Kapitel 11

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"Guten Tag. Ich bin hier um dich ins Zentrum zu bringen. Ambra, richtig?"

Seine tiefe, melodische Stimme hinterließ eine Gänsehaut auf meinem Körper. Mein Herz wummerte unaufhaltsam in meiner Brust, dass ich Angst hatte, man würde es hören. Mit hochgezogener Augenbraue lächelte er mich ungeduldig an. Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich nur. Immer wieder musste ich in seine eisblauen Augen schauen, die mich einfach nur in ihren Bann zogen. Er deutete eine Verbeugung an.

"Freut mich. Du kannst mich Dante nennen."

Er streckte mir seine Hand entgegen. Erst als meine Mutter mir einen leichten Schubs gab, bemerkte ich, dass er auf eine Reaktion von mir wartete. Hoffentlich unbemerkt, wischte ich mir meine Hand an meinem Kleid ab, bevor ich seine nahm. Sein Händedruck war stark und leicht zugleich. Kurz ließ er seinen Daumen über meine Handfläche kreisen, was mein Herz noch mehr verwirrte. Dann ließ er los.

"Nach dir."

Meine Schockstarre war vorbei.

"Darf ich mich nicht verabschieden?"

Er senkte kurz den Kopf.

"Aber natürlich. Ich warte draußen."

Er ging zur Tür, hielt jedoch noch einmal inne und kam zurück.

"Ich nehme schon mal deinen Koffer, wenn es recht ist?"

"Ja...Danke."

Zwinkernd nahm er den Koffer und ging hinaus.

"Lass dich drücken!"

Oskar nahm mich hoch und wirbelte mich in der Luft. Lachend setzte er mich wieder ab. Leila nahm mein Gesicht in ihre schmalen Hände und küsste meine Wangen.

"Pass auf dich auf, Liebes."

Die Zwillinge umarmten mich. Ich ging in die Hocke und drückte sie an mich. Leila nahm die beiden an die Hand. Nun kam der schwerste Abschied. Meine Mutter sah mich, mit Tränen in den Augen, an. Stürmisch umarmte ich sie und konnte auch mich nicht mehr zurückhalten. Mir war egal, was jemand denken würde. Sie strich mir ein paar verirrte Strähnen aus dem tränennassen Gesicht und küsste meine Stirn.

"Bald sehen wir uns wieder. Vergiss nicht, dass ich an dich glaube."

"Ich hab dich lieb, Mama."

"Ich dich auch, mein Schatz."


Während die Kutsche über die Straßen ruckelte, schaute ich schweigend hinaus und beobachtete die Gegend. Mir war durchaus bewusst, dass ich von Dante, der mir gegenüber saß, beobachtet wurde, doch ich versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren. Wir fuhren vorbei an den kleinen, heruntergekommenen Häusern, an den verlumpten Menschen, die auf der Straße liefen. Ich bemerkte, wie sich die Gegend änderte je näher wir dem Zentrum kamen. Die Häuser wurden größer und sahen besser aus. Schnaubend setzte ich mich zurück und schloss die Augen.

"Ist alles in Ordnung, Ambra?"

Das erste Mal seit wir von meinem Zuhause weggefahren waren, sprach er mich direkt an. Ich wollte nicht von seinen Augen durcheinander gebracht werden, weshalb ich die Augen geschlossen hielt, als ich ihm antwortete.

"Ja...nun...nein."

"Vermisst du deine Familie?"

"Ja, auch."

Ich wollte nicht über den Abschied nachdenken und schon gar nicht wollte ich mit ihm darüber sprechen. Es reichte schon, dass er mein tränenüberströmtes Gesicht gesehen hatte.

"Vermisst du noch jemand anderen?"

Erschrocken schaute ich ihn an. Die Hitze stieg mir in die Wangen. Seine eisblauen Augen musterten mich neugierig.

"Bitte? Nein...ich...also..."

Er lachte.

"Entspann dich. Deinen Freund siehst du ja bald wieder."

Grinsend lehnte er sich zurück und streckte die Beine aus. Unsere Waden berührten sich. Schnell zog ich meine Beine weg.

"Auch wenn es dich nichts angeht, möchte ich eines klar stellen. Ich habe keinen Freund."

Sein Grinsen wurde frecher. Locker kam er nach vorne, stützte seine Ellbogen auf den Knien ab und legte seinen Kopf auf seine Hände.

"Okay."

Seine Augen hatten mich wieder gefangen genommen. Nur mit Mühe schaute ich wieder aus der Kutsche. Es waren weniger Häuser in Sicht. Stattdessen waren hier Felder und kleine Wälder zu sehen.

"Ich verstehe nicht, wieso ich eingeladen wurde."

Dantes Knie berührte meines, doch dieses Mal zog ich es nicht weg. Ein wohliges Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus.

"Die Gründerfamilien tun das jedes Jahr."

Nickend blickte ich in den wolkenlosen, blauen Himmel hinauf.

"Das mag ja sein", nun sah ich ihn direkt an, "aber wieso vergessen sie uns das ganze Jahr über? Statt jedes Jahr eine Mittellose auf einen teuren Ball ins Zentrum einzuladen, sollten sich die Gründerfamilien lieber das ganze Jahr um alle Mittellosen kümmern. Dann wäre allen geholfen."

Nachdenklich sah er mich an. War das Bewunderung, die in seinen Augen aufblitzte? Langsam lehnte er sich wieder zurück.

"Du bist mutig. Das gefällt mir."

Ich spürte wie ich innerlich anfing zu kochen und versuchte mich zu beruhigen. Ich hatte ein Geheimnis zu wahren, dass durfte ich nicht vergessen. Es war wichtig, dass ich meine Gefühle unter Kontrolle hatte.

"Man ist also mutig, nur weil man seine Meinung sagt? Das sollte der Normalfall sein und nichts, wofür man noch gelobt werden sollte wie ein Hund, der Sitz gemacht hat, weil man es ihm gesagt hat."

Meine Hände zitterten. Was bildete er sich eigentlich ein? Dantes perfekte Augenbrauen schossen in die Höhe. Und bevor ich überhaupt begriffen hatte, was hier passierte, fing er an zu lachen. Es war ein schönes Lachen und ich würde gerne mitmachen. Wenn er mich nicht auslachen würde. Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ich wüsste nicht, was lustig daran ist."

Als er sich beruhigt hatte, rieb er seine Hände aneinander.

"Ich bin mir sicher, dieses Jahr wird es sehr interessant werden. Die Auserwählten vor dir waren nicht so wie du."

Ich wollte fragen, wie ich denn war, doch er unterbrach mich, in dem er leicht an einem meiner Zöpfe zog und hinaus zeigte.

"Willkommen im Zentrum von Alruwea."

Die Erbin der MagiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt