Wald der Bücher #29

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Im Vorraum sitzen bereits viele auf den Sofas und am Boden. Fröhliche Gespräche füllen die Atmosphäre und ich lasse mich neben Mei auf den Boden nieder.
„Habt ihr auch so einen Atemberaubenden Ausblick?" „Ja, wir sehen über die gesamte Stadt." Ich klinke mich aus dem Gespräch aus und betrachte die anderen Schüler.
Neben Mei, Chysa und mir sitzen Aarin, Luna und Lex in unserer Runde.

Sharon hat sich mit ihren drei Freundinnen auf ein Sofa gequetscht und wirft sich gerade ihre Haare nach hinten. Felicia kichert und stupst Nova in die Seite, welche sich jedoch nicht davon abbringen lässt, Fenja die Haare zu flechten.
Eras unterhält sich an die Wand gelehnt mit Jay, welcher sich eifrig etwas in ein Notizbuch notiert.

Die Türe zum Vorraum öffnet sich erneut und Orion betritt zusammen mit Kyro den Raum. Orion wirft ihm einen kurzen Blick zu und Kyro nickt. Als hätten sie eine gemeinsame Abmachung getroffen, setzen sie sich abseits von den anderen an die Wand und ihre Lippen bewegen sich, aber ich sitze zu weit weg, um über den Lärm hinweg zu hören, was sie sagen.
Auch Schüler aus der Parallelklasse, welche ich nicht beim Namen kenne sitzen auf den restlichen Sofas und unterhalten sich genauso angeregt.

Erst das erneute knallen der Türe reißt mich aus meinen Gedanken. „Schön das ihr alle hier versammelt seid." Onyx und Aries stehen im Türrahmen.
„Alle aufstehen, wir gehen auf Erkundungstour." Aries marschiert voraus, wir folgen ihm im Gänsemarsch. Onyx läuft zuhinterst.
„Links und rechts sehen sie die Zimmer der anerkanntesten Wächter." Er macht eine einladende Geste. Wir laufen den Gang entlang, bis wir erneut vor der uns bereits bekannten Türe stehen.
„Wenn wir nun durch diese Türe treten, werden sie bereits sehen, dass wir ins untere Stockwerk gehen." Die Treppe herunterstolpernd, eilt Aries weiter.
„Das Stockwerk unter uns werden wir überspringen, da dort nur Schlaf- und Aufenthaltsräume der Wächter sind."
In einem offenen, freundlichen Raum bleibt er stehen. „Hier befinden wir uns im Essenssaal, dieser nimmt ein ganzes Stockwerk ein, hier essen alle die hier arbeiten." Erneut diese übertriebene Geste.
„Wir begeben uns nun in den Ostflügel. Dort gibt es Studienräume und eine Bibliothek. Ich bitte euch, leise zu sein." Er beginnt, uns kleine Kärtchen auszuteilen. „Mit diesen Kärtchen habt ihr Zugang zum Nord-, Ost- und Westflügel. Ihr braucht sie, um die Durchgangstüre zu öffnen."

Er zieht sein Kärtchen durch den Türschlitz und nach einem leisen klack, öffnet sich diese. Rudernde Bewegungen führen uns durch. Ich trete als eine der letzten durch. Hinter mir stößt Onyx Aries in die Seite.
„Ich bewundere deine Begeisterung, aber bitte hör mit diesem gestelzten Fremdenführergeschwafel auf." Raunt er ihm zu.
Aries beißt sich auf die Lippen und erwidert nichts darauf. Stattdessen lässt er die Türe los, rennt an uns vorbei an den Anfang der Schlange.
„Wir begeben uns noch ein Stockwerk tiefer, an den Anfang der Bibliothek. Und bitte, seid leise. Wir wollen die studierenden nicht stören."

Der Eingang sieht, ganz im Gegensatz zur Bibliothek selbst, unspektakulär aus. Doch als wir in die Bibliothek treten, halte ich unbewusst die Luft an.

Ein großer, Kreisrunder Platz breitet sich vor uns aus, mit Tischen und Stühlen bedeckt, an welchen vereinzelte Menschen sitzen. Doch als ich den Blick nach oben hebe, bleibt mir endgültig die Luft weg. Die gesamte Wand auf allen Seiten, welche eher einem Bogen als einer geraden Linie gleicht, ist mit Büchern gefüllt. Die Regale erheben sich bis zur gläsernen Decke, durch welche die Sonne ihre Strahlen wirft.
Alles ist aus hellem Holz und wirkt freundlich und warm. Zwischen den hohen Regalen sind Nischen in die Wand eingelassen, einige offen, andere mit einer Türe verschlossen. In den offenen Nischen erspähe ich einen runden Tisch mit einer Lampe an der Decke und zwei halbrunden Bänken.
Doch nicht einmal dies war das bewundernswerteste.
Die Menschen, welche nicht sitzend oder umherlaufen, flattern mit ihren strahlend weißen Flügeln durch den Leerraum in der Mitte. Mit Büchern in der Hand, eine freie Nische suchend oder langsam den Regalen entlangfliegend. Sie werfen flimmernde Schatten auf den Boden, so als stehe man unter einem Blätterdach, das sich im Wind und der Sonne sanft bewegt.

