Kapitel 14

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~ Alles wär wesentlich leichter, wenn Erinnerungen ein Verfallsdatum hätten.~

Tief atme ich ein und versuche den Schmerz in meiner Brust zu unterdrücken. Wie konnte mich Nate mit so kleinen Gesten so verletzlich machen? Warum konnte Veronica mich so zerstören?

Ich sitze im Auto und dieses bedrängenden und einengende Gefühl will einfach nicht verschwinden.

Ich presse meinen Kopf an die kühle Scheibe und sehe zu, wie durch meinen Atem, die Scheibe anläuft. Mit dem Arm wische ich einmal darüber. Die Scheibe ist sauber und man erkennt nicht, was gerade passiert ist.

Warum kann das Leben nicht einfach so sein? Einfach einmal drüber wischen und die Erinnerungen sind weg, aufgelöst, vergessen. Keine quälenden Gedanken. Aber leider ist das Leben so nicht. Erinnerungen bleiben, auch die schlechten. Sie beeinflussen dich und bestimmen wie du dein Leben lebst.

Ich wurde schon mehrmals von meinen Erinnerungen in die Ecke gedrängt. Veronica hat es geschafft. Mein Erzeuger hat es geschafft, mich ihnen hinzugeben. Jedesmal auf neue.

Und dann gibt es noch Nate. Ich finde es unheimlich, dass er geschafft hat mich so zu beeinflussen. Aber auch er ist für mich gestorben. Gestern hat er noch gesagt, er wäre immer für mich da und ich könne ihm vertrauen. Und noch nicht mal 24 Stunden später: Die Enttäuschung. Ich weiß genau das er alles beobachtet hat. Aber von wegen er ist da. Er hat mich allein gelassen.

Das knallen einer Autotür reist mich aus meinen Gedanken. Aiden will mir raushelfen doch ich schüttel ihn mit einem: „Ich kann das alleine.“, ab. Er seufzt ergeben und geht, gefolgt von mir, zum Haus.

„Grace, wir essen in einer halben Stunde Abendbrot“, ruft mir Liv besorgt hinterher, als ich auf dem Weg in mein Zimmer bin.

„Kein Hunger “, erwiderte ich, bevor ich die Tür zu meinem Zimmer zu schlage und mich bedrückt und beklemmt umschauen.

Soll ich es wagen und ihnen Vertrauen, mit dem Risiko wieder enttäuscht zu werden oder ziehe ich mich zurück und zeige meiner Familie die kalte Schulter und verletze sie wahrscheinlich.

Verloren in meinem Zimmer umherblickend, sehe ich meine Schultasche, die wahrscheinlich Vale hergebracht hat, nachdem sie sich im Krankenhaus verabschiedet hat. Ich bin froh eine echte Freundin wie Vale gefunden zu haben. Denke ich jedenfalls.

Schließlich entscheide ich mich auf die Dachterrasse zu gehen. Leise schleiche ich mich die Leiter hoch, wobei die Stufen leicht knarzen.
Oben angekommen, genieße ich die frische Luft und die angenehme Stille. Hier bin ich für mich. Hier muss ich meine Gefühle nicht verstecken und einen auf stark machen.

Ich setze mich an den Rand und beobachte den sich rotfärbenden Himmel und das geniale Farbenspiel am Horizont. Es ist perfekt!

Im Gegensatz zu meinem Leben. Ich dachte ich könnte neu starten, doch nun geht alles den Bach hinunter. Eine einzelne Träne rinnt mir die Wange hinunter. Wortwörtlich rollt die Träne wie ein Bach meine Wange hinunter. Toller Vergleich...

Ich wünschte mir, das jetzt jemand kommt und mich in den Arm und mir sagt: „Alles wird gut. Ich bin immer für dich da. Du  bist nicht allein.“

Doch so fühle ich mich. Allein. Allein gelassen vom Leben. Ich höre wie Kinder lachend vom spielen nach Hause kommen. So unbesorgt. Diese Seite an mir wurde mit der ersten Beleidigung meines Vaters begraben.

Es war der 23. Mai. Der erste Tag über 30°C in diesem Jahr. Ich kam fröhlich von einer Pyjama Party von meiner besten Freundin May. Mit einem herzlichen Lächeln im Gesicht, ging ich auf die Suche nach meinem Dad, denn meine Mum und Chloe waren übers Wochende bei Oma. Ich entdeckte ihn schließlich im Schlafzimmer meiner Eltern und wunderte mich auch nicht über den fürchterlichen Geruch nach Schweiß und Alkohol. „Daddy“, ich bin wieder zu Hause rief mein 14-jähriges Ich in sein Ohr, worauf er hochschreckte und ich ihn nur noch mehr angrinste. Er aber verzog das Gesicht und sah mich abwertend an. Das hatte ich noch nie erlebt. Wo war mein liebenswürdiger und gut gelaunter, immer lebensfrohe und fürsorglicher Beschützer? Ängstlich schaute ich ihn an, hoffte aber immer noch auf eine Umarmung seinerseits.

Wenn das Leben dich einholtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt