Kapitel 3

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Wegen der ganzen Aufregung hatte ich kaum ein Auge zu gemacht. Ich betrachtete den Ring noch lange, doch hatte immer noch keine Ahnung wieso auf dem Siegelring ein Stock eingraviert war. Was hatte das zu bedeuten?

Sobald die Sonne aufging, packte ich den Ring wieder vorsichtig in die Seide - wie wundervoll sie sich auf meiner Haut anfühlte - und legte den Deckel auf die kleine Schachtel. Zwischen meinen Unterhosen würde wohl keiner suchen, weshalb ich das Geschenk dort versteckte.

Nach einer kalten Dusche - guten Morgen! - nahm ich mir ein Stück trockenes Brot und machte mich auf den Weg zu Benedikt. Er führte eine kleine Apotheke bei uns um die Ecke. Dort arbeitete ich montags, dienstags und donnerstags. Durch ihn lernte ich, wie ich verschiedene Kräuter so mischen konnte, dass sie, beispielsweise, gegen Übelkeit, Bauch- und Kopfschmerzen halfen. Das hatte uns schon einiges an Geld gespart, denn die Zwillinge hatten ständig irgendwas.

Auf dem Weg zur Arbeit beschäftigte mich nicht nur der Ring meines Vaters, der in seinem Versteck lag und nur darauf wartete, heute Abend von mir hervorgeholt zu werden. Nein, mich beschäftigten auch die Lichtkugeln, die ich erzeugt hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr zweifelte ich daran, dass es wirklich so passiert war. Hatte ich vielleicht schon geträumt? Oder war meine Fantasie mit mir durchgegangen? Es juckte mich regelrecht in den Fingern es erneut auszuprobieren.

"Guten Morgen, Ambra und alles Gute."

"Guten Morgen, Benedikt und danke."

Ich mochte ihn, den Mann mit der Glatze und dem Zahnlückenlächeln.

"Was steht heute an?"

Benedikt kratzte sich am Hinterkopf und überlegte.

"Ich denke, ich werde dir heute zeigen wie man eine Salbe gegen Schnittwunden herstellt."


Den ganzen Vormittag war ich damit beschäftigt Kräuter zu sammeln. Als ich verschwitzt und dreckig im Laden ankam, kümmerte sich Benedikt gerade um einen Kunden. Ich schlüpfte geräuschlos in das Hinterzimmer und fing an die Kräuter zu putzen.

"...benötigen wir noch diese Woche."

"Selbstverständlich, Herr."

"Mach den Medicus keine Schande, Benedikt."

"Nein, Herr."

Stampfende Schritte und das Öffnen der Tür sagten mir, dass der Kunde gegangen war. Ich tat so, als hätte ich nichts gehört und fummelte weiter an den Kräutern herum. Mich interessierte sehr, was der Herr von Benedikt so dringend benötigte.

"Ambra, du kannst für heute Schluss machen. Ich muss noch etwas erledigen."

Langsam drehte ich mich um und sah Benedikt unschuldig an.

"Kann ich dir denn nicht dabei helfen? Ich bin doch hier um zu lernen."

"Nein...nein...geh ruhig nach Hause."

"Und was ist mit der Salbe?"

Er fuhr sich mit der flachen Hand über seine Glatze. Mit dem Finger schnippend verschwand er im Laden und kam mit einer Dose wieder.

"Hier, schenke ich dir. Weil du heute Geburtstag hast."

"Aber..."

"Ambra, jetzt geh! Die Salbe können wir an einem anderen Tag herstellen. Ich habe etwas sehr Wichtiges zu tun und muss den Laden schließen. Es gibt heute nichts mehr für dich zu tun."

Um seinen Geduldsfaden nicht länger zu strapazieren, gab ich nach. Ich bedankte mich für die Salbe und machte mich auf den Heimweg.


Da es noch sehr früh war, schlenderte ich durch die Gassen. Es stank nach Unrat und Schweiß. Die Hitze machte es nur schlimmer. Die meisten Hauswände hatten Risse. Die Leute konnten es sich nicht leisten, irgendetwas zu verbessern. Und die Gründerfamilien hatten uns Mittellose wohl vergessen. Wir waren weit genug weg vom Zentrum. Warum sollte man sich um ein Problem kümmern, was man nicht sah? Es machte mich wütend, dass sich niemand um uns scherte. Dabei ging es gar nicht um mich selbst. Im Gegensatz zu anderen hatte ich es noch gut getroffen. Es gab Familien, die mit zehn Personen in einem kleinen Haus wie unserem wohnten und nicht wussten, was sie abends essen sollten. Ich wünschte mir nur, dass die ganzen Menschen, die hier lebten, etwas Hoffnung bekamen. Einen kleinen Funken Licht. Etwas, das ihnen sagte: Wir haben euch nicht vergessen. Doch die Gründerfamilien saßen im Zentrum von Alruwea und erfreuten sich an der Pracht ihrer Stadt. Das Elend aber interessierte sie nicht.

"Du bist schon zurück?"

Leila wirkte erschrocken.

"Dir auch hallo. Bitte nicht so überschwänglich."

Meine Laune ließ zu wünschen übrig.

"Ist etwas passiert?"

"Ist meine Mutter in ihrem Zimmer?"

Leila nahm sich ein Handtuch und begann das gespülte Geschirr abzutrocknen.

"Nein."

Ich setzte mich auf einen Stuhl und wartete auf eine ausführlichere Antwort. Nichts.

"Wo ist sie?"

Die einzige Antwort, die ich von ihr bekam, war ein Schulterzucken. Mehr als seltsam. Leila war niemals wortkarg.

"Okay?"

Da nichts weiter passierte, stand ich auf und ging ins Bad. Während ich meine Haare öffnete, betrachtete ich mich im Spiegel. Meine Wangen waren etwas eingefallen, aber nicht so, dass es unschön aussehen würde. Meine dunkelbraunen Augen waren von dichten, schwarzen Wimpern umrandet. Meine Nase war gerade. Meine Unterlippe war etwas breiter als meine Oberlippe. Alles in allem, sah ich ganz gut aus. Bis auf den Dreck auf Stirn und Wangen. Ich schüttelte meine Haare und holte sie auf beiden Seiten nach vorne. Tief einatmend drehte ich den Wasserhahn auf und wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser. Meinem Spiegelbild die Zunge rausstreckend, begann ich mich auszuziehen. Eine schnelle, kalte Dusche sollte meine Laune ein wenig heben. Schließlich hatte ich Geburtstag.

Die Erbin der MagiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt