Thousandninetyfive days afterwards - Happiness

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Die Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg durch die dünnen Gardinen und tauchten das Schlafzimmer, welches sich in den letzten drei Jahren kaum verändert hatte, in ein sanftes, warmes Licht, das vergeblich über die klare Kälte hinwegzutäuschen versuchte. Mit ihnen tauchte allerdings auch eine bekannte halbdurchsichtige Person auf, die ein wenig weniger vergeblich über die Trauer dieses Tages hinwegtäuschte. "Aufwachen Yoonglez!", hauchte sie dem in eine dicke Decke eingewickeltem Yoongi zu, der wohlig seufzte als Jimin seine Arme um ihn schlang. Die Erinnerung an seinen festen und dennoch sanften Griff war im Gegensatz zu seiner physischen Gestalt noch genauso präsent wie am ersten Tag nach seinem Tod.

Er würde lügen, wenn er sagen würde, dass er die Personifikation seiner Erinnerung an Jimin nicht vermisst hätte. Er würde lügen, wenn er behaupten würde, dass er den realen Jimin nicht immer noch genauso vermissen würde wie am ersten Tag nach dem Anschlag. Und er würde lügen, wenn er versichern würde, dass sich nicht ein kleines bisschen auf den Todestag seines Seelenverwandten gefreut hätte. Nicht etwa, weil es ein freudiges Jubiläum wäre, nein, aber es war der einzige Tag im Jahr in dem er sich den Erinnerungen mit jeder Faser seines Körpers hingab, der einzige Tag im Jahr in denen er ihnen erlaubte richtig lebendig zu werden.

Sofern man den Lufthauch, der ihn vergeblich zum Aufstehen bewegen wollte, als lebendig bezeichnen konnte.

"Ich hab dich vermisst Jiminie.", flüsterte Yoongi und eine winzige Träne rann seine Wange herab, in ihr brach sich das goldene Licht und ließ sie glitzern, als wäre sie der kostbarste Schatz der Welt. "Das sollte dich aber nicht am Aufstehen hindern Sweetheart, je eher du deinen wunderschönen Arsch hoch bekommst desto mehr Zeit haben wir zusammen. Ich würde dir ja gerne Frühstück ans Bett bringen, aber ich kann nicht bewegen, was ich nebenbei gesagt echt unfair finde.", antwortete Jimin und zog einen Schmollmund. Yoongi verlor sich noch kurz in seinem Anblick, ließ sich in seinen Augen versinken und schenkte ihm ein kleines Lächeln, denn Jimin war auch ohne glitzernes Sonnenlicht der kostbarste Schatz seiner kleinen Welt. Dann raffte er sich auf und machte sich auf den Weg zu seinem Kleiderschrank, doch seine Casual Wear Stapel blieben unangetastet, stattdessen griff er nach einem Hemd und einer Jeans, die beide Jimin gehört hatten. Wenn Yoongi schon nostalgisch wurde, dann auch richtig.

Als er kurz darauf in einem kuscheligen Parka das Haus verließ zierte ein breites Grinsen sein Gesicht, was einfach nur der Tatsache geschuldet war, dass Jimin neben ihm her lief, mit Kurs auf ihr gemeinsames Lieblingscafé.

"Lass mich raten, Apfelstrudel mit Vanilleeis und einen heißen Kakao mit einer Menge Marshmellows?", fragte Jimin kichernd, als Yoongi sich in die Speisekarte vertiefte, obwohl seine Auswahl von vornherein feststand. "Woher weißt du das?" Yoongi sog geräuschvoll die warme, nach frischem Gebäck duftende Luft ein und war sehr um einen geschockten Tonfall bemüht. "Tja, vielleicht bist du doch nicht so undurchschaubar wie du meinst.", verkündete Jimin mit einem triumphierenden Grinsen. "Sagte der Durchsichtige.", erwiderte Yoongi belustigt wärend er die Speisekarte beiseite legte.

...

Nebel legte sich langsam über Seoul, behutsam und vorsichtig, als wäre er die Decke eines Kleinkindes, die die Eltern sanft auf ihr Kleines legen, bedacht darauf es nicht zu wecken. Doch Seoul würde der Nebel eh nicht wecken können, da die Stadt nie schlief.

Jimin und Yoongi spazierten über den Fußgängerstreifen einer belebten Autobrücke, so vertieft in eine Unterhaltung, dass sie beinahe nicht bemerkten um was für eine Brücke es sich handelte. Aber auch nur beinahe.

"Weißt du noch, hier habe ich dich, also dich als Erinnerung zum ersten Mal getroffen.", merkte Yoongi an, während sein Blick nostalgisch in die Ferne schweifte. Er war stehen geblieben, um an das Geländer zu treten. Die Lichter Seouls spiegelten sich teilweise in dem im spärlichen Licht der untergehenden Sonne tiefschwarz erscheinenden Wasser, der dichter werdene Nebel machte es dem jungen Koreaner schwer den Schimmer der verwischten Lichtreflektionen klar zu erkennen.

Er genoß den Ausblick sichtlich, doch plötzlich brachten hunderte Gedanken die ruhige Ordnung seines Kopfes durcheinander und ohne Vorwarnung fühlte sich in der Zeit zurückversetzt, dachte an jenen Moment, in dem er ernsthaft bereit gewesen war sein Leben zu beenden, alles für immer hinter sich zu lassen. In Bruchstücken spürte er seinen Schmerz von damals, die Trauer, die Verzweiflung.

Doch diese Bruchstücke reichten breits aus um seine schwache Fassade bröckeln zu lassen, um ihn kurz zusammenbrechen zu lassen. Sie reichten aus um die Tränen wieder fließen zu lassen, die er lange schon nicht mehr vergoßen hatte. Sie verschleierten seine Sicht, doch mehr noch verschleierten sie seinen mühevoll wieder aufgebauten Optimismus. Auf einmal waren all die dunklen Erinnerungen wieder da, die er mühevoll aus seinem Gedächtnis verbannt hatte, doch auch das gehörte zu Jimins Todestag dazu. Die Erinnerungen wurden lebendig, die guten wie die schlechten.

Das Brückengeländer gab ihm Halt als er sich selbst keinen mehr geben konnte und Jimin spendete ihm Trost, als er nicht mehr in der Lage war an Gutes zu denken.

"Yoonglez, nimm dir Zeit, aber mach bloß keinen Scheiß. Wir müssen doch noch die alljährliche Diskussion über die Eignung von Grabsteinen als Sitzgelegenheiten führen! Ich stell mich da sicher nicht an mein Grab und führe Selbstgespräche." Und wie eigentlich immer fand Jimin genau die richtigen Worte, um Yoongi aus seinen kurzen Momenten der Schwäche zurück zu holen. Er richtete sich wieder vollständig auf und der Tränenfluss versiegte beinahe so schnell wie er begonnen hatte.

Yoongi selbst konnte sich nicht erklären wie das passieren konnte, wie er innerhalb von Sekunden aus seinem normalen Leben gerissen und zu einem heulenden Gedankenchaos werden konnte. Doch er hatte in den vergangenen drei Jahren damit umzugehen gelernt. Er hatte in den vergangenen drei Jahren mit einer Menge Scheiß umzugehen gelernt.

...

Als er die blauen Rosen auf das Grab legte war die Welt für Yoongi wieder ein kleines Stückchen in Ordnung, so in Ordnung wie sie in ihrem Chaos eben sein konnte.

In den Momenten an dem Grab seines Freundes kam ihm dessen Tod realer vor, klarer.

Es war schmerzhaft, aber auf eine gewisse, unerklärliche Weise auch beruhigend.

Jimins Grab war gepflegt, wie er es gewollt hätte und die blauen Rosen hätten ihm auch gefallen, genauso wie die Kerzen und die Briefe, die er manchmal herbrachte.

Doch am meisten hätten ihn wohl Yoongis Besuche gefreut.

...

"Ich bin stolz auf dich.", murmelte Jimin. Er ließ seinen Blick von der schier unendlichen Weite des Sternenhhimmels in die schier unendliche Weite von Yoongis Augen gleiten. "Warum?", fragte Yoongi und kuschelte sich noch ein wenig mehr an Jimin und unter die flauschige Decke, er suchte Wärme, denn der Balkon wurde langsam von der nächtlichen Kälte heimgesucht. "Du hattest heute nur einen kleinen Zusammenbruch, aber das ist es nicht mal. Du hast in nur drei Jahren so viel erreicht, egal ob du mal schwache Momente hast oder nicht. Ich kenne niemanden der so stark ist wie du Yoonglez."

...

Und obwohl Yoongi wusste, dass er am nächsten Tag allein aufwachen würde schlief er mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen ein. Denn egal ob sie nun eine Gestalt hatten oder nicht, die Erinnerungen an Jimin konnte ihm nichts und niemand nehmen. Nicht mal eine Haftbombe.

Ende


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