Tiefe Leere

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Waren die Tage der Rückreise von Bautzen für Larno schon von Tristheit und Sorgen belastet, so erschienen ihm die Wochen nach der Abreise von Nerin und Biello noch einsamer und leer.

Die Ereignisse hatten ihn nicht nur eines guten Freundes beraubt- mehr noch, wohl auch der Frau, welcher Larno seit dem Tod der geliebten Nemanja bereit gewesen wäre, mehr als nur ein vertrauter Freund zu sein.

Gedanken Larno's bewegten sich fast nur um die Fürstentochter Nerin- Gedanken, die ihn zu ersticken drohten, so stark an Gefühlen waren sie.

Dennoch hatte er seine Pflichten zu erfüllen- Tag für Tag ergab er sich der Sorge um Herrin Reglindis und ihrer verbliebenen Hofdame Sania, welche die Herrin auch weiterhin begleitete. Neben den Kirchgängen , kleinen Spaziergängen hinauf zum nahe liegenden Kapellenberg und kleineren Ausritten gefiel es Herrin Reglindis auch, die ersten Baumaßnahmen in der Siedlung Naumburg zu besichtigen, wo eine neue Burg der Ekkehardinger auf einem Plateau entstand. Herrin Reglindis indes schien auch in Vorbereitung ihrer Hochzeit von besonderer Freude und Eifer erfüllt.

Hermann von Meißen brachte Kunde aus fernen Ländern. So habe der Kaiser Otto aus Italien die Hilfe der Fürsten und Herzöge erbeten, um die unbotmäßigen Aufständischen der Stadt Rom und der dortigen Umlande in die Schranken zu weisen. Mehrere Ritter aus dem Herzogtum Thüringen und der Mark Meißen hatten sich gefunden für diese Heerfahrt nach Italien. Und in Treue zu Hermann und seinem Vater Ekkehard kamen sie auch zahlreich in diesem Frühsommer des Jahres 1001 an der Burg Genea vorbei, um wehrhaft mit Knechten dem Sohn des Markgrafen zum Abschied die Ehre zu bezeugen, für dessen Haus und den Kaiser einzustehen.

Manche der Ritter und edlen Knappen waren ebenso jung, wie Larno- doch sicher unerfahrener im Kampf. Dies war ihnen anzusehen- auch ihre Angst vor dem Unerwarteten im Italienischen Gebiet des heiligen Reiches. Mit guten Gebeten für deren Seelenheil und zahlreichen Geistlichen im Tross brachen sie nacheinander auf in die süddeutschen Lande.

Wäre Hermann nicht dem Vater Ekkehard verpflichtet, in den hiesigen Marken zu verweilen, so wäre sicherlich auch er davon gezogen, um Ehre zu erlangen.

Ein weiterer mächtiger Mann der Meißener Erblinie war Herr Gunzelin von Kuckenburg, der Onkel Hermanns und Bruder des Markgrafen Ekkehard von Meißen. Auch er stellte sich dieser Tage auf der Burg Genea ein, bevor er vor der Hochzeit noch einmal in die Thüringischen Lande reisen wollte.

Obwohl Larno in dem Markgrafensohn Hermann einen Mann großer Übersicht und Volkesnähe sah- sein Oheim, Herr Gunzelin, schien ihm ein unberechenbarer Mensch zu sein, welcher wohl sehr den eigenen Vorteil suchte. Warum dies Larno so empfand, hätte er nicht beschreiben können- es war sein Gefühl, welches ihm selbst Distanz zu Herrn Gunzelin riet.

In vertraulichen Gesprächen mit Herrn Hermann hatte er sich über drei Tage hinweg zu verschiedenen Dingen beraten. War es hiernach zu einigen Verlautbarungen gekommen, die Boten in die Mark Meißen und das Thüringer Herzogtum zu bringen hatten, so blieben andere Dinge so geheim, dass niemand von Gunzelins Absichten oder den gemeinsamen Ergebnissen erfuhr.

Ritter Gunzelin zeigte selbst Herrn Hermann, dass Gunzelin sich- wenn auch von gleichhohem Adel und Stand- über Hermann stellte. So maßregelte er den Neffen in der Öffentlichkeit einmal vor der Hauskirche und ließ sich besseren Platz an der Tafel geben- dort, wo es nur Herrn Ekkehard zugestanden hätte, wobei Hermann und auch die polnische Prinzessin Abseits an der zentralen Tafel zu sitzen hatten.

Auch Herrin Reglindis war hierüber nicht sehr erfreut, redete jedoch nur zu Fräulein Sania offen darüber.

Frau Sania von Dobschütz, welche nunmehr neunzehn Jahre alt war und eine zurückhaltende Schönheit, gestand gegenüber Herrin Reglindis, dass der Herr Gunzelin von Kuckenburg dem Fräulein Sania seinerseits und ohne dazu ermuntert worden zu sein, unschickliche Blicke zuwerfe. Dies missfiel Herrin Reglindis so sehr, dass sie beschloss, am vierten Tage von Gunzelins Besuch das Fräulein Sania in der Kemenate durch Mägde versorgen zu lassen, um ihrer Hofdame weiteres lüsternes Ungemach des Herrn Gunzelin zu ersparen. Herr Gunzelin war sechsunddreißig Jahre alt.

All dies bestärkte Larno darin, nicht jeden weltlichen Herren hierzulande, welcher sich dem geistlichen Herren gegenüber als bußfertig gab, zu vertrauen- vor allem nicht dem Herrn Gunzelin.

Vielleicht war es ein weiterer Zufall, dass Larno in den Rittern des weiteren Geleites für Herrn Gunzelin auch den Ritter Athulf erkannte, mit welchem Larno bereits hier auf Burg Genea einen nächtlichen Disput hatte. Gunzelin und Athulf schienen gut bekannt.

Manfred von Genea, der eingesetzte Voigt der Burg, bemerkte Larno's Zurückhaltungen gegenüber Herrn Gunzelin. In den neuerlichen Lehrstunden über das Burgwesen und auch die deutsche Sprache ließ sich Herr Manfred eines Tages dann doch dazu hinreißen, trotz seiner Treue zu den Ekkehardinger Herren einmal offen zu Larno zu sprechen.

„Ritter Larno, auch ich habe gegenüber Herrn Gunzelin persönliches Missempfinden. Da ich auch Herrn Ekkehard als seinen Bruder gut kenne, muss ich Euch gestehen, dass beide Herren unterschiedlicher nicht sein können, obgleich sie Beide die Kinder von Gunther von Merseburg sind und in gleichem Maße weltlich und kirchlich erzogen. Herr Ekkehard- wie auch Hermann- suchen die Aussprache zuerst und einen Weg der Vernunft. Bei Herrn Gunzelin hingegen stehen Bündnisranke im Vordergrund und er scheut sich auch nicht, mit seinen Mannen verschlagen und energisch mit Waffengewalt zur Erreichung seiner Ziele vorzugehen."

„Ihr habt meine Abneigung gespürt, wenngleich ich sie hoffte gut zu verbergen?", fragte Larno nach.

„Ich weiß, was ich gesehen habe- doch lasst es Herrn Gunzelin nicht erkennen. Er ist sehr mächtig und steht mit sehr vielen anderen Mächtigen im guten Bündnis. Manchmal bedarf es auch eines Mannes, wie Gunzelin einer ist. Gott lob, haben wir ja Herrn Ekkehard zum Herren über die Lande. Unter Gunzelin würde es .... naja, weniger friedlich hierzulande sein. Gunzelin besitzt neben der Kuckenburg nördlich von hier verschiedene Allodien mit der nahen Altenburg, der Pfalz Frose und Gebiete im Süden."

Mehr Worte bedurfte es nicht, um Larno vor Unbedachtheit zu warnen. Er musste sich halt noch besser selbst kontrollieren, wenn er mit hiesigen Herren auskommen wollte.

Nach Abreise Gunzelins erschien auch Fräulein Sania wieder zu allen Mahlzeiten und Kirchgängen im Gefolge der Herrin Reglindis.

Doch so, wie es Frau Sania erlaubt war, durfte sich Larno nicht einfach von den Aufgaben zurücknehmen.

Und da nunmehr die Hochzeit der Prinzessin von Tag zu Tag näher rückte, so wuchs auch seine Hoffnung- zum einen, bald in die linonischen Lande an seine Burg Bojek zurück entlassen zu werden und zum anderen, dass es vielleicht der edlen Nerin gelang, ihr Versprechen zur rechtzeitigen Rückkehr vor der Hochzeit der Herrin einhalten zu können.

Bis dahin schulte sich Larno über den Tag in den Aufgaben eines Voigtes und in der deutschen Sprache und am Abend in Kampfübungen in den stillen Flussauen nahe der Burg.


- Larno- Im Ränkespiel der MachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt