Kapitel 17

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Ich fühlte mich durchbohrt von seinen Augen, weswegen ich zurückwich und mich umdrehen wollte, um schnell zu verschwinden. Allerdings kam ich nicht weit, denn Manu hielt mich am Arm fest, ich bekam Angst und merkte, wie mein Puls in die Höhe ging. Aber anstatt irgendetwas Böses zu machen, fragte er mich besorgt „Alles gut? Du schaust aus, als hättest du stundenlang geweint." Ich versuchte mich loszureißen, jedoch war ich zu erschöpft von dem langen Tag. „Was interessiert dich das?", sagte ich nur stattdessen. Manu seufzte und ließ mich los. „Soll ich dir den Weg zur Schule zeigen? Ist nicht weit weg, höchstens 15 Minuten zu Fuß. Du meintest ja, du hättest dich verlaufen." Eigentlich wollte ich nur so schnell es ging weg von ihm, aber ich hatte keine großen Chancen alleine dorthin zu finden, deswegen nickte ich leicht. „Komm." Schweigend liefen wir nebeneinander her, wobei ich merkte, wie mein Puls immer höher ging. Eine Nervosität machte sich in mir breit und ich verstand nicht ganz, woher die kam. Manu ging mit mehr als einem Meter Abstand neben mir und er wirkte nicht so, als ob er mich angreifen würde. Dennoch war ich nervös.

Als ich schließlich die Schule erblickte, durchzog mich eine Welle von Erleichterung. In den letzten paar Metern war ich etwas schneller gegangen, weswegen ich mich jetzt zu Manu umdrehte. „Danke. Ohne dich wäre ich sicher nicht mehr nach Hause gekommen." Ich lächelte, ich lächelte wirklich meinen Mobber an und dieser lächelte ehrlich zurück. „Gerne doch" „Ähm. Falls ich irgendwas als Gegenleistung machen kann, sag es. Das bin ich dir schuldig." Ich merkte wie er überlegte, zwar war es dunkel, aber ich konnte dennoch erkennen, wie sich eine Denkfalte auf seiner Stirn bildete. Ohne etwas zu sagen, kam er immer näher auf mich zu, bis er direkt vor mir stand. Mein Puls ging erneut in die Höhe und ich fühlte mich, als ob ich demnächst umfallen würde. Ich wollte ihm in die Augen schauen, damit ich wusste, was nun passieren würde. So hob ich meinen Kopf und mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass er größer war als ich, doch das war mir im Moment egal. „Da gibt es tatsächlich etwas", meinte er und zog mich in eine Umarmung. Zuerst war ich geschockt und konnte mich nicht bewegen, aber nach kurzer Zeit erwiderte ich die Umarmung, indem ich meine Arme auch um ihn legte. Ich weiß nicht wie lange wir so dastanden, aber von mir aus hätte es viel länger sein können. Kurz bevor Manu sich von mir löste, flüsterte er mir noch zwei Wörter in mein Ohr „Verzeih mir!" Danach drehte er sich um und ging wieder in die Richtung, von der wir gekommen waren. Ich stand erst einmal verwirrt da und wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Hatte ich mich gerade mit ihm versöhnt? Ich verstand es nicht, die Tage und Wochen davor hatte ich Angst vor ihm, aber jetzt fühlte ich mich in seiner Umgebung wohl. War das eine Masche?

Langsam ging ich zurück nach Hause. Zu Fuß war es ein weiter Weg, aber ich brauchte die Zeit zum Nachdenken und außerdem fuhr kein Bus mehr. Ich ließ das Geschehen noch einmal Revue passieren und mir kam zum ersten Mal eine aufrichtige Frage in den Kopf. War meine Angst Manu gegenüber eigentlich begründet gewesen? Er hatte mir nie wehgetan und den Startbefehl hat er auch nur immer indirekt gegeben. Er war eigentlich eher der, der das alles abgebrochen hatte. War er einer von den Guten? Und dann auch noch seine Bitte an mich. Ich solle ihm verzeihen. Konnte ich das? Mit diesen Fragen beschäftigte ich mich auf meinem Weg nach Hause. Vor meiner Wohnungstür holte mich allerdings die Realität wieder ein und ich ließ Manu mit all den Fragen in die hinterste Ecke meines Kopfes verschieben.

Meine Mutter saß weinend vor der Tür und als sie mich bemerkte sprang sie auf und zog mich in eine Umarmung. „Ich dachte, ich hätte auch dich verloren." Dieser Satz ließ meine Brust schmerzvoll ziehen und ich bemerkte, wie nahe meiner Mutter das heutige Geschehen ging. „Ich werde nie gehen", meinte ich deswegen zu ihr und strich ihr dabei beruhigend über den Rücken. Dass ich einmal meine Mutter tröstend musste und nicht umgekehrt, hätte ich nie für möglich gehalten.

Die restlichen Ferien verbrachte ich mit Denken. Einerseits dachte ich viel an meine Oma und war deswegen auch öfters fix und fertig. Andererseits kreisten meine Gedanken oft um Manu und auch um die Frage, wie es in der Schule sein wird.
Am 27.12 fuhr ich wie versprochen mit nach Hamburg, auch wenn mir nicht wirklich danach war. Von meiner väterlichen Familie bekam ich nur Mitleid und alle erzählten mir, wie großartig doch meine Oma gewesen sei. Nach kurzer Zeit hing mir ihr Mitgefühl aus dem Hals und ich zog mich von der Familienfeier zurück. Zu meinem Glück verstand mein Vater mich und ließ mich in Ruhe.
An Silvester blieben meine Mutter und ich zu Hause. Zwar gingen wir um Mitternacht vor die Tür, um ein paar Raketen zu sehen, aber zum Feiern war uns nicht zumute. Ich wünschte mir auch dieses Jahr etwas, so wie davor auch immer. Mein Wunsch war einfach, „Bitte lass das nächste Jahr besser werden."
Aber so viel besser fing das Jahr nicht an.

Am 05. Januar, an meinem 17. Geburtstag, war die Beerdigung meiner Oma. Wir hatten Geburtstage noch nie groß gefeiert, aber immer an meine Oma erinnert werden, wollte ich eigentlich nicht an meinem Geburtstag. Natürlich fragte mich meine Mutter, ob es in Ordnung sei, aber da viele unserer Verwandten ab dem 7. wieder arbeiten mussten, gab es keine anderen freien Termine. So kam es, dass ich an meinem Geburtstag einem Trauerzug hinterherging.
Der Tag war sehr emotional gewesen, viele Freunde von meiner Großmutter hielten kleine Reden und mir wurde wieder einmal verdeutlicht, wie toll meine Oma doch war und was für ein schönes Leben sie führte.
Am Abend viel ich erschöpft ins Bett. Mein Geburtstag war hiermit offiziell versaut worden, wahrscheinlich für immer. Seit dem Tag, an dem das alles passierte, hatte ich keine Träne mehr vergossen, in diesem Moment brach aber wieder alles aus mir hinaus. Ich lag schluchzend in meinem Bett und murmelte leise „Happy Birthday, Pdizzle!"


War das zu gemein von mir?

Sorry Palle... :(

Mein vergessenes Jahr/KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt