An die Stimmung bei den Abendessen musst eich mich noch gewöhnen. Ich fühlte mich unwohl inmitten dieser fremden Menschen, die sich den ganzen Abend über nichts zu sagen hatte. Stattdessen konzentrierte sich jeder auf seinen Teller und ich versuchte nicht aufzufallen. Dante war nirgends zu sehen. Und auch wenn ich froh darüber war, ihn nicht neben mir zu spüren, fühlte ich einen kleinen Stich in meinem Herzen. Als gerade der Hauptgang gebracht wurde, stupste mich Marie, die neben mir saß, an. Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihr und sie nickte mit großen Augen zur Tür.
Dort stand Dante.
Aber er war nicht allein. An seinem Arm hing eine hübsche, blonde Frau. Sie trug eine hellblaue Bluse und einen schwarzen Rock, der ihr bis zu den Oberschenkeln reichte. Ihre langen Beine steckten in schwarzen, hohen Schuhen.
"Malia, Liebes."
Nasya war aufgestanden und ging strahlend auf das Paar zu. Dante wich meinen Blicken aus und schaute mit einem künstlichen Lächeln seine Mutter an. Malia, die blonde Schönheit an seiner Seite, lächelte ebenfalls. Doch ihr Lächeln wirkte echt.
"Das ist Malia", flüsterte Marie mir leise zu, "sie ist die Tochter von Niall de Pugnatori. Er ist das Oberhaupt. Und sie ist..."
Doch bevor Marie ihren Satz beenden konnte, erhob Nasya ihre Stimme.
"Bringt noch zwei Gedecke! Sofort!", befahl sie dem jungen Mädchen, welches neben ihr stand und nun hastig davon huschte.
"Malia, setz dich doch bitte zu mir, Liebes."
Mit einem anmutigen Kopfnicken ließ sich Malia auf den Stuhl neben Nasya sinken und lächelte Dante an.
"Setzt du dich zu mir, Liebster?"
Mit einem lauten Klirren zersprang das Glas, das ich in meine Hand genommen hatte. Erschrockene Gesichert sahen mich an, doch bevor jemand auch nur etwas sagen konnte, stand Dante neben mir und nahm meine blutende Hand in seine. Mein Herz und mein Körper reagierten sofort auf ihn.
"Das haben wir gleich", murmelte er mir beruhigend zu. Ich spürte nicht, wie er mir die Splitter aus der Hand entfernte oder wie er sie heilte. Ich war zu sehr damit beschäftigt, bestürzt dazusitzen, eine unschuldige Miene aufzusetzen und den argwöhnischen Blicken seiner Mutter zu entkommen.
"Geschafft", sagte Dante und lächelte mich aufmunternd an. Ungeduldig entzog ich ihm meine Hand ohne sein Lächeln zu erwidern und stand auf.
"Bitte, entschuldigt mich. Ich fühle mich nicht wohl."
Nasya's Blick bohrte sich in meinen. Ich versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Es fühlte sich an, als würde sie meine Gedanken lesen wollen. Ich musste hier weg, bevor noch viel schlimmeres passierte, als ein zerbrochenes Glas. Nach Sekunden, die sich für mich wie Stunden anfühlten, nickte sie.
"Natürlich, geh und ruh' dich aus. Damit es dir morgen besser geht."
Zitternd kam ich in meinem Wohnzimmer an und setzte mich auf das Sofa. Ich spürte die Magie in mir und sie wollte eindeutig hinaus. Um nicht wieder ein Chaos anzurichten, welches ich hinterher wieder beseitigen musste, versuchte ich meine Kräfte kontrolliert zu nutzen. Ich begann damit den Schlüssel im Schloss umzudrehen, wie ich es schon getan hatte. Eine halbkreisförmige Bewegung mit der Hand und der Schlüssel drehte sich. Ich stand auf, ging ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne ein. Vor dem nächsten Schritt hatte ich Angst, doch es musste sein. Langsam drehte ich mich um und sah in den Spiegel. Meine Augen waren nicht ganz so leuchtend wie am Tag zuvor, doch sie strahlten ungewöhnlich hell. Das war ich. Ich, wenn ich Magie benutzte, wenn meine Kräfte Besitz von mir ergriffen. Hatten meine Augen am Tisch auch geleuchtet, als ich das Glas zerbrochen hatte? Wenn ja, dann konnte ich verstehen, wieso Nasya de Medicus mich so misstrauisch gemustert hatte. War ich dabei die Kontrolle zu verlieren, obwohl ich noch am Anfang war?
Ich stützte mich mit beiden Händen am Waschbecken ab und schloss die Augen. Es war so anstrengend diese Macht in mir zu unterdrücken. Gegen sie anzukämpfen. Vorallem in einer Situation wie dieser. Wieso, bei allen Gründerfamilien, küsste Dante mich und tauchte dann ein paar Stunden später mit Malia, seiner "Liebsten" auf? Wo doch diese Verbindung zwischen uns war. Oder hatte ich mir das nur eingebildet?
Kopfschüttelnd sah ich wieder in den Spiegel. Meine Augen glühten immer noch. Bei dem Gedanken an Dante und Malia hatte sich das Beben in meinem Körper verstärkt. Ich stieß mich vom Waschbecken ab und zog mich aus. Am ganzen Körper zitternd, stieg ich in die Wanne. Das Wasser war heiß, doch ich fror. Plötzlich flackerte das Licht und die Wasserhähne spielten verrückt. Enttäuscht tauchte ich unter Wasser. Diese bescheuerten Gefühle!
Da ich in dem riesigen Kleiderschrank keine gemütlichen Kleider gefunden hatte, hatte ich eines meiner eigenen Kleider an und saß lesend auf dem Sofa. Ich hatte mir ein Buch über die Gründerfamilien herausgesucht. In diesem Buch kam nicht mit einem Wort vor, dass es ursprünglich fünf Familien waren, die Alruwea gemeinsam gegründet hatten. Was hatte ich auch erwartet? Es klopfte. Verwundert über den späten Besuch legte ich das Buch auf den Tisch und ging zur Tür, um sie zu öffnen.
"Du bist also Ambra."
Ich war so erschrocken über meine Besucherin, dass ich sie nicht daran hinderte an mir vorbei in mein Wohnzimmer zu gehen.
"Ich habe schon einiges über dich gehört. Von Nasya."
Malia setzte sich auf das Sofa und überschlug ihre Beine. Ihre grünen Augen funkelten mich gefährlich an und ihre liebliche Stimme von vorhin klang gar nicht mehr so lieblich. Einigermaßen gefasst schloss ich die Tür und antwortete: "Dafür habe ich über dich noch nichts gehört."
Sie schnalzte mit der Zunge und zog ihre linke Augenbraue hoch. Langsam, wie eine Katze auf der Jagd, stand sie auf und schlenderte im Raum umher.
"Es muss eine ziemliche Ehre sein als Mittellose hier wohnen zu dürfen."
Ihre dünnen, rotlackierten Finger fuhren über das Sofa.
"So viel Platz.So viel Essen. So viel Luxus. Vermutlich sehr", sie lief zum Fenster, während sie nach dem passenden Wort suchte, „erdrückend, wenn man das nicht gewohnt ist."
Sie grinste und drehte weiter ihre Runde.
„Sich an all das zu gewöhnen ist mit Sicherheit leicht. Aber zu wissen, dass all diese Dinge", sie kam wieder auf mich zu, „einem nicht gehören. Dass einem dieser Luxus nur begrenzt zur Verfügung steht."
Sie seufzte theatralisch und blieb vor mir stehen.
„Das, meine liebe Mittellose, sollte man sich lieber vor Augen halten."
Die Wut in mir begann zu brodeln. Wie ein Topf heißes Wasser auf dem Herd.
„Mein Name ist Ambra", stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „und ich habe mir das hier nicht ausgesucht. Ich wurde erwählt."
Malia stieß ein hässliches Lachen aus. Schrill und falsch. Dann funkelte sie mich wieder an.
„Nun gut, dann gerade heraus", sie bohrte mir ihren Zeigefinger in den Brustkorb, „lass die Finger von Dante."
Mein Blick fiel auf den Ring, den sie an ihrem Ringfinger trug. Der Ring selbst war nichts Besonderes, doch der Diamant, der ihn zierte, machte mir bewusst, um was für einen Ring es sich hier handeln musste. Malia folgte meinem Blick und ein teuflisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie strich sich ihren Rock glatt und öffnete die Tür.
„Wie ich sehe, verstehen wir uns, Ambra."
Und zu ihrem Glück – und meinem – verließ sie ohne ein weiteres Wort den Raum. Als die Tür sich schloss, brach die ganze Wut und Enttäuschung in Form von Magie aus mir heraus.
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Die Erbin der Magi
FantasyAmbra ist jung, schön und mittellos. Daher lebt sie gemeinsam mit ihrer Mutter weit entfernt vom Zentrum der Stadt Alruwea. Was niemand wissen darf - Ambra beherrscht die Kunst der Magie. Doch diese ist schon vor ihrer Geburt in ganz Alruwea verbote...