Kapitel 16

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Selena

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Selena

Leise schließe ich die Tür auf. Im Wohnzimmer flackert das Licht vom Fernseher und die Stimme von Adam Smith, dem Moderator von ‚Guess what‘ ertönt.

„Dad?“, rufe ich mit gedämpfter Stimme, „Ich bin wieder da.“

Schnell hänge ich meine Jacke an den Haken und kicke die Schuhe vor den Schrank.

  „Selena? Bischd dus.“

Er lallt, eindeutig. Schmerzlich zieht sich mein Magen zusammen. Ich hasse es, wenn er zu Hause trinkt, weil ich einfach nie weiß, ob es in Aggression umschlägt.
Zögerlich trete ich ins Wohnzimmer.

  „Ja, ich bin wieder da. Geht es dir gut Dad?“, sage ich, während mein Blick über den Couchtisch wandert, auf dem nicht nur die Reste unseres Abendessens stehen, sondern auch sechs leere Bierflaschen.

„Allesch okay, meine Kleine. Isch schau hier noch des Quiz“, nuschelt mein Dad merklich benommen.

Aber immerhin scheint er noch gut gelaunt zu sein.

„Mach das, Dad. Ich werde nach oben gehen und noch ein bisschen für die Schule lernen.“

Ohne auf eine weitere Reaktion zu warten, husche ich die Treppe hoch in mein Zimmer. Vorsichtshalber schließe ich die Tür ab, bevor ich meine Tasche auf den Schreibtischstuhl werfe und mich aufs Bett fallen lasse.
Einige Minuten liege ich regungslos da, starre einfach an die Decke und warte. Auf was genau, das weiß ich selbst nicht so wirklich. Vielleicht darauf, dass ich die schweren Schritte meines Vaters die Treppe nach oben poltern höre. Oder auf das beruhigende Geräusch seines lauten Schnarchens, wenn er auf dem Sofa eingeschlafen ist. Vielleicht warte ich auch darauf, dass jemand mir erklärt, was im Reiner‘s passiert ist, warum die Situation so schnell so extrem eskaliert war, und was Killian damit zu tun hat.
Meine Gedanken drehen sich unentwegt um Regnar, Killian und diese seltsamen Männer. Sie schienen Killian gekannt zu haben. Aber was ist vorgefallen, dass sie so wütend auf ihn waren? Dazu sehe ich ständig Kilians wütende Augen vor mir, so hasserfüllt und kalt.
Plötzlich schrecke ich auf. Was war das? Es klang, als wäre etwas gegen mein Fenster geknallt. Verwirrt blicke ich raus in die Dämmerung. Da klopft es erneut dumpf gegen die Scheibe. Erschrocken springe ich auf, um in den Hof zu schauen. Ich traue kaum meinen Augen. Unten steht ein großer, dunkler Schatten, der als er mich bemerkt, mit den Armen winkt. Ich erkenne Killians Figur sofort. Also schiebe ich das Fenster ein Stück auf.

„Was willst du denn hier?“, frage ich gerade so laut, dass er mich hoffentlich hören kann.

„Ich muss mit dir reden“, antwortet er ebenso leise.

Eigentlich würde ich gerne protestieren, weil ich aber nicht möchte, dass er Dad aufscheucht, schiebe ich das Fenster wieder zu, schnappe meinen Schlüssel und schleiche nach unten. Tatsächlich ist Dad bereits eingeschlafen. Also hole ich meine Jacke und ziehe die Wohnungstür leise hinter mir ins Schloss.

  „Was hast du denn hier zu suchen?“, frage ich schroffer, als eigentlich gewollt.

Mit den Händen in den Hosentaschen, tritt er von einem Bein aufs andere.

  „Du warst so schnell weg. Ich wollte schauen, ob es dir gut geht.“

  „Ähm, ja. Es geht mir gut“, antworte ich, bevor sich eine unangenehme Stille zwischen uns breit macht.

Verlegen schaue ich auf den Boden, während ich mir eine Strähne aus dem Gesicht streiche.

  „Wolltest du sonst noch etwas? Ich meine…“, versuche ich ungeschickt das Schweigen zu brechen.

„Ja, ich meine eigentlich nicht“, redet Killian, „Ich hatte mir nur Sorgen gemacht. Da ging es ja ganz schön zur Sache.“

„Das stimmt. Was wollten diese Kerle eigentlich? Warum waren sie so aufgebracht?“, forsche ich nach, was Killian absolut unangenehm zu sein scheint. Ich bin jedoch der Meinung, eine Erklärung verdient zu haben.

  „Das ist eine lange Geschichte.“

Wie erwartet versucht er das Thema herunter zu spielen, aber ich lasse nicht locker.

  „Und ich liebe lange Geschichten.“

Ein verunsichertes Grinsen huscht ihm übers Gesicht.

  „Laufen wir ein Stück?“, fragt er schließlich, und obwohl der Wind bereits Recht frisch ist, stimme ich nickend zu.

Wir gehen eine ganze Weile die Straße entlang, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Verstohlen beobachte ich Killian aus dem Augenwinkel. Die Hände immer noch in seinen Taschen vergraben, spielt er mit den Zähnen am kleinen Silberring an seiner Lippe. Auch wenn er im ersten Moment gelassen wie immer wirkt, verraten seine Gesichtszüge, dass er angespannt ist. Er hat etwas zu verbergen, da bin ich mir nun nur noch sicherer. Aber was? Ich werde es herausfinden.

  „Also“, sage ich mit fester Stimme, „Woher kennst du diese Männer?“

Statt mir zu antworten, fischt er eine zerdrückte Schachtel Zigaretten aus seiner Jeans. Während er sich seelenruhig eine Kippe ansteckt, wächst meine Ungeduld. Irgendwie komme ich mir gerade richtig blöd vor. Wenn er nicht reden will, warum ist er dann überhaupt zu mir gekommen?
Als Killian dann noch gemütlich zwei lange Züge inhaliert, ohne mich dabei auch nur anzusehen, platzt es aus mir heraus.

  „Ganz ehrlich, du bist zu mir gekommen, nicht anders herum. Und jetzt stehe ich hier im Dunkeln, ohne beachtet zu werden. Ich habe dich etwas gefragt und entweder, du sprichst jetzt mit mir, oder ich gehe wieder nach Hause und du kannst dich zum Teufel scheren.“

Emotionslos schaut er zu mir rüber. Wenigstens habe ich jetzt seine Aufmerksamkeit.

  „Genau das versuche ich zu vermeiden“, brummt er leise.

Fragend halte ich seinen Blick.

„Mich zum Teufel zu scheren“, spricht er weiter, wobei er plötzlich viel verletzlicher klingt, „Es ist … wegen meinem Dad. Ich musste von zu Hause weg, damit es meiner Mom … besser geht.“

  „Das heißt, du bist hier alleine?“, frage ich geschockt.

  „Ja, das ist auch gar nicht so schlimm, wie es sich vielleicht anhört. Eigentlich ganz gechillt. Aber ich brauche natürlich auch Geld und ich habe beim Pokern eben so meine Tricks. Das hat den Typen nicht unbedingt gefallen, wie du dir vorstellen kannst.“

Eigentlich interessieren mich die Kerle gar nicht mehr wirklich. Ich würde gerne wissen, warum er annimmt, es würde seiner Mutter ohne ihn besser gehen. Natürlich wage ich es aber nicht direkt heraus zu fragen. Gerade ich weiß, wie sensibel so ein Thema sein kann, und wie ungerne man solche Dinge preisgibt. Also schweige ich.

  „Musst du gleich wieder heim?“, fragt Killian unerwartet,  „Oder hast du Lust, noch ein bisschen zu Quatschen?“

Es überrascht mich, dass er Zeit mit mir verbringen will. Aber bestimmt ist es manchmal ziemlich einsam so alleine in einer neuen Stadt.

  „Ich habe Zeit. Mein Dad ist vor dem Fernseher eingeschlafen. Ich verpasse also zu Hause nichts.“

Er lacht und um seine Augen zeichnen sich kleine Fältchen ab. Mir ist bislang noch nie aufgefallen, wie erfahren und abgeklärt er für sein Alter schon aussieht. Meist gibt er sich so distanziert und cool, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er schon einige  unschöne Dinge durchgemacht hat. Unter seinen dunklen Augen liegt ein leichter Schatten. An seiner Augenbraue und der Wange erkenne ich schmale Narben. Für den Bruchteil einer Sekunde, wünsche ich mir, dass er in der Vergangenheit ähnlichen Schmerz empfunden hat, wie ich. Nicht, weil ich ihm Schlechtes wünsche, sondern weil ich mich so sehr nach jemandem sehne, der mich verstehen kann.

  „Na dann haben wir ja Zeit“, sagt er, wobei er auf eine Bank abseits des Weges deutet, „Wollen wir uns setzen?“

Wieder nicke ich.
Die letzten schönen Abende sollte man wirklich noch draußen nutzen, bevor der Winter einbricht.
Das Holz ist zwar etwas kühl, aber wenigstens nicht feucht.
  Eine Weile sitzen wir nebeneinander und schauen in die Nacht. Killian steckt sich eine weitere Zigarette an, atmet den Rauch tief ein und lässt den Kopf entspannt in den Nacken fallen, um in den Himmel zu blicken.

  „Sternenklarer Himmel. Das hat man in Leeds selten so schön gesehen“, sagt er, was mich dazu verleitet, ebenfalls hoch zu schauen.

  „Wirklich schön. Aber ich mag es auch gerne, wenn es richtig neblig und düster ist.“

Da wendet Killian den Kopf zu mir. Ich kann seinen verwunderten Blick förmlich auf mir spüren.

  „Du hast also keine Angst vor der Dunkelheit?“, fragt er mit sanfter Stimme.

  „Warum sollte ich?“, antworte ich, ohne seinen Blick zu erwidern.

  „Naja, die meisten Menschen, die ich kennengelernt habe, sahen das anders. Sie haben sich vor dem Dunklen gefürchtet, und waren nicht in der Lage die Schönheit zu erkennen.“

Statt etwas zu erklären zitiere ich einen Spruch, den ich einmal gelesen habe. Irgendwie habe ich das Gefühl, Killian versteht es.

„Nachts ist alles wie es sein sollte, nicht so wie es werden musste.“
 

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