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Freitag war Premiere von Max' aktuellem Schul-Theaterstück. Die Aula war bis auf den letzten Platz besetzt. Der Leiter der Theatergruppe genoss auch außerhalb seiner Schule einen exzellenten Ruf und hatte seine feste Fan-Gemeinde. Sabrina war sichtlich beeindruckt von ihrem Bruder und seiner überzeugenden Präsentation. Hatte sie tatsächlich jemals in Frage gestellt, dass er schauspielern konnte? Er konnte es definitiv. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass es ihr kleiner Bruder war, der dort oben auf der Bühne stand, hätte sie ihm den alten Griesgram, den er verkörperte, ohne jeden Zweifel abgenommen. Wann hