Kapitel 2

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Ich lag gerne nachts ein wenig wach und beobachtete aus meinem kleinen Fenster die Sterne. Dann fühlte es sich nicht so an, als wäre ich eine Mittellose. Ich konnte die Prinzessin von Alruwea sein. In prunkvollen Kleidern durch die Straßen laufen und nie wieder Böden schrubben. Ich konnte mit meiner Mutter ein Haus kaufen. Wenn sie wollte auch zwei. Natürlich würde ich Leila und Oskar und die Zwillinge nicht vergessen.

Als ich an jenem Abend so da lag und vor mich hin träumte, gefüllt von der Suppe, aber leider nicht satt, streckte ich meine beiden Hände aus. Die Handflächen zeigten nach oben. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, dass die Sterne sich in meinen Händen zu Lichtkugeln formen würden. Ich lächelte über meine blühende Fantasie, öffnete die Augen und...

erstarrte.

Über meinen Händen schwebten zwei kleine Lichtkugeln, genauso wie ich sie mir vorgestellt hatte. Nur etwas kleiner.

Es klopfte an meiner Tür und ich zuckte zusammen. Die Lichtkugeln waren verschwunden. Meine Mutter öffnete die Tür und musterte mich.

"Ist alles okay?"

Hastig legte ich meine glühenden Hände in den Schoß und nickte. Kurz dachte ich, dass sie nachhaken würde, doch sie tat es nicht.

"Ich weiß, es ist spät und du musst morgen raus..."

Weiter ließ ich sie nicht sprechen. Ich zog meine Decke zur Seite und klopfte einladend neben mich. Sie lächelte. Irgendwas war komisch. Wieso nur hielt sie ihre Hände hinter ihrem Rücken versteckt? Langsam setzte sie sich.

"Ich hab was für dich."

Verwundert schaute ich sie an. Das Geheimnis war gelüftet. Hinter ihrem Rücken holte sie ein kleines, sehr hübsch eingepacktes Geschenk hervor.

"Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz."

Wow. Da saß ich und erzeugte kleine Lichtkugeln mit meinen bloßen Händen und hatte dabei total vergessen, dass mein Geburtstag war. Ich nahm das Geschenk entgegen und schmiegte mich an meine Mutter. Ihre Lippen berührten leicht mein Haar.

"Na los, mach schon auf."

So war sie bestimmt früher gewesen. Bevor mein Vater starb. Jung, wunderschön und neugierig. Aufgeweckt und abenteuerlich. Ich schenkte ihr ein Grinsen und machte mich daran, das Geschenk zu öffnen.

"Es ist nur eine Kleinigkeit."

Das Papier enthüllte eine kleine Schachtel. Langsam hob ich den Deckel hoch. Ich japste nach Luft.

"Ist das echte Seide?"

Meine Mutter zog eine Grimasse.

"Ja, ist es, aber..."

Ich konnte es nicht glauben. Da lag in einem Kästchen blaue Seide und ich traute mich nicht, es anzufassen.

"Das ist nicht das Geschenk, Ambra. Du musst weiter auspacken."

Was sagte sie da? Als Mittellose war das wohl das Kostbarste, was ich nun besaß. Doch um sie von ihrer Nervosität zu erlösen, die langsam auf mich überging, fasste ich die wundervolle blaue Seide an und schlug sie auf.

"Ein Ring?"

Ich nahm den goldenen Ring und legte ihn auf meine Handfläche.

"Das ist nicht irgendein Ring, Ambra. Das ist der Siegelring deines Vaters."

Ihre Stimme zitterte. Und auch mein kompletter Körper bebte.

"Ist schon okay, Schatz."

Ich hielt etwas in den Händen, was meinem Vater gehört hatte. Er hatte diesen Ring an seinem Finger getragen. Ich konnte ihn nie kennenlernen, denn er starb vor meiner Geburt, aber Mutter hatte mir so viel von ihm erzählt, dass es sich anfühlte, als wäre er immer bei mir gewesen. Das war einfach zu viel. Meine Mutter umfing mich mit ihren Armen und drückte mich an sich. Dabei schaukelte sie hin und her, so wie sie es früher getan hatte, als ich noch klein war.

"Dein Vater wollte, dass ich ihn dir zu deinem 21. Geburtstag gebe. Ich habe ihn anpassen lassen."

Ich setzte mich aufrecht hin und nahm mir Zeit den Ring genauer zu betrachten. Das Siegel bestand aus einem blauen, rechteckigen Stein, in den etwas eingraviert war.

"Was ist das für ein Zeichen?"

"Die Geschichte dazu, Ambra, werde ich dir morgen erzählen. Es ist aber wichtig, dass niemand diesen Ring sieht. Wirklich niemand, Ambra."

Den letzten Satz sprach sie voller Nachdruck, so dass ich meine Enttäuschung wortlos hinunterschluckte.

"Na gut."

"Also, mein Schatz. Schlaf gut und träum was schönes."

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und war schon an der Tür.

"Mama?"

"Ja?"

"Ich wünschte, ich würde ihn kennen."

Eine Träne rann über ihre Wange.

"Glaub mir, das wünsche ich mir auch."

Hastig wischte meine Mutter sich die Träne weg.

"Pack den Ring gut ein und halte ihn versteckt. Ich hab dich lieb."

Sie schloss die Tür hinter sich und ließ mich allein. Mit Tausenden von Fragen in meinem Kopf.

Die Erbin der MagiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt