Versorgt

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Als Remus erwachte, war er zunächst völlig orientierungslos und setzte sich ruckartig auf, was sein Körper ihm mit heftigem Schwindel quittierte. Benommen griff er sich an die Stirn und kniff die Augen zusammen. Dann sah er sich um und die Erinnerung kam zurück. Rachel Riley hatte ihn im Hyde-Park aufgelesen, ihn mit zu sich nach Hause genommen und sich um ihn gekümmert, wie um einen guten, alten Freund, obwohl sie sich praktisch gar nicht kannten und er sich bei ihrer ersten Begegnung ihr gegenüber äußerst sonderbar verhalten hatte. Seufzend ließ er sich zurück in das herrlich weiche Kissen sinken und dankte Merlin, dass er soviel Glück gehabt hatte. Die letzten zwei Monate waren die Hölle gewesen. Seit er dieses Haus das letzte Mal Hals über Kopf verlassen hatte, war er ziellos durch die Gegend gestreift, hatte unter Brücken und auf Parkbänken übernachtet und sich hauptsächlich von trockenem Brot ernährt, das er in einer Kiste im Hinterhof einer Bäckerei gefunden hatte. Offensichtlich die Reste aus den Auslagen, die nicht verkauft wurden. Da er durch diese Lebensweise sowieso schon geschwächt war, hatte ihm seine letzte Verwandlung den Rest gegeben. Von der Grippe, die er sich eingefangen hatte, mal ganz zu schweigen. Rachel hatte recht, lange hätte er da draußen nicht mehr überlebt, zumal es von Nacht zu Nacht kälter geworden war. Vermutlich wäre er eines Nachts einfach im Schlaf erfroren. Und trotzdem, seine körperlichen Leiden der letzten Wochen waren nichts im Vergleich zu dem, was sein Herz durchgemacht hatte. Als er Rachels Haus vor zwei Monaten so überstürzt verlassen hatte, war sein einziges Ziel gewesen, diese unerklärlichen, starken Gefühle zu vergessen. Er hatte einfach gehofft, dass sie verblassen würden, sobald klar war, dass er Henry Rileys Tochter nicht wiedersehen würde. Doch zu seinem Leidwesen musste er feststellen, dass genau das Gegenteil der Fall war. Ihr Haus zu verlassen fühlte sich an, als würde ihm eine heiße Nadel direkt in den Herzmuskel gerammt und jeden folgenden Tag, den er sie nicht sah, schien eine weitere Nadel hinzu zukommen. Es hatte Tage gegeben, da hatte er sich vor Schmerzen gekrümmt, so wund und verletzt fühlte sich sein Herz an. Ständig sah er ihr Gesicht vor Augen, was alles nur noch unerträglicher für ihn machte. Dieser seelische Schmerz ängstigte ihn mehr als alles andere. Noch nie hatte er von so einer starken Liebe zu einem anderen Menschen gehört. Als er sie dann heute morgen im Park wieder sah, war es beinahe wie eine Erlösung. Der Schmerz in seinem Innern verflog, sein Herz schien in Sekundenbruchteilen zu heilen. Auch wenn er körperlich vermutlich sowieso nicht dazu im Stande gewesen wäre, so musste er doch massiv den Drang unterdrücken, ihr einfach um den Hals zu fallen, so glücklich war er sie zu sehen. Und nun wieder hier in ihrem Haus zu sein, zu wissen, dass sie ganz in der Nähe war und sich so fürsorglich um ihn kümmerte, erfüllte ihn mit einer solchen Glückseligkeit, wie sonst nichts in der Welt.

Es war schon höchst erstaunlich, wie selbstverständlich sie akzeptierte, dass er ein Werwolf war. In seinem bisherigen Leben war er nur sehr wenigen Leuten begegnet, die so gut darauf reagiert hatten und das waren dann immerhin Hexen oder Zauberer gewesen. Von einem Muggel hätte er eine solche Reaktion niemals erwartet. Meistens brachte man ihm aufgrund seiner Krankheit nur Furcht oder Abscheu entgegen, aber kaum einer wäre auf die Idee gekommen, ihn mit so offenen Armen in sein Haus einzuladen. Remus war sich sicher, dass er nicht der erste Werwolf war, dem Rachel begegnete. Anders konnte er sich das nicht erklären.

Sein knurrender Magen riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte furchtbaren Hunger. Vorsichtig schwang er die Beine aus dem Bett und stellte erleichtert fest, dass ihm nicht gleich schwarz vor Augen wurde. Allerdings flimmerte es heftig in seinem Sichtfeld. Gerade als er es wagen wollte ganz aufzustehen, überkam ihn wieder ein böser Husten, der ihn eine geschlagene Minute quälte. Als es endlich vorbei war, seufzte er entkräftet. Ihm dröhnte der Kopf, er hatte Halsschmerzen und sämtliche Glieder taten ihm weh. Eine Grippe, wie aus dem Lehrbuch, dachte er sarkastisch. Mühsam erhob er sich und ging dann auf wackligen Beinen aus dem Zimmer. Die Treppe nahm er ganz langsam, Stufe für Stufe, wobei er sich am Geländer nahezu festkrallte.

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