Das Abendessen versprach interessant zu werden. Während dem ersten Gang - es gab Brokkolicremesuppe, wie Dante mir leise verriet - sprach niemand ein Wort. Schweigend wurden die Löffel zum Mund geführt. Die Stille war mir so unangenehm, dass ich mich einfach darauf konzentrierte, mit dem Löffel nicht an den Rand meiner Schüssel zu kommen. Nasya legte ihren Löffel ab, woraufhin auch alle anderen ihren Löffel neben sich legten. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit dem Strom zu schwimmen. Die Suppe wurde abgeräumt und als nächstes wurde ein Salat vor mir auf den Tisch gestellt. Auch hier verlief das Essen wieder still und leise. Ich wurde innerlich immer unruhiger und wünschte mir mehr und mehr wieder bei meiner Familie zu sein. Am Tisch zu sitzen und zu lachen. Zu reden. Und ab und an mal ein wenig herumzualbern. Wir hatten zwar nicht viel und unser Essen war immer sehr schlicht. Doch wir hatten uns. Und das war wichtiger als alles andere. Das wurde mir soeben bewusst. Ein Klappern riss mich aus meinen Gedanken. Alle Augen waren auf mich gerichtet und mir wurde klar, dass ich es war, deren Gabel an den Teller gekommen war. Nasya räusperte sich und legte ihre Gabel hin. Während sie sich mir ihrer Serviette den roten Mund abtupfte, ließ sie mich nicht aus den Augen.
"Bis jetzt hast du dich gut geschlagen. Die letzten Jahre hat es keine Mittellose geschafft ohne störende Geräusche bis zum Salat zu kommen. Bravo."
Ein Seitenhieb als Kompliment verpackt. Hut ab. Langsam legte ich die Gabel neben meinen Teller und tupfte mir meine Lippen mit der Serviette, so wie sie es getan hatte. Anschließend legte ich die Serviette in meinen Schoß.
"Vielen Dank. Meine Mutter legte immer sehr viel Wert auf gute Manieren. Sie wird sich freuen zu hören, dass ich nicht eine allzu große Enttäuschung bin."
Dante hustete und ich war mir sicher, dass er versuchte ein Lachen zu unterdrücken. Marie senkte den Blick auf ihren Schoß und grinste. Die anderen sahen mich einfach nur erstaunt an. Ich sah Nasya in die Augen und einen winzigen Moment sah ich einen Funken Anerkennung darin aufblitzen. Vielleicht täuschte ich mich auch.
"Was hat dir deine Mutter sonst so beigebracht?"
Sie hob eine Hand und die Diener räumten die Salate weg. Auch wenn es mir unangenehm war, alle Blicke auf mir zu spüren, sah ich Nasya fest in die Augen, als ich antwortete.
"Kochen, putzem, Kinder hüten. Außerdem kann ich lesen, schreiben und rechnen."
"Ja, ja. Von der niederen Arbeit und einer Grundbildung war hier nicht die Rede."
Ich spürte Hitze in mir emporsteigen. Bloß nicht die Kontrolle verlieren.
"Hat sie dir auch etwas beigebracht, was dir von Nutzen sein kann?"
Tief einatmend, versuchte ich mich unter Kontrolle zu bringen. Meine Hände zitterten unter dem Tisch. Mit festem Griff umklammerte ich die Serviette. Zwanghaft zauberte ich ein Lächeln auf mein Gesicht.
"Natürlich. Ich kann einige Tänze. Und ich kenne die Geschichte der Entstehung von Alruwea."
Die letzten Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Ich wusste, dass ich mich auf dünnes Eis begab, doch die Reaktionen, die meine Worte in den Gesichtern aller Anwesenden hinterließ, waren die, die ich erhofft hatte.
"So?"
Nasya zog dieses kleine Wörtchen sehr lang. Doch bevor sie weiter darauf eingehen konnte, wurde der nächste Gang serviert.
Es gab keine weiteren Fragerunden. Wir aßen schweigend unser Essen und ich versuchte keinen Laut von mir zu geben. Immer wieder spürte ich ihre Blicke - hauptsächlich von Nasya und Severin. Doch ich ließ mir nichts anmerken. Ich war zu weit gegangen und wenn sie mich Fragen würde, müsste ich lügen. Niemand kannte die wahre Geschichte Alruweas, außer die, die zu der Zeit selbst gelebt und Krieg geführt hatten. Und meine Mutter. Die zufälligerweise der Familie angehörte, bei der ich einen Monat lang zu Gast war. Das nannte man wohl Ironie des Schicksals. Dante berührte leicht meinen Arm und ich sah ihn fragend an.
"Soll ich dich auf dein Zimmer bringen?"
Alle anderen waren schon aufgestanden und hatten sich vom Tisch entfernt, was mir völlig entgangen war. Ich nickte und stand auf.
Schweigend liefen wir durch die Gänge. Es war nicht dieses unangenehme Schweigen wie beim Abendessen, sondern eines von der angenehmen Sorte. Ein Schweigen, das man mit den Menschen genießen konnte, die einem vertraut waren. Und bei Dante war das so. Es kam mir vor, als würden wir uns schon ewig kennen. Es mochte sich komisch anhören. Ich hatte ihn erst vor ein paar Stunden kennengelernt, doch es war schon so viel passiert, dass es mir ewig vorkam.
"Wir sind da."
Verlegen hielt ich mit meiner linken Hand meinen rechten Ellbogen fest und starrte auf den Holzboden.
"Danke."
Ich spürte seine Finger an meiner Wange und blickte auf. Niemals würden mich diese Augen kalt lassen. Ich versank in ihnen wie in einem tiefen Ozean. Wünschte mir, dass sie mich fort trugen. In eine Welt, weit weg von hier. Wie in Zeitlupe strich er mit einer sanften Bewegung eine Strähne hinter mein Ohr. Seine Fingerspitzen glitten an meinem Hals entlang und umfassten mein Kinn. Er hob es leicht an. Mein Atem ging flach. Mein Herz schlug wie wild. Unsere Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ich schloss die Augen. Seine Lippen berührten sanft meine Wange.
"Schlaf gut, Ambra."
Ich spürte seinen Atem an meiner Wange. Als ich meine Augen wieder öffnete, war Dante nicht mehr da.
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Die Erbin der Magi
FantasyAmbra ist jung, schön und mittellos. Daher lebt sie gemeinsam mit ihrer Mutter weit entfernt vom Zentrum der Stadt Alruwea. Was niemand wissen darf - Ambra beherrscht die Kunst der Magie. Doch diese ist schon vor ihrer Geburt in ganz Alruwea verbote...