Kapitel 10

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Selena

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Selena

Mit meinem Buch auf dem Schoß habe ich es mir im Schneidersitz auf meinem Bett gemütlich gemacht. Vertieft in die Geschichte der französischen Geheimagentin, nehme ich das eingeschaltene Radio kaum mehr wahr. Das Haus ist friedlich und ruhig. Mein Dad wird heute wahrscheinlich nicht nach Hause kommen. Er ist aus und nimmt sich ein Zimmer in Northeim, um nicht mehr fahren zu müssen. Das macht er Freitags oft so und ich muss zugeben, dass es mir auch ganz Recht ist. So muss ich mich nur um mich selbst kümmern, brauche nicht zu kochen, wenn mir ein Brot reicht, und kann mich einfach etwas entspannen.
Heute ist es allerdings etwas anders.
Irgendwie bin ich aufgewühlt und unruhig, und ich weiß, dass das nicht nur mit der spannenden Geschichte zu tun hat.
Mittlerweile ist es schon nach 20:00 Uhr. Die Anderen aus meiner Schule sind bestimmt schon an den Docks.

Irgendwie wäre ich gerne hingegangen, aber ich kann mich nicht überwinden. Ich würde mich wahrscheinlich auch gar nicht wohlfühlen, da ich viel zu schüchtern bin. Manchmal würde ich das gerne ablegen, wäre gerne mutiger, weniger pessimistisch. Ich wäre so gerne auch einfach mal selbstbewusster, spontan, eben ein Bisschen  weniger … wie ich.
Aber nein. Ich bin das Mädchen, das immer alles abwägen muss. Die immer auf den perfekten Moment wartet, um dann das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Warum schaffe ich es nicht ein einziges Mal, mich impulsiv auf etwas einzulassen?
  Es wäre eine wirklich gute Gelegenheit die Anderen besser kennenzulernen und endlich mehr Anschluss zu finden.
  Typisch für mich selbst zerbreche ich mir gefühlte Stunden den Kopf, statt einfach einmal spontan alle Zweifel über Bord zu werfen.
Aber was hält mich auf?
Dad ist nicht hier. Naja, selbst wenn er hier wäre, würde es ihn wahrscheinlich eh nicht interessieren, was ich so mache, solange eine warme Mahlzeit auf dem Herd und ein kaltes Bier im Kühlschrank steht. Ich habe die Hausaufgaben bereits erledigt und sonst ist nichts zu tun. Was soll ich schließlich wieder die halbe Nacht einsam und verlassen hier im Bett sitzen und lesen?
Dann tue ich etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es wage.

Schnell springe ich unter die Dusche, bevor sich meine neue Entschlossenheit wieder verflüchtigt. Dann versuche ich mit zittrigen Händen meine Haare zu glätten und Make up aufzutragen. Ohne lange darüber nachzudenken, fällt meine Kleiderwahl auf meine dunkelblaue Jeans mit einem langen Pulli und den passenden Stiefeln. Aufgeregt werfe ich mein Handy, etwas Geld und meinen Schlüssel in die Tasche und verlasse das Haus, bevor mich der Mut doch noch verlässt.

Mit dem Fahrrad brauche ich keine fünfzehn Minuten bis ich die Dam Road herunter gefahren bin. Es kostet mich zwar nochmals jede Menge Überwindung, mein Rad am Zaun vor dem Pier abzustellen. Doch auch diese Hürde kann ich überwinden.
Stolz auf mich selbst, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und versuche Nancy zu erreichen. Sie hatte ja gesagt, dass sie wahrscheinlich ans Pier kommen will. Hoffentlich freut sie sich auch, mich hier zu treffen. Einige Male klingelt es, dann schaltet sich die Mailbox an. Also werde ich unten nach ihr schauen müssen.
Hier ist es weniger beleuchtet, kaum besucht und nicht unbedingt einladend. Allerdings kann ich von weitem schon ein paar Leute erkennen.
Erst als ich ein Stück näher komme, merke ich, dass viel mehr los ist, als ich angenommen hatte.
Mit Bechern und Flaschen in der Hand, sitzen die Leute auf dem Boden. Ausgelassen wird sich unterhalten, gelacht, getrunken und geraucht. Eigentlich nichts was mich begeistern würde, aber auch längst nicht so gruselig, wie befürchtet.
Angestrengt lasse ich den Blick durch die  Menge schweifen, um Ausschau nach Nancy oder Till zu halten. Zumindest hoffe ich, dass Nancy nicht doch mit ihrer Cousine nach Northeim gefahren ist um Cocktails zu trinken.

  „Hey, bist du alleine hier?“, raunt eine tiefe Stimme nahe hinter mir und lässt mich zusammenzucken.

  „Nein“, japse ich.

Vor mir steht ein großer, blonder Typ, den ich zuvor noch nie gesehen habe.

  „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken“, sagt er verlegen lächelnd „Du sahst nur gerade so verloren aus.“

Hier im Dunkeln wäre er mit seiner schwarzen Jeans und dem grauen Hemd nahezu perfekt getarnt, wenn seine gestylten Wellen nicht im Mondlicht schimmern würden.

