Danke [Frau Lang & Clea]

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Wörter: 1450


Für B, weil Sie nicht weggesehen haben.


Neunzehn mehr oder weniger neugiere Augenpaare lagen auf mir, noch bevor ich meine Tasche neben dem Pult abgestellt hatte. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen drehte ich mich zur Klasse.

„Guten Morgen", begann ich, „wie ein paar von euch sicher schon wissen, hat Frau Fiegle die aus gesundheitlichen Gründen  die Schule verlassen. Aus diesem Grund werde ich sie als eure neue Klassenlehrerin für die folgenden vier Monate vertreten."

Diejenigen, die gedanklich noch in ihrem Bett verweilt hatten, sahen nun ebenfalls nach vorne und lauschten meiner Vorstellung. Oder sie taten zumindest so. Ob diese Schar an Siebtklässlern tatsächlich so aufmerksam war, wie sie den Anschein machte, würde ich erst in den folgenden Wochen in Erfahrung bringen.

„Mein Name ist Frau Kowalenski." Da ich bereits die schrägsten Varianten meines Namens gesehen hatte, schrieb ich meinen Namen in deutlichen Druckbuchstaben an die Tafel. „Neben meiner Rolle als eure Klassenlehrerin werde ich noch zusätzlich Frau Fiegles Fächer übernehmen."

Ein Junge mit wildem, blonden Haar in der mittleren Reihe stieß hörbar die Luft aus. „Können wir Mathe nicht einfach streichen?" Er sagte das einem derart theatralisch verzweifelten Tonfall, dass die Klasse zu lachen begann. Damit war das Eis gebrochen.

Nach meiner ersten Stunde mit meiner neuen Klasse, erwartete mich ein Doppelblock Mathe in der Oberstufe. Wäre ich zehn Jahre jünger und stünde auf der anderen Seite des Schulsystems, wäre ich längst innerlich vor Anspannung gestorben.

Glücklicherweise war ich weder siebzehn noch eine Schülerin dieser Schule. So fiel es mir deshalb nicht schwer, ein Lächeln aufzulegen, als ich den Klassenraum betrat. Die Stunden verliefen erstaunlich gut, obwohl die Mathematik nur bei sehr wenigen Anklang fand.

Da ich an diesem Tag nur zwei Klassen unterrichtete, war der Tag für mich noch vor zwölf Uhr zu Ende. Bessergesagt er wäre es gewesen, hätte ich nicht noch einen kurzen Abstecher ins Lehrerzimmer unternommen. Die Kollgen, die ich bisher kennengelernt hatte, waren ausgesprochen nett zu mir gewesen. Einige waren allerdings gesprächiger als andere. Eben ein solches Exemplar bot mir eine Tasse dampfenden Kaffee an. Und, da ich nicht bereits an meinem ersten Tag unhöflich sein wollte, nahm ich das unliebsame Getränk an mich. Wahrscheinlich war ich einer der wenigen Menschen, denen Kaffee ein Grauß war.

„Sag mal, kann es sein, dass du selbst einmal Schülerin an dieser Schule warst?", fragte mich meine ehemalige Chemielehrerin, nachdem sie sich über den Verlauf meines ersten Tags als Lehrerin an dieser Schule  erkundigt hatte.

Wie von selbst, verzogen sich meine Lippen zu einem kleinen Lächeln. Es hätte in Anbetracht an die Erinnerungen an meine Schulzeit bitter wirken müssen, das tat es aber nicht. Die Vergangenheit blieb Vergangenheit. Für mich bedeutete das, nach vorne zu schauen, anstatt zurück.

„Vor knapp zehn Jahren habe ich mein Abitur hier gemacht", bestätigte ich ihr. „Ich scheine allerdings keinen besonders großen Eindruck hinterlassen zu haben. Sie sind bisher die Einzige, die mich darauf angesprochen hat."

Bis auf den Direktor, der immerhin meinen Lebenslauf vor sich liegen hatte, schien keiner meiner neuen Kollegen mich als eine seiner ehemaligen Schüler identifiziert zu haben. An sich nicht sehr verwunderlich. Es kamen jedes Jahr duzende neue Schüler an die Schule und im Laufe der Jahre verschwammen so einige Gesichter oder Namen gerieten in Vergessenheit. Erst recht, wenn die Nachnamen wechselten.

Lehrer-Schüler OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt