Genosse Leonid Iljitsch

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„Würden Sie uns mit der jungen Dame alleinlassen?", bittet Breschnew die Anwesenden kühl und lässt den abschätzigen Blick dabei kurz auf dem hyperventilierenden Leonidov und dessen Pute von Frau ruhen. So wie der zweitmächtigste Mann der Sowjetunion es wünscht, ist das Zimmer innerhalb weniger Minuten wie leergefegt. Zurückbleiben nur er, meine Wenigkeit und eine Mischung aus nagender Ungewissheit und genervter Skepsis. Das kann ja mal heiter werden.

Instinktiv verschränke ich die Arme vor der Brust und mustere ihn von Kopf bis Fuß, genauso wie er es bei mir tut. Obwohl es nur höflich wäre, macht er keinerlei Anstalten, sich von seinem Platz auf dem potthässlichen Sofa zu erheben und mich anständig zu begrüßen. Andererseits – ein Mädchen in abgetragener Winteruniform, die ihr auch noch viel zu groß ist, wirkt wohl nicht gerade wie eine Dame, der man die Hand zur Begrüßung küssen müsste. Schätze, ich kann froh sein, dass er mich nicht erstmal entlausen will, bevor er sich mit mir unterhält.

„Sie haben gestern gute Arbeit geleistet, Jelizaveta Alekseevna", stellt er nüchtern fest und taxiert mich mit seinen unergründlichen, dunklen Augen. „Zwei deutsche Spione mit einem Streich auszuschalten. Wirklich nicht übel."

„Leider ist ein Dritter entwischt", ergänze ich genauso sachlich, bemüht darum, meine Emotionen weiterhin in Schach zu halten und mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es in mir drin eigentlich brodelt.

Auf einmal bricht er in schallendes Gelächter aus, als hätte ich gerade den Witz des Jahres erzählt. „Junge Dame, eins unserer Kommandos wurde neulich hochgenommen und da sah es genau andersrum aus – bis auf einen unserer Agenten ist die komplette Gruppe ausgeschaltet worden", erklärt er amüsiert. „Da ist mir Ihre Quote deutlich lieber."

„Interessant, dass sich die Nachricht von meinem Erfolg so schnell bis nach Nowosibirsk verbreitet hat", bemerke ich, wobei in meiner Stimme trotz all meiner Bemühungen ein Hauch von Sarkasmus mitschwingt.

„Unser Land ist ein großes Dorf, in dem sich solche Nachrichten schneller als ein Steppenbrand im Sommer ausbreiten", entgegnet er achselzuckend, ehe er sich einen Moment lang erneut Zeit nimmt, um mich einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. „Ihr Ruf ist mir ebenfalls bereits zu Ohren gekommen. Die Sträflinge hier nennen Sie Strelok. Offensichtlich zurecht." Strelok – der Schütze. Na ja, immer noch besser als Miststück oder das Mädchen mit der schwarzen Seele.

„Auch Alexei Nikolajewitsch hat mir bestätigt, dass Sie wohl über beachtliches Talent verfügen", fährt Breschnew fort. Halt, Ljoscha hat mit ihm über mich gesprochen? Unwillkürlich zuckt meine rechte Augenbraue in die Höhe und der Zug um meinen Mund verhärtet sich. Was zum Teufel ist hier los?

„Sie werden wohl kaum den weiten Weg zurückgelegt haben, um mit mir über meine Schießkünste zu reden, oder?", erwidere ich etwas zu forsch. Geduld mit Menschen war noch nie eine meiner Stärken. Ich meine, Geduld für die Jagd kann ich problemlos aufbringen. Aber Menschen – die sind wohl generell nicht so meine Stärke.

„Verzeihung, in meinem Metier kommen die Wenigsten gleich zur Sache", bemerkt er lächelnd und breitet entschuldigend die Arme aus. Klar, Politiker sind Quatschkünstler und wenn sie nicht quatschen würden, als gäb's kein Morgen, würden die Leute ja merken, was für einen Unsinn unsere sogenannten Volksvertreter meistens von sich geben – und dann wären ihre glänzenden Karrieren wohl allesamt mit einem Schlag beendet. „Nach allem, was man mir über Sie berichtet hat, sind Sie gewissenhaft und können den Mund halten. Jemanden mit solchen Vorzügen kann ich gut gebrauchen."

„Wofür?", hake ich zunehmend ungeduldig nach. Allmählich fängt mein Herz an schneller zu schlagen. Etwas in mir kennt die Antwort bereits, aber mein gesamtes Ich stemmt sich voller Panik dagegen.

Strelok - Die SchützinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt