dich nicht mit einer Sonnengewachsenen ein, sie ist es nicht wert."
„Halt den Mund Sharon, sie ist jetzt eine von uns. Ihre Flügel sind der Beweis."
„Sie wird nie eine von uns sein." Sagt sie mit so viel Verachtung in der Stimme, dass es mir kalt den Rücken runterläuft.
Dann stolziert sie aus dem Haus.

Meine Hände zittern und ich unterdrücke den Drang, zu schreien. Ihr meine Dolche in den Rücken zu rammen. Meine Augen brennen.
„Mach dir nichts draus, Sharon kann am Anfang sehr verschlossen sein, aber das ändert sich mit der Zeit." Versucht Lex mich aufzumuntern.
Doch der Drang, gegen etwas zu schlagen, lässt nicht nach.

„Ich geh mich umziehen." Lex schließt die Kabinentüre und lässt mich alleine auf der Bank zurück. Wie soll ich mit Sharon klarkommen? Mir war ab dem Augenblick, als ich meine weißen Flügel gesehen habe, klar, dass ich Schwierigkeiten haben würde, aber mit so offensichtlicher Ablehnung habe ich nicht gerechnet. Wenigstens ist Sharon bis jetzt die einzige, welche mich ablehnt.
Aber mein Traum ist es noch immer, Wächterin zu werden und ich werde ihn nicht aufgeben, weil sich jemand blöd verhält.
Für einen kurzen Moment höre ich nur meinen eigenen Atem und ich verdränge den Gedanken, ob meine Entscheidung wirklich die richtig ist.

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Q: Wächter, ja oder nein?

A: mir wäre das definitiv zu anstrengend ;))

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