Getrennte Welten #38

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Die Worte rieseln auf mich ein, aber trotzdem verstehe ich kein Wort. Jemand nimmt mir die Fernbedienung aus der Hand.

„Du hast dir diese drei Minuten oft genug angehört. Es nervt." Die blonde Frau legt das kleine Kästchen neben mir auf den Tisch und schaltet den Bildschirm aus. Noch immer bin ich wie in Trance. Drei Wochen sind seit der Pressekonferenz vergangen, bei welcher alle Schuld öffentlich von mir genommen worden war. Ich dachte das Thema sei vorbei. Doch da hatte ich mich gewaltig getäuscht.
Die Konferenz hat das genaue Gegenteil davon bewirkt, als es eigentlich sollte. Nachdem zwar öffentlich bekannt geworden war, das ich keiner Terorristengruppe angehöre, kamen die Theorien auf. Dummerweise hatte ich das schwarze, schmale Bändchen noch an, was viele falsch interpretiert haben.

Eine Gruppe von abtrünnigen Himmelsflügler, angeführt durch eine Person, welche sich selbst Silver Mask nennt, hat verkündet, dass ich zu ihnen gehöre und durch das Band unter Kontrolle der Wächter stehe. Ich sei also an der Konferenz nicht mich selbst gewesen.
Es hagelte Vorwürfe gegen die Wächterorganisation, sogar gegen den Seraph höchstpersönlich. Und heute kam, was ich bereits die letzten Tage befürchtet habe.

Zur Sicherheit aller Bürger, wurden sämtliche Feuer- und Sonnenstädte abgeriegelt. Die Himmel- und Höllentore sind soeben verschlossen worden, das Portalieren zwischen den Welten ist nicht mehr möglich. Alles dient nur zur Sicherheit der Bürger. Wir bitten sie, Ruhe zu bewahren und abzuwarten. Wir versuchen, mit den Abtrünnigen zu verhandeln und weitere Angriffe zu verhindern.

Abgeriegelt. Portalieren nicht mehr möglich.

Diese Worte wiederholen sich in Dauerschleife in meinem Kopf. Zur Sicherheit wurde sogar der Nachrichtenaustausch verboten. Nachrichten zu verschicken ist nur noch innerhalb der Welten möglich. Das heißt ich kann weder meine Eltern, noch meine Schwester erreichen. Langsam rinnt eine einzelne Träne meine Wangen runter. Zuerst die Vorwürfe, dann die ganze ungewohnte Aufmerksamkeit und jetzt das.
Ich hatte meiner Mutter versprochen, ihr nach der Konferenz zu berichten, wie es mir ergangen ist. Nur habe ich das vergessen und jetzt kann ich sie gar nicht mehr erreichen.
„Kannst du den Fernseher nochmals anschalten." Jay hat sich neben mir niedergelassen und schnappt sich das Kästchen. Er zappt durch die Programme und bleibt bei einer Wiederholung der Nachrichten stecken. Der gleiche Beitrag wird gezeigt.
Ich, wie ich bei der Pressekonferenz stehe, ich, wie ich dem Journalisten an den Kragen packe und ihn anschreie. Und schlussendlich das Video von vor einem Jahr. Erneut beginnen meine Augen zu brennen.

Wortlos stehe ich auf und lasse Jay alleine auf dem Sofa zurück.

„Alva, leider wieder nicht besonders gut. Ich möchte gerne nach dem Unterricht noch mit dir sprechen." Mit diesen Worten überreicht mir Aries die Ergebnisse der Prüfung zurück. Auf der vordersten Seite prangt in roter Schrift die erreichte Punktzahl. Rasch drehe ich das Blatt um.
„Was ist deine Punktzahl?" Fragt mich Chysa und schnappt sich mein Blatt. Ich will es zurückhalten, aber sie hat die Zahl bereits gesehen. Sie pfeift erstaunt und gibt es mir unkommentiert wieder zurück. Meine Punktzahl hat nicht mal die Hälfte der möglichen erreicht.

Schon wieder nicht.

In den letzten Monaten ist meine Leistung abgefallen. Ich kann mich kaum konzentrieren. Alles was ich mir merken sollte, vergesse ich innerhalb von Sekunden wieder. Erst gestern habe ich vergessen, dass wir eine Prüfung hatten, für welche mich Chysa sogar mehrmals gefragt hat, ob wir lernen, ich hatte jedoch abgelehnt. Dabei war diese Prüfung bereits anfangs Schuljahr angekündigt gewesen.
Müde reibe ich mir die Augen. Obwohl ich nicht viel mache außer Unterricht, Training, essen und schlafen, fühle ich mich müde.

Immer nur müde.

Zum Glück hat das Surren in meinem Kopf aufgehört. Nur ganz selten höre ich es, aber auch nur, wenn ich mal wieder nicht schlafen kann und nur im Bett liege.
„Ich habe noch Kräftetrainig, du musst nicht auf mich warten." Informiert mich Chysa nach dem Unterricht und ich nicke müde.
Zum Glück hat sie mich noch daran erinnert. Das erspart mir das warten nach meinem eigenen Training.
Aries und ich bleiben alleine im Zimmer zurück und er schließt die Türe. „Alva." Beginnt er. „Ich weiß, die letzten Monate waren schwer für dich. Aber du musst versuchen, mit deinen Mitschülern auf gleicher Höhe zu bleiben. Deine Leistungen fallen konstant nach unten. Du wirkst im Unterricht immer abwesend." Ich blinzle. „Du weißt, du kannst immer zu mir kommen, wenn du Probleme hast, aber ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht sprichst."
„Ich weiss." Murmle ich. „Auch wenn du momentan keinen Kontakt zu deiner Familie haben kannst, bitte ich dich im nächsten halben Jahr auf die Schule zu konzentrieren. Wenn du so weitermachst wie bisher, wirst du das Jahr wiederholen müssen. Das heißt, anderes Team und neue Wohnung."
Sofort bin ich hellwach. „Ich will kein anderes Team."

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