  „Ich wollte mich hier mit ein paar Klassenkameraden treffen“, erkläre ich, „Ich habe sie aber noch nicht gefunden.
Hier ist mehr los, als ich dachte."

  „Ja, das stimmt wohl. Eigentlich hatte ich nicht erwartet, dass man hier in Edinburn am Wochenende irgendwo Spaß haben kann. Es scheint fast so, als würden sich alle unter Dreißig hier unten am Pier tummeln. Ich bin übrigens Regnar.“

Grinsend streckt er mir seine Hand entgegen, um sich vorzustellen. Etwas an ihm wirkt direkt unglaublich vertraut, als würden wir uns schon eine ganze Weile kennen.

„Selena“, stelle auch ich mich vor, „Du bist also nicht aus der Gegend?“

Langsam schüttelt er den Kopf, während seine dunklen Augen mich fixieren.

  „Nein, ich bin nur ein paar Tage hier. Dann will ich nach Northeim und weiter nach York. Ich habe da Verwandte, die ich lange nicht mehr besucht habe.“

  „Da kommst du ja ganz schön rum“, merke ich an.

Ein wenig beneide ich ihn um die ungebundene Freiheit, die er genießt. Ich kenne nur Edinburn und Northeim. Weiter bin ich noch nie gekommen.

„Und du gehst hier zur Schule, ja?“, fragt er.

„Auf die Edinburn High. Ich mache dieses Jahr meinen Abschluss.“

„Cool, welche Kurse hast du belegt?“

„Regnar?“, donnert eine andere Stimme durch die Nacht.

Aus dem Dunklen tritt ein großer schwarzer Schatten. Erst als sein Gesicht vom Licht der Straßenlaterne erfasst wird, erkenne ich ihn.

  „Regnar, was treibst du hier? Wolltest du nicht weiter in die Stadt?“

Die Stimme des Neuen wirkt seltsam feindselig.

  „Hey Kill, ich hab’s mir gerade anders überlegt. Vielleicht bleibe ich noch ein paar Tage länger“, entgegnet ihm Regnar mit einen breiten Piratenlächeln auf den Lippen.

  „Ach ja? Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?“, hakt der Neue nach.

„Hier scheint es gar nicht so übel zu sein, wie ich dachte“, erklärt Regnar, bevor er sich wieder an mich wendet „Selena, das ist mein alter, und wohl gerade schlecht gelaunter, Kumpel Kill.“

„Eigentlich Killian“, berichtigt der Neue seinen vermeintlichen Freund.

„Killian Nox“, verbessert sich Regnar augenrollend selbst.

  „Wir kennen uns schon aus der Schule“, brummt der Neue wieder.

Dafür, dass die Beiden Freunde sind, reagiert er ziemlich genervt.

„Da vorne sind die Anderen.“

Mit einer Kopfbewegung deutet Killian nach hinten ans Wasser.

  „Ach super, Kill, du hast ihre Freunde gefunden? Dann mal los. Vielleicht haben sie ja auch ein Bierchen für mich übrig“, sagt Regnar, wobei er mir seine Hand in den Rücken legt und mich behutsam in Richtung Wasser schiebt.

Meine Stiefel versinken ein Stück im Sand. Der Wind bläst am Wasser direkt etwas kühler. Allerdings bin ich nicht sicher, ob meine Gänsehaut gerade vom Wind oder meiner Aufregung kommt. Wie werden die Anderen reagieren, wenn ich plötzlich auch auftauche?
Würde mich Regnar nicht führen, wäre ich wohl ins Stocken gekommen.

Bevor wir die Gruppe erreichen, wird Killian von zwei bereits merklich angetrunkenen Blondinen aufgehalten.

„Eeey Killian, wie toll, dass du da bist“, säuselt das Mädchen in den hautengen Jeans, während sie ungeschickt am Kragen seiner Lederjacke spielt.

Und auch ihre Freundin lässt sich nicht  aufhalten, direkt ein wenig auf Tuchfühlung zu gehen.

  „Jaaa, ich habe schon auf dich… gewartet“, startet auch sie einen Flirtversuch.

Da dieses Schauspiel zu peinlich ist, um es weiter zu beobachten, gehen Regnar und ich weiter, bis ich auf ein paar bekannte Gesichter stoße.

  „Selena? Was machst du denn hier?“, ruft Rebecca, „Komm‘ setzt sich zu uns.“

Erst jetzt scheint sie zu bemerken, dass ich nicht alleine bin. Neugierig mustert sie Regnar von oben bis unten.

  „Hallo? Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Becky.“

  „Regnar, freut mich“, antwortet er kurz, bevor er sich mir zuwendet, „Hast du Durst? Ich kann uns ein paar Bier besorgen.“

Ich könnte schwören, dass seine Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde herausfordernd zucken, was mir ein seltsames Gefühl in die Magengegend zaubert.
Zögerlich nicke ich. Normalerweise trinke ich nicht, aber heute werde ich eine Ausnahme machen. Vielleicht hilft es mir ja, etwas mehr aus mir heraus zu kommen.

„Gerne, ich warte hier“, antworte ich ihm, während sich unsere Blicke treffen.

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