Gefühlt war noch nie so viel auf einmal an einem einzigen Tag passiert. Gegen Abend rief dann tatsächlich Jimin an und wir redeten eine gute Stunde einfach nur über Gott und die Welt. Zugegeben, das hatte nochmals alles gerettet obwohl er kein einziges Wort darüber los wurde, warum genau er denn jetzt so spontan in seine Heimat zurück musste. Aber ich ließ ihm da die Zeit, die er dafür brauchte. Ich vertraute ihm, aber dennoch konnte ich die immer größer werdende Sorge um ihn nicht zurückhalten. Ein kleiner Teil in mir war sogar schon dazu bereit, einfach die sieben Sachen zu packen und zu ihm zu fahren.
Noch klang er normal, so wie immer, es war also noch nichts passiert. Es ging ihm gut, er war doch nur bei seiner Familie. Nichts außergewöhnliches.
Diese Sätze wiederholte ich um die tausend mal in meinem Kopf, bis ich ein leises klacken von Pfoten auf dem Boden vernahm. Augenblicklich musste ich lächeln, drehte mich auf dem Sofa leicht zur Seite und sah zu Holly, der sich brav vor mir hingesetzt hatte. Seine Rute wedelte dabei leicht, als er mit der pinken Leine in seinem Maul gegen meine Hand stupste. Er war doch wirklich ein kleines, süßes Goldstück, dass sich auf unerklärbare Art und Weise einen Platz in meinem Herzen beschafft hatte. Dabei mochte ich doch so gut wie niemanden außer Jimin und fühlte auch sonst eigentlich nie so richtig etwas, aber bei dem kleinen Racker hier war es schon irgendwie besonders. Er lenkte mich wie gerade eben von solchen Gedanken ab, bevor sie mich von Innen auffressen konnten. Für ihn war ich ein normaler Junge, der sich einfach viel zu große Sorgen um seinen Geliebten machte.
"Na dann gehen wir noch mal eine Runde, hm?", fragte ich also an den kleinen Wuschelkopf und hatte mich währenddessen aufgesetzt. Kaum hatte ich meine Arme ein wenig ausgebreitet, nahm der Kleine all seine Kraft zusammen und sprang hechelnd auf meinen Schoß.
Wenige Sekunden darauf war die Leine angebracht, Holly wieder auf dem Boden angelangt und wir beide in der kühlen Dunkelheit am spazieren. Wenn das Frau Jung wüsste, sie würde mich doch direkt wieder ins Bett zerren und tatsächlich anketten. Eigentlich hatte ich sie auch nur loswerden können, indem ich zu ihr sagte, dass ich todmüde war und schlafen wollte.
Aber wie hätte man einem so süßen Welpen namens Holly seine Bitte abschlagen können? Zwar war er schon stubenrein und lustigerweise hatte er von seinem alten Besitzer gelernt, im Notfall sein Geschäft wie eine Katze erledigen zu können, aber das wäre dann doch auf Dauer keine Lösung. Er war ein Hund, keine Katze. Und dieser schmierige Typ konnte von Glück reden, dass er diese Nacht nicht überlebt hatte.
Es wurde sogar in den Nachrichten darüber gesprochen, da in letzter Zeit doch einige Morde zu viel passiert waren. Warnungen wurden ausgesprochen, die Polizei patrouillierte in diesen Gegenden und Kurse zur Selbstverteidigung wurden angeboten. Aus dem ganz einfachen Grund, dass hier eigentlich nie Jemand umgebracht wurde, wenn dann nur ein bis zwei in vielleicht fünf Jahren.
Aber es war schon recht amüsant mit anzusehen, was man durch diese wenigen, genommenen Menschenleben anrichten konnte. Als ob ich einfach wahllos irgendwen umbringen würde. Das würde weder mir noch Jimin oder unserer eventuellen Liebe sowie Zukunft etwas bringen. Es wäre sinnlos. Für umsonst. Wenn die anderen Jimin in Ruhe ließen, würde ich keinem ein Haar krümmen. Aber manche Menschen waren nun einmal respektlos.
"Hey, junger Mann!", hörte ich dann die Stimme eines Mannes vor mir und so sah ich von Hollys wackelnden Ohren auf, direkt in das Gesicht eines Polizisten. Augenblicklich bildete sich ein leichtes Lächeln, eine kleine Verbeugung konnte ich mir dabei ebenfalls erzwingen. Holly neben mir versteckte sich währenddessen hinter meinem Bein.
"Du weißt doch, es ist gefährlich hier also geh lieber schnell wieder nach Hause, ja?", sprach er mit einem aufgesetzten Lächeln, strich mir dabei über den freien Oberarm, da ich nur ein normales Shirt anhatte. Ich fror allerdings nicht durch die nächtliche Kälte, jetzt allerdings schon. Kurz schluckte ich, versuchte mir nichts von meinem inneren Ekel anmerken zu lassen.