Kapitel 12

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Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Wie ein wahr gewordener Traum ragten die wunderschönen Häuser vor mir auf. Die Stadt war nicht grau vor Schmutz, sondern schillerte in allen erdenklichen Farben. Hier war ein hellblaues Haus, dort stand ein rosanes. Wir kamen an einer Art Marktplatz vorbei, auf dem sich alle möglichen Menschen tümmelten. Wunderschöne Frauen in prächtigen Kleidern, gutaussehende Herren in schlichten Hosen und Shirt. Kinder, an denen kein Staubkorn hing, spielten Fangen. Hier und dort konnte ich einen Blick in die Schaufenster erhaschen. Alruwea war schöner, als ich es mir je erträumt hatte.

"Schau mal, das Kleid der Frau. Ist es nicht wunderschön? Und die ganzen Läden. Kein bisschen Schmutz gibt es hier auf den Straßen."

Dante grinste mich an.

"Du müsstest deine Augen sehen. Sie strahlen heller als Alruwea je strahlen könnte."

Hitze stieg mir in die Wangen und ich versuchte ihn einfach zu ignorieren und den Glanz der Stadt in mir aufzunehmen. Die Euphorie ließ schnell nach, da mir die Ungerechtigkeit wieder in den Sinn kam. Bei mir zu Hause war alles schmutzig und trist, während hier alles sauber und leuchtend war. Mit verschränkten Armen lehnte ich mich zurück und schaute nur noch ab und zu aus dem Fenster. Dante sah mich stirnrunzelnd an, sagte aber nichts. Wir ließen den Trubel hinter uns und kamen in eine ruhigere Gegend. Die Häuser hier waren noch riesiger als die vorherigen. Und nicht mehr ganz so bunt. Die meisten waren in einem hellen Beige gestrichen und standen weiter voneinander entfernt.

"Wir sind gleich da."

Ich nickte. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar nicht wusste, bei welcher Gründerfamilie ich unterkommen würde.

"Dante?"

Es war das erste Mal, dass ich seinen Namen ausgesprochen hatte. Es klang seltsam und vertraut zugleich. Seine blauen Augen leuchteten intensiv, als er mich erstaunt ansah.

"Ambra?"

Mein Name aus seinem Mund zu hören, war wie... Oh Gott. Ich musste aufhören! Räuspernd setzte ich mich etwas auf.

"Weißt du bei welcher Gründerfamilie ich untergebracht werde?"

Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Sein Oberteil rutschte ein wenig nach oben. Sofort schaute ich weg.

"Du wirst bei meiner Familie untergebracht."

Oh. Er gehörte einer Gründerfamilie an? Nervös strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht.

"Ich bin ein Medicus."

Er hätte mir genauso gut eine Ohrfeige geben können. Vermutlich wich mir alle Farbe aus dem Gesicht, denn er lehnte sich plötzlich besorgt nach vorne. Leicht streifte er meinen Arm.

"Ist alles in Ordnung?"

Zitternd schloss ich die Augen. Ich musste mich dringend beruhigen, bevor noch etwas passierte, was nicht passieren durfte.

"Bitte fall' jetzt nicht in Ohnmacht. Meine Mutter würde mich umbringen."

Um mich abzulenken, betrachtete ich meine verbundenen Hände. Dante legte einen Finger unter mein Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. Ich spürte eine nie dagewesene Sehnsucht. Was tat er mit mir?

"Ambra, bitte sag doch etwas."

Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite und schaute wieder aus dem Fenster.

"Mir geht es gut."

Einen Moment kam es mir so vor, als würde er etwas sagen wollen, doch er schwieg. Ich war froh darüber. Meine Gefühle hatte ich wieder unter Kontrolle. Ich konnte nicht glauben, dass mein schlimmster Albtraum wahr wurde. Ein Monat bei den Medicus.

Die Kutsche fuhr einen langen Kiesweg entlang, der links und rechts mit Bäumen bepflanzt war. Das Haus war das größte und edelste, was ich je gesehen hatte. Die weiße Fassade strahlte mir entgegen. Dadurch, dass die Fensterrahmen, Balkone und das Dach in einem dunkeln Braun gehalten wurden, ergab es einen wunderschönen Kontrast. Eine breite Treppe führte zu einer großen, dunklen Tür, die sich öffnete, als wir zum Stehen kamen. Heraus kamen allerlei Leute.

"Willkommen bei meiner Familie."

Dante lächelte schief. Seine Augen blieben davon unberührt. Er streifte mich noch einmal mit einem besorgten Blick, dann stieg er aus und hielt mir eine Hand hin. Ich nahm sie dankend an und stieg aus. Direkt wurde ich - ziemlich stürmisch - von einem jungen Mädchen umarmt. Ich machte mich steif. So einen Empfang hätte ich nicht erwartet.

"Marie, bitte. Lass sie doch erstmal ankommen."

Das Mädchen, Marie, ließ mich los und stellte sich vor mich. Sie war sehr hübsch mit ihren dunkelblonden Haaren und ihren blauen Augen. Sie musste ungefähr 16 Jahre alt sein. Ihre zierliche Figur ließ sie schwach wirken, doch der Schein trügte, wie ich soeben am eigenen Leibe erfahren durfte.

"Ach Dante", sie schlug ihm lachend auf den Arm.

"Darf ich vorstellen: Marie, das ist Ambra. Ambra, das ist Marie, meine kleine, nervige Cousine."

Dante lachte als Marie erneut ausholte. Jetzt sah ich die Ähnlichkeit, auch wenn ihre Augen nicht so eisblau waren.

"Marie!"

Schnell verstummten die beiden. Ich schaute ehrfürchtig auf den großen, gutaussehenden Mann, der nun direkt vor mir stand. Mein Herz raste.

"Willkommen bei den Medicus. Ich bin Severin de Medicus. Meinen Neffen Dante und meine Tochter Marie hast du bereits kennengelernt. Deine Kammerzofe Lydia wird dir alles zeigen. Leider muss ich wieder weg. Ich würde mich allerdings sehr darüber freuen, wenn du uns beim Abendessen Gesellschaft leisten würdest. Dann kannst du auch den Rest der Familie kennenlernen. Zu dieser Zeit sind sie meist in alle Himmelsrichtungen verstreut."

Er deutete eine Verbeugung an.

"Vielen Dank", flüsterte ich und versuchte mich an einem Knicks. Missbilligend hob er eine seiner buschigen Augenbrauen hoch, sagte jedoch nichts, sondern stieg in die Kutsche.

"Also dann. Bis heute Abend. Pünktlich um halb acht. Vergiss es nicht, Dante!"

Dante zwinkerte mir zu und hob meinen Koffer von der Kutsche.

"Aber natürlich nicht, Onkel."


Lydia, eine ziemlich kleine, schlanke Frau mittleren Alters, mit schwarzen Haaren und freundlichen grünen Augen, führte mich geradewegs in mein Zimmer. Hier und dort konnte ich einen Blick von den anderen Räumlichkeiten erhaschen, doch es ging alles viel zu schnell.

"Ruh dich erstmal ein wenig aus. Von diesem ganzen Geruckel in der Kutsche können einem ja nur die Knochen wehtun. Ich bring dich erstmal auf dein Zimmer und bereite dir ein schönes, warmes Bad vor. Von wegen zuerst herumführen. Die Herrschaften haben doch keine Ahnung wie es ist als Mittellose."

Prüfend sah sie mich an, da ich nichts sagte und nur stumm hinter ihr her lief.

"Nichts für Ungut, mein Kind. Aber ich war auch mal eine von euch. Ich hatte nur mehr Glück als andere und konnte hier eine Anstellung finden. Dennoch weiß ich immer noch, was ich mir als aller erstes gewünscht hätte. Nicht, dass ich die Möglichkeit auf ein warmes Bad hatte. Aber das hätte ich mir gewünscht."

Sie plapperte weiter vor sich hin. Ich war zu erschöpft um ihr weiter zuzuhören und folgte ihr stumm. Sie öffnete eine große helle Tür.

"Das sind deine Räumlichkeiten."

Die Erbin der MagiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt