Krank

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Zwei Monate später:

Es war ein nasskalter Freitag morgen Ende November. Nur wenige Menschen waren unterwegs und jene, die trotz des schlechten Wetters vor die Tür mussten, hatten sich in dicke Mäntel gehüllt und die Hände tief in den Taschen vergraben. In der Nacht hatte es gefroren und Raureif lag auf den Autos, die am Straßenrand parkten.

Ein dunkelblauer Alpha Romeo fuhr durch die Straßen Londons. Rachel Riley war auf dem Weg zu einem Arzttermin. Die Praxis lag direkt neben dem Hyde-Park. Entmutigt stellte sie fest, dass alle Parkplätze belegt waren. Vergeblich suchte sie nach einer Parkmöglichkeit in der Nähe. Missmutig fuhr sie immer wieder die Straße auf und ab, um dann letztendlich weiter zu fahren und einen weiteren Weg in kauf zu nehmen. Der nächste freie Parkplatz fand sich erst, als sie bereits auf der anderen Seite des Parks war. Schlecht gelaunt stellte sie ihren Wagen ab und stieg aus. Normalerweise ging sie gerne im Park spazieren. Sie kam oft mit einem Buch hierher, um auf einer Parkbank die Sonnenstrahlen zu genießen. Aber bei diesem Wetter konnte sie darauf sehr gut verzichten. Seufzend schlug sie den Kragen ihrer Jacke hoch, schloss den Wagen ab und machte sich auf den Weg.

Im Park war kaum jemand unterwegs. Sie hörte kein Kinderlachen und keine angeregten Unterhaltungen, wie es bei gutem Wetter immer der Fall war. Alle Leute die unterwegs waren, bemühten sich, so schnell wie möglich weiter zu kommen. Niemand hielt sich lange auf. Nur auf einer Parkbank lag ein Penner. Er hatte ihr den Rücken zugedreht und schien zu schlafen. Mit dem möchte ich auch nicht tauschen, dachte sie mitleidig und ging schnellen Schrittes weiter. Als sie endlich die Praxis erreichte, war sie schon sehr spät dran. Die Parkplatzsuche hatte sie ziemlich aufgehalten. Das Wartezimmer war fast voll und sie erwischte den letzten freien Platz. Seufzend ließ sie sich darauf sinken. Das würde sicher länger dauern. Hier herrschte heute scheinbar Hochbetrieb. Kein Wunder bei dem Wetter.

Es dauerte tatsächlich fast zwei Stunden, ehe sie die Praxis endlich wieder verlassen konnte. Draußen hatte es angefangen zu regnen und ein schäbiger Wind war aufgekommen. Nachdem sie sich ihre Kapuze über den Kopf gezogen hatte, machte sie sich im Stechschritt auf zu ihrem Wagen. Nun war wirklich niemand mehr im Park unterwegs. Niemand, außer dem Penner von vorhin. Als sie an ihm vorbei ging, saß er vorn über gebeugt auf der Bank und starrte auf den Boden. Der wird sich hier draußen noch den Tod holen, dachte Rachel, als sie ihn ansah. Und dann blieb sie wie vom Donner gerührt stehen. Sie glaubte einfach nicht was sie sah. Oder besser, wen sie sah. Der Penner war kein anderer, als der Mann, den Minerva vor einiger Zeit mit in ihr Haus gebracht hatte und der nur kurze Zeit später so plötzlich wieder verschwunden war. Langsam ging sie auf ihn zu.

„Remus?", fragte sie.

Der Mann sah auf. Er schien sie sofort wieder zu erkennen. Trotzdem starrte er sie an, als wäre sie eine Erscheinung.

„Du meine Güte, sie sehen ja furchtbar aus.", murmelte Rachel entsetzt.

Er war sehr abgemagert und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Sein vorher dezenter Bart war in den letzten Wochen unkontrolliert gewachsen und bedeckte einen Großteil seines Gesichts. Trotzdem sah man ihm deutlich an, dass erst vor zwei Nächten Vollmond gewesen war. Er war kreideweiß und zitterte am ganzen Körper. Kein Wunder, denn seine Klamotten waren triefend nass, da er scheinbar trotz des Regens die ganze Zeit auf der Bank gehockt hatte. Neben der Bank stand eine schäbige, abgewetzte Tasche, in der er vermutlich all seine Habseligkeiten aufbewahrte. Sie trat näher an ihn heran.

„Haben sie etwa hier im Park die letzte Nacht verbracht?"

Er nickte und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Seine Augen starrten jetzt glasig an ihr vorbei, so als schäme er sich, sie anzusehen. Prüfend legte sie ihm die Hand auf die Stirn und konnte spüren, wie er unter ihrer Berührung erschauerte.

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