Kapitel 17

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Ein stechender Schmerz breitete sich über meinen ganzen Körper aus. Ein Gefühl, als würden tausende Nadeln in jede Pore eindringen. Meine Lungen wolltesn sich mit Luft füllen, doch irgendetwas schien sie zu blockieren.

"Ambra?"

Dante's Stimme drang nur leise an mein Ohr. Ich merkte wie mein Körper anfing zu beben. Kontrolle. Ein Wort, das sich seinen Weg durch das Rauschen in meinem Kopf bahnte. Ich musste meine Emotionen unter Kontrolle bringen. Doch die Tatsache, dass ich unter einem Dach mit meinen Großeltern lebte, machte es mir nicht ganz einfach. Die Lichter begannen zu flackern und Panik stieg in mir auf. Wenn ich jetzt nicht sofort die Kontrolle über meine Magie bekam, hatte ich ein riesiges Problem. Ich merkte wie die Spiegel an den Wänden zu zittern begannen. Der riesige Kronleuchter über mir wackelte gefählich. Doch ich konnte mich nicht von der Stelle bewegen. Ich musste mich unter Kontrolle bringen.

Mit einem Mal spürte ich Dante's Hände an meinen Wangen. Sein Gesicht war meinem sehr nahe.

"Ambra, sieh mich an."

Seine Stimme war ruhig und zärtlich. Nur noch wir beide waren im Raum. Die anderen mussten schon rausgegangen sein, aber das zählte nicht mehr.

"Ambra."

Seine Daumen kreisten langsam über meine Wangen. Und ganz plötzlich schob er seine rechte Hand an meinen Nacken und zog mich an sich. Seine Lippen berührten meine und ich vergaß alles um mich herum. Unsere Körper pressten sich wie von selbst aneinander. Dieser Kuss, mein allererster Kuss, war so unglaublich. Wie eine Explosion. Und Dante war dabei so leidenschaftlich und zärtlich zugleich. Als ich merkte, dass sich der Sturm in mir etwas beruhigt hatte, brachte ich Abstand zwischen uns. Außer Atem standen wir uns gegenüber. Dante war der Erste, der sich wieder fasste, während ich weiter versuchte, den Sturm in mir zu bändigen.

"Entschuldige."

Verlegen fuhr er sich durch die Haare. Wieso entschuldigte er sich? Bereute er es mich geküsst zu haben? Eine Welle der Ungewissheit durchströmte mich und bevor ich hier und jetzt meine Kontrolle entgültig verlor, drehte ich mich um und rannte los.

Wieder einmal hatte ich es nur knapp geschafft, mich und meine Gefühle zu kontrollieren. Als ich in meinem Wohnzimmer ankam, brach ich zusammen und mit mir beinahe das ganze Zimmer. Mit voller Wucht brach meine Magie aus mir heraus und an Kontrolle konnte ich nicht einmal mehr denken. Alles wackelte und flackerte. Sämtliche Bücher flogen durch die Gegend. Und anstatt alles zu verhindern, saß ich einfach am Boden und beobachtete das Chaos, welches ich anrichtete. Die Angst zog und zerrte an mir. Wie sollte ich es bloß schaffen, dass Victoria und Kyrill - meine Großeltern - nicht herausfanden, dass ich ihre Enkelin war. Das Kind ihrer Tochter. Das Kind eines Magi. Sie würden sofort wissen, was ich war, sollten sie es je herausfinden. Das würde meinen Tod bedeuten. Und nicht nur meinen. Sie wussten, wo ich herkam und dann war es nur eine Frage der Zeit bis sie meine Mutter finden würden. Das konnte ich nicht zulassen und das würde ich nicht zulassen. Niemals. Mit einem Mal spürte ich eine Entschlossenheit in mir, die nicht so schnell wieder verschwinden würde. Ich stand mit ausgestreckten Händen auf. Alles um mich herum erstarrte. Ich konzentrierte mich darauf, wie das Zimmer vor meinem Ausbruch ausgesehen hatte und schwang beide Arme zur Seite. Sofort brach wieder Chaos aus. Nur dieses Mal hatte ich es unter Kontrolle.

Ich fühlte mich ausgelaugt, so als hätte mich die Magie meine ganzen Kräfte gekostet. Erschöpft ließ ich mich zu Boden sinken und schluchzte. Ließ allen Kummer, alle Verzweiflung raus. Tränen liefen über mein Gesicht, doch es war mir egal. Ich brauchte das. Ich wollte nur noch alles loslassen. Die Gefühle, die in mir tobten, hinaus weinen. Weg von mir. Ich war mit der Situation überfordert. Wieso nur war ich in dieser Lage gefangen? Als wäre es nicht schon schlimm genug gewesen, Gast in diesem Haus zu sein. Nein, nun lauerte eine noch größere Gefahr und ich musste mich noch mehr anstrengen, damit niemand zu Schaden kam. Ich wusste nicht, wie lange ich diese Last, die so schwer auf meinen Schultern lag, ertragen könnte.

Ich hörte erst auf zu Schluchzen, als ein leises Klopfen an meine Tür zu hören war. Reglos saß ich auf dem Boden und starrte zur Tür. Es klopfte nochmal.

"Ambra?"

Seine Stimme drang gedämpft durch die Tür. Ich presste meine Hand fest vor den Mund. Warum kam er her?

"Ambra, darf ich reinkommen?"

Ich kniff meine Augen zusammen und streckte eine Hand aus. Mit einem leisen Klicken drehte sich der Schlüssel im Schloss um und verriegelte die Tür. Die Türklinke bewegte sich nach unten.

"Ambra, bitte. Ich muss mit dir reden."

Ich stand auf und atmete tief ein.

"GEH WEG!"

Es klang schrill und hysterisch. Nicht nach mir. Dennoch zeigte es seine Wirkung. Die Klinke schoss nach oben und kurze Zeit später hörte ich, wie sich seine Schritte entfernten. Schnell rannte ich in mein Schlafzimmer und schmiss mich auf mein Bett. Für meinen Geschmack ein wenig zu theatralisch, doch in diesem Augenblick war es genau das, was ich wollte. Mich in meinem Bett verkriechen und nie wieder jemanden zu Gesicht bekommen. So könnte ich auch niemanden in Gefahr bringen. Und das war es doch, was ich wollte.


"Ambra, bitte steh auf. Wir müssen dich für das Abendessen fertig machen."

Die Worte drangen nur leise an meine Ohren und ich drehte mich um, um die nervigen Hände abzuschütteln, die an mir zerrten.

"Ach, komm schon."

Den Schubs hatte ich nicht erwartet. Mit einem lauten Knall landete ich, zum Glück in meine dicke Decke gehüllt, auf dem Boden. Sofort war ich wach und mir wurde plötzlich bewusst, dass ich eingeschlafen war.

"Wie siehst du denn aus?"

Lydia stand vor mir, ihre Hände in den Hüften und musterte mich. Verwirrt strich ich mir mein zerzaustes Haar aus dem Gesicht.

"Ich muss wohl eingeschlafen sein", murmelte ich leise.

Kopfschüttelnd zog Lydia mich auf die Beine.

"Was du nicht sagst. Ambra, du must schnell unter die Dusche. Wir haben nicht mal mehr eine halbe Stunde, bevor das Abendessen beginnt."

Während sie mich in Richtung Bad zog, murmelte sie weiter unablässig vor sich hin. Innerhalb weniger Minuten war ich ausgezogen und stand unter der Dusche. Kaltes Wasser lief über meinen Körper, doch ich war zu benommen, um mich überhaupt gegen diese hartnäckige Frau zu wehren.

"Nun? Soll ich dich waschen oder schaffst du das alleine?"

Ich nahm die Seife, die sie mir hinhielt und wusch mich. Sie verließ den Raum, nur um nach kurzer Zeit wieder zurückzukehren und mir das Wasser abzustellen. Sie wickelte mich hastig in ein Handtuch und schob mir zurück in mein Zimmer. Wortlos drückte sie mich auf den Stuhl vor dem Schminktisch und begann mit ihrem Werk.

In dem Moment, als die Tür aufging und Alexandra meine Räumlichkeiten betrat, kam ich mit Lydia im Schlepptau aus meinem Schlafzimmer. Alexandra klatschte begeistert in die Hände.

"Du siehst sehr hübsch aus, Ambra."

Lydia hatte meine Haare heute offen gelassen, so dass sie in sanften Wellen über meinen Rücken fielen. Sie hatte zwei Strähnen von den Seiten hinten zusammengebunden, damit diese mir nicht ins Gesicht fielen. Das Kleid, das ich trug, war dunkelgrün und umspielte meine Taille.

"Dann lass uns mal zu diesem wundervollen Abendessen gehen."

Nickend folgte ich ihr.

"Dein Kleid ist sehr schön", sagte ich, da ich nicht den ganzen Weg zum Esszimmer schweigend neben ihr herlaufen wollte.

Seufzend strich sie über die Kugel, die von ihrem blauen Kleid kaschiert wurde.

"Wenn ich nur nicht immer meinen Bauch verstecken müsste."

Stirnrunzelnd sah ich sie an.

"Wieso das denn?"

Alexandra grinste mich frech an.

"Weil es sich für ein Mitglied der Gründerfamilie nicht gehört."

Wenn ich mich nicht irrte, klang ihre Stimme nach der perfekten Nachahmung von Nasya de Medicus.

Die Erbin der MagiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt