Krieg

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Lola und Glory bugsierten die müde Lisa nach unten. Lisa sah aus, als hätte man ihr gerade ihren sicheren Tod prophezeit. Lola konnte das nicht mitanschauen. "Lisa", flüsterte sie aufgebracht. "Versuch bitte, etwas glücklicher auszusehen! Bitte! Für Alex!"
Lisa nickte. Sie entspannte ihr Gesicht zu einem neutralen Ausdruck, dann setzte sie ein wenig überzeugendes Lächeln auf, aber es war besser als nichts. Sie atmete nochmals tief durch, dann stieß sie das Fenster zur Veranda auf und schritt hindurch.

Gejubel. Die Gäste hatten sich bis dahin sehr ruhig verhalten. Jetzt riefen sie wild durcheinander. Jonas hatte sich ein Partytrötchen gesaft und machte munter Lärm. John nahm alles für die Instastory auf. Maxwell führte irgendeinen komischen Tanz auf. Die anderen Gäste taten ähnlich verhaltensgestörte Dinge. Lola hätte gern gelacht, aber ihr war zum Weinen zumute.
Vor den Gästen stand Alex und grinste Lisa breit an. Lisa schaffte es, ein ehrliches Lächeln zustande zu bringen.

"Wow!", rief sie, und wohl nur Lola und Glory bemerkten den verzweifelten Tonfall, der in ihrer Stimme mitschwang. "Was für eine Überraschung!"

Alex trat auf sie zu und küsste sie. "Baby, setz dich hin", er wies auf den Sessel vor sich. "Ich habe dir etwas zu sagen."
Lisa tat wie ihr gehießen. Automatisch machte auch Lola einen Schritt nach vorn und stellte sich neben sie. Sie wollte, dass Lisa bemerkte, dass sie das nicht allein durchstehen musste.

"Baby, du hast meine Welt verändert", sagte Alex ehrlich. "Weißte, seit ich dich kenne, kann ich mir wirklich vorstellen, mit einer Frau das Leben zu verbringen. Du bist mir so ähnlich, dass ich dich einfach lieben muss." Lola schaute auf und sah Jonas sie vieldeutig anschauen. Sie musste lächeln. "Ich will, dass wir einen Schritt weitergehen. Und da du eh immer hier bist - macht es eigentlich keinen so echten Unterschied, aber ich habe dir hier einen Schlüssel machen lassen."
Er zog ihn hervor und reichte ihn Lisa. "Für das Haus. Ich will, dass wir zusammenziehen, Baby. Ich will, dass wir irgendwann eine Familie gründen. Und, weißte, ich will mit dir alt werden. Für immer." 

Er schaute Lisa erwartungsvoll an. Lisa - Lola hatte es kommen sehen - brach in Tränen aus.

Alex wirkte etwas verwirrt. Wahrscheinlich, weil er sie noch nie hatte weinen sehen. Lisa weinte ja auch nicht. Aber hier saß sie, vor ihm und der versammelten Mannschaft, und heulte Rotz und Wasser.

Keiner der Gäste sagte ein Wort. Jonas nahm die Tröte aus dem Mund und starrte Lola fassungslos an. Lola biss sich auf die Lippe. Sie betete, dass das hier gut ausging. Aber sie sah das Schlimmste kommen.

Nichts passierte. Dann, endlich, hob Lisa den Kopf, und sagte mit tränenverschmiertem Gesicht und weinerischer Stimme: "Ich kann das nicht." Und damit sprang sie auf und rannte davon - sie rannte wirklich hinaus, durch das Gartentor auf die Straße.

Lola brach es das Herz, Alex jetzt anzusehen. Sie sah, wie er völlig betäubt stehen blieb, wo er gestanden hatte, und auf den Fleck schaute, wo Lisa eben noch gesessen hatte. Sie sah Alex Welt zusammenbrechen. Sie hatte selbst den Drang zu weinen, als sie ihn so sah. Er war wirklich ein guter Kerl. Das hatte er nicht verdient; eigentlich hatte kein Mensch das verdient.

Niemand rührte sich. Lola sah Glory neben sich weinen und zog sie an sich. "Komm", sagte sie mit tonloser Stimme. "Wir müssen ihr nach."
Jetzt regte John sich. "Moment", fuhr er scharf dazwischen. "Wisst ihr, was los ist mit der Irren?"
Lola hatte ihn noch nie so wütend gehört. So wütend war er nicht mal gewesen, als Glory sein Handy in den Pool geworfen hatte. Damals war seine Stimme ruhig gewesen. Jetzt war sie kalter Hass. Jonas schien einfach nur aufgewühlt. Er sprang auf Lola zu und packte sie. "Was sollte das?", wollte auch er wissen. Aber Lola riss sich los.

"Das ist Lisas Sache", brachte sie heraus. "Ich...es tut mir leid, Jonas, ich...ich hab es ihr versprochen. Bitte...es tut mir so leid, Alex... ich muss ihr nach", sagte sie so flehend zu Jonas, dass er es zu begreifen schien. Er nickte, wenn auch widerwillig. Aber John war nicht bereit, sie gehen zu lassen. "Ihr werdet uns jetzt erklären, was hier los ist!", verlangte er und trat bedrohlich auf Glory und sie zu. "Ihr werdet das Alex jetzt erklären!"

"Das ist nicht unsere Sache", sagte Glory. Sie schien sich gefasst zu haben. Ihr Stimme war die Ruhe selbst. "Das ist allein Lisas Sache. Und sie muss ihm das erklären." Damit drehte sie sich um und rannte Lisa nach. Lola blickte Jonas verzweifelt an. "Du...du musst das verstehen", bat sie ihn verzweifelt, und dann sprintete auch sie Lisa nach.

Lisa zu finden war nicht so schwer, wie sie befürchtet hatten. Sie saß auf dem Bordstein vor dem Haus nebenan und weinte. Glory half ihr wortlos auf und zog sie Richtung S-Bahn-Station. "Komm schon, sonst rennt dir John noch nach, so dumm wie er ist", sagte sie entschieden. Lisa ließ sich mitziehen. Sie weinte, und weinte, und weinte. Weder Glory noch Lola konnten irgendetwas sagen, was sie dazu brachte, aufzuhören.

Sie brachten Lisa zu ihnen nach Hause und bugsierten sie in die Wanne. Lisa war wie eine willenlose Marionette. Lola wusch sie, weil sie es selbst nicht schaffte. Dann zog sie ihr ein T-Shirt von sich über und brachte sie in ihr Bett. Glory holte ihre Schlafsachen und warf sie ebenfalls noch dazu. Heute Nacht konnte keine von ihnen allein schlafen.

Jonas rief Lola gegen Mitternacht an. Aus seiner Stimme war zu hören, dass noch sehr viel Alkohol geflossen war. "Ist die Schlampe bei euch?", lallte er mehr als er fragte. Lola war zu müde, um sich deswegen zu ärgern. "Nein", log sie, aus Angst, dass die Jungs noch auftauchen würden und Ärger machten. "Sie ist bei ihren Eltern." Zum Glück wohnten die wirklich in Hamburg. Jonas fluchte, er schien die Lüge im betrunkenen Zustand nicht zu erkennen.

"Warum hast du mir nicht gesagt, was los ist?", wollte er dann aggressiv wissen.
"Weil ich Lisa versprochen habe, das ich es nicht tue", erwiderte Lola ruhig. "Hättest du mir etwas erklärt, wenn John dich darum gebeten hätte, es niemandem zu sagen?"
Er murrte zwar, schien es aber einzusehen. Dann sagte er, etwas nüchterner: "Alex ist am Ende."
Lola war zum Heulen zumute, als sie das hörte. "Tut mir wirklich leid", schaffte sie es zu erwidern. "Das hat er nicht verdient."

"Ne." Jonas schien unschlüssig.
"Du musst für ihn da sein", sagte Lola leise. "Die nächsten Tage. Ich denke, du solltest bei ihm bleiben."
Jonas stöhnte, aber Lola wusste, dass er nickte. "Ich weiß. Fuck it, deine behinderte Freundin. So eine Schlampe habe ich noch nie kennengelernt. Ihn so kaputtzumachen, das ist einfach nur..." er fand keine Worte für seine Wut.
Lola wollte nichts mehr dazu sagen. "Ich vermisse dich", sagte sie stattdessen. Das war die Wahrheit.
Irgendwie besänftigte ihn das. "Ich dich auch", antwortete er etwas ruhiger. "Ich muss jetzt los. John pöbelt schon die ganze Zeit, weil ihr uns nichts gesagt habt. Er will nicht, dass ich mit dir rede."
"Ich versteh ihn irgendwo, aber wie gesagt, das ist Lisas Sache", sagte Lola. "Machs gut. Ich hoffe, wir sehen uns bald."
"Ich auch", sagte Jonas noch und legte dann auf.

Lola schlich sich ins Zimmer. Lisa schien endlich zu schlafen. Sie klammerte sich eng an Glory und noch im Schlaf sah sie unendlich traurig aus.

Glory selbst war noch wach und am Handy. "John hat mir gefühlte tausend Nachrichten geschrieben!", wisperte sie, als Lola ins Bett schlüpfte. "Was wir für Fotzen seien, nichts zu sagen. Je später es wird, desto aggressiver wird er."
"Was sagt er denn?"
"Er will uns nie wieder sehen....wie wir es zulassen konnten, dass seinem Bruder so wehgetan wird...dass sie uns jetzt nicht mehr treffen können.. Ach, was weiß ich, er nimmt das als persönlichen Angriff", sagte Glory entnervt. "Was sagt Jonas denn?"
"Er ist nicht glücklich, aber er versteht es." Lola hoffte es zumindest.


I ve got 187 problems...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt