Sabrina nippte an ihrem Weinglas. Auf dass der Alkohol half, das unliebsame Chaos in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen. Ihre Hand zitterte leicht als sie das filigrane Glas vorsichtig auf dem robusten Couchtisch abstellte. Verlegen hielt sie inne und fokussierte kopfschüttelnd die noch fast volle Flasche. Es war definitiv zu früh für alkoholpegelbedingte Tatterigkeit. Aber der Abend war noch jung.
Entschlossen richtete sie sich auf und schob eine antik anmutende DVD in den alten Player. Ihre Großmutter hatte ihr das Teil seinerzeit zusammen mit diversen Filmen vermacht. In einer liebevollen Geste pustete sie den Staub vom Display und drückte auf Start. Das Gerät gab ein lautes Klacken und langgezogenes Surren von sich, tat dann jedoch zuverlässig seinen Job. Sabrina dimmte das Licht, schlüpfte aus ihren Schuhen und rutschte ein wenig unschlüssig auf der breiten Couch hin und her, bis sie ihre Gliedmaßen in eine halbwegs komfortable Position sortiert hatte. Sollte sie vielleicht auch noch eine Kerze anzünden?
Nein, nicht übertreiben. Das lenkte nur ab. Der ersehnten 90-Minuten-Auszeit fürs Gehirn stand auch so nichts mehr im Wege. Und falls das nicht reichte, Omas Sammlung von mehr oder minder kulturell wertvollen deutschen Fernsehproduktionen war ziemlich umfangreich, und Zeit hatte sie nun mehr als genug. Innerlich schüttelte sie den Kopf. So ganz überzeugt war sie ja selbst nicht von ihrem künstlich auferlegten Entspannungsprogramm. Aber was wirkte denn bitte besser, um abzuschalten? Was taten andere, wenn sie sich ohne erhöhte gesundheitliche Risiken und Nebenwirkungen für ein paar Stunden irgendwie wegschädeln wollten? Okay, die meisten würden wahrscheinlich eher nicht mit Omas Filmkollektion allein zu Hause auf dem Sofa herumsitzen. Es gab wahrlich angesagtere Freizeitbeschäftigungen. So viel kritische Eigenreflexion besaß sie, dass ihr bewusst war, dass ihr Abendprogramm heute die besten Chancen auf den Langweiler-Award bot. Aber sie wollte einfach nur zur Ruhe kommen und mit sich selber wieder klarkommen. Da konnte sie Leute um sich herum gerade echt nicht gebrauchen.
Und tat man solche Dinge nicht ohnehin als Single? War es nicht der Luxus der Ungebunden, Zeit für sich selbst zu haben und die ruhigen Momente ohne Rücksicht auf Andere genießen zu können?
Wollte sie das? Was, wenn sie künftig mehr Zeit für sich allein hatte, als es ihr lieb war? Aber am besten, sie gewöhnte sich gleich schon einmal daran.
Auf der Suche nach Behaglichkeit schmiegte sie sich in die weichen Polster und ließ die Wärme der zahlreichen um sie herum drapierten Kissen auf sich wirken. Der samtige Stoff umhüllte sie wohlig und vermittelte ihr einen Hauch von Geborgenheit. Einen Arm fest um beide Beine geschlungen, stützte sie ihr Kinn auf die Knie und hielt den Blick erwartungsvoll auf den Bildschirm gerichtet.
Es lief eine von diesen malerisch inszenierten Liebesgeschichten, wie sie auch heute noch regelmäßig sonntags abends im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden. Ihre Oma war süchtig nach diesen seichten Unterhaltungsfilmen gewesen. Dabei war es völlig egal, dass der aufmerksame Zuschauer normalerweise schon nach spätestens fünf Minuten wusste, wo die Handlung hinführte. Das war so gewollt. Diese Filme lebten von ihrem wohlbekannten und vorhersehbaren Ablauf mit garantiertem Happy End, auf das man sich verlassen konnte.
Sabrina konnte nachvollziehen, warum ihre Großmutter die Filme so geliebt hatte und sich im Laufe der Jahre die beachtliche Sammlung davon zugelegt hatte. Auch sie genoss es normalerweise, in die geradlinige, berechenbare Idylle abzutauchen. Die kreierte heile Welt machte einen ein Stück weit glücklich und unbeschwert - zumindest für die Dauer von anderthalb Stunden Sendezeit.
Heute klappte das leider nicht.
Entnervt lehnte sie sich vor und griff erneut nach dem Glas Wein. Die realitätsfremde Schönfärberei ging ihr gerade gewaltig auf die Nerven. Diese weichgezeichnete Romantik war ein einziger Hohn. So simpel wie in diesen Filmen war es im echten Leben doch eh nie.
DU LIEST GERADE
Liebe(r) ohne Plan
RomanceKann man aktiv steuern, in wen man sich verliebt? Gibt es eine ausgleichende Gerechtigkeit für verpasste Chancen? Sabrina ist zweiundzwanzig Jahre alt und hat eigentlich immer für alles eine Lösung parat. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter war sie sch...