Es ist atemberaubend.

Jemand zieht mich am Ärmel und ich schaue in bernsteinfarbene Augen. „Wir gehen weiter." Informiert Chysa mich. Rasch schließen wir zu den anderen auf, welche bereits fast alle die Bibliothek verlassen haben.
Da muss ich definitiv noch einmal hin. Bei Nacht sieht man bestimmt alle Sterne. Verträumt starre ich auf den Rücken der Person, welche vor mir läuft.

„Hier dürft ihr euch gerne aufhalten und trainieren. Die Räume werden euch freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Duschen und Kabinen sind hier." Er deutet nacheinander auf verschieden beschriftete Türen und Durchgänge.
„Pro Stockwerk gibt es einen gemeinsamen Trainingsraum mit verschiedenen Abteilungen. Ihr könnt trainieren wann ihr möchtet."
„Abendessen gibt es um sieben in der Mensa." Wirft Onyx ein und Aries nickt bekräftigend. „Der Rundgang wäre jetzt beendet, ihr dürft euch gerne noch weiter umschauen, aber schaut bitte darauf, niemanden zu stören oder zu belästigen."
„Besonders nicht uns und die Teammitglieder!" Aries zuckt zusammen, bei der schneidenden Stimme. „Dienstag, Punkt 6 Uhr morgens will ich jeden auf dem Vorplatz aufgereiht haben. Mit euren Nethers oder ausgewählten Waffen!" Rotblonde Haare wirbeln herum und Casey verschwindet wieder aus unserem Blickfeld.
„Ihr habt sie gehört! Das ist euer einziger Termin. Also, wir sehen uns heute Abend." Onyx verabschiede sich mit einer minimalistischen Handgeste.
„Gut, dann amüsiert euch, wir werden uns sicher ab und an begegnen." Aries strahlt über beide Ohren und hüpft förmlich die Stufen weiter nach unten.

Wir bleiben etwas ratlos stehen, bis alle beginnen, wild durcheinander zu rufen und einige sich in die Trainingsräume stürzten und andere sich auf den Rückweg machen.
„Was macht ihr jetzt?" Mei zuckt mit den Schultern. „Ich wollte mir die Trainingsräume ansehen und etwas üben."
„Toll, ich auch." Chysa legt ihren Arm um Meis Nacken. „Welche Abteilung hast du denn?" Angesprochene windet sich rasch aus ihrem Griff.
„Bogen." Chysa grinst. „Was für ein Glück, ich habe meine Pfeile auch dabei. Dann können wir zusammen üben." Mei verdreht lächelnd die Augen. „Kommt ihr auch mit?"
„Wir gehen in die Schwertabteilung." Erklärt Orion und Kyro nickt zustimmend.
„Ich möchte nochmals in die Bibliothek." „Du kannst jederzeit zu uns kommen, wenn dich die Bücher langweilen." Kyro wirft Orion einen bedeutenden Blick zu.

„Bücher sind nie langweilig." Verteidige ich mich.
Orion lacht. „Natürlich nicht."

Meine Freunde laufen in meine Entgegengesetzte Richtung und ich folge dem Gang zurück in den Ostflügel. Mein Magen kribbelt, bevor ich die Türe zur Bibliothek aufstoße.
Sofort fühle ich mich ein stückweit zuhause.
Unsicher schaue ich mich um, bevor ich meine Flügel entfalte. Aber niemand schenkt mir Beachtung oder schaut mich schräg an. Weiße Flügel zu haben ist hier etwas völlig Normales.
Ich habe meine Haare zusammengebunden, aber dass sie dunkler als die der anderen sind, daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
Ich erhebe mich in die Luft und verschaffe mir einen raschen Überblick. Unten am Boden sind alle dokumentarischen und Wissenschaftlichen Bücher. Es gibt sogar Bücher für Kinder, welche auf der rechten Seite gleich über den Rechtswissenschaftlichen sind. Es gibt eine große Horror und Krimi Abteilung, sowie Fantasy und Liebesromane. Ganz oben befinden sich die anderssprachigen Bücher und eine Ansammlung von anderen Genres.
Ich lasse meine Hand über die Buchrücken der Krimis gleiten, bis ich bei einem besonders interessant aussehenden Buch bleibe. Ich ziehe es heraus und lese die Kurzbeschreibung. Ich klemme mir das Buch unter den Arm und gehe weiter auf die Suche.
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Wenn es eine solche Bibliothek geben würde... ich würde dort leben!

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