Blind [Miss Davis & Melissa]

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Hey hey,
lang lang ist es her, seit ein neuer Oneshot kam, aber hier ist nun einer und das sogar aus Lehrersicht. Ich hoffe sehr, er gefällt euch. :)

Aura

Wörter: 1801

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„Bis Morgen, Melissa", verabschiedete ich mich von dem Mädchen, dem ich in den letzten zwei Stunden versucht hatte, die amerikanische Geschichte etwas näher zu bringen. Obwohl ich mir die größte Mühe gegeben hatte, war ich dennoch nicht zu dem Mädchen durchgedrungen. Die Hoffnung, dass etwas von dem, das ich sie lehrte - so klein dieses Etwas auch sein mochte - bei ihr ankam, ließ mich nicht aufgeben und motivierte mich zum Weitermachen.

„Bis morgen", verließen die gleichen Worte auch Melissas Lippen. Ihre Stimme war hell und doch von einer Traurigkeit durchzogen, dass es mir schwer fiel, mir das lebensfrohe Mädchen vorzustellen, dass es einmal gewesen war.

Ich lächelte sie an, obwohl sie es nicht sehen konnte, schulterte meine Tasche und steuerte nach einem letzten Blick auf Melissa die Eingangstür an. Mit jedem weiteren Tag, den ich hier kam, fiel es mir schwerer zu gehen. Es behagte mir nicht, das Mädchen ganz alleine in diesem großen Haus zu lassen.

Als ich als Melissas Hauslehrerin begonnen hatte, hatte ich Mr und Mrs Clay noch gelegentlich zu Gesicht bekommen. Das hatte sich mittlerweile geändert. Die beiden flüchteten in ihre Arbeit und der Kontakt beschräkte sich auf ein paar sporadische Anrufe und Nachrichten. In gewisser Weise verstand ich weshalb sie die Arbeit ihrer Tochter vorzogen. Mitanzusehen wie die eigene Tochter mit der neuen Lebensituation umgehen musste, musste sicher ausgesprochen schwer sein.

Draußen war es recht kühlt, trotz der Tatsache, dass wir bereits Mai hatten. Daher dauerte es nicht lange, bis ich feststellte, dass ich meine Jacke im Inneren des Hauses vergessen hatte. Da ich mit dem Auto gekommen war, hätte ich sie problemlos ein Tag bei den Clays lassen können, aber etwas in mir sträubte sich dagegen. Also drehte ich mich um und suchte im Inneren meiner Tasche nach dem Schlüssel für die Eingangstür. Mr Clay hatte ihn mir vor ein paar Wochen gegeben und ich hatte ihn trotz Proteste meinerseits angenommen.

Ich öffnete die Tür und trat in den geräumigen Flur. „Melissa, ich bin es. Ms Davis. Ich hab meine Jacke vergessen und will sie nur schnell holen", machte ich auf mich aufmerksam. Immerhin wollte ich Melissa keinen Schrecken einjagen, sollte sie meine Schritte im Haus hören.

Im Haus blieb es still. An sich nichts Ungewöhnliches, heute jedoch beunruhigte mich diese Stille. Meine Jacke hing in der Garderobe neben dem Flur, wo ich sie bei meiner Ankunft aufgehängt hatte. Das jedoch war in der Sekunde nebensächtlich geworden, als ein Geräusch die Stille durchbrach. Es war leise und doch erkannte ich es sofort. Ein Schluchzen. Es führte mich ins Wohnzimmer. Mitten im Raum auf dem edlen, schwarzen Sofa saß Melissa. Sie hatte die Beine angewinkelt an ihren Oberkörper gedrückt. Ihr Kopf ruhte auf ihren Knien, sodass ihre lange, blonde Lockenmähne wie ein Mantel über Hände und Beine fiel.

Es versetzte mir einen gewaltigen Stich ins Herz sie dort zusammengekauert sitzen zu sehen. „Melissa?", verließ ihr Name in einem sanften Tonfall meine Lippen. Sie reagierte nicht. Ich wusste nicht, ob sie mich nicht gehört hatte oder nicht hören wollte. Als sie ein weiteres Mal nicht reagierte, bewegte ich mich langsam auf sie zu und ließ mich schließlich neben sie auf dem Sofa nieder. „Melissa, hier ist Ms Davis." Ich legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter. Ihr Körper ziterte, bebte. Was nur hatte sie derart aus der Fassung gebracht? Als ich gegangen war, hatte sie immerhin nicht viel anders gewirkt als sonst. Ruhig, verschlossen und traurig. Verletzt.

Lehrer-Schüler OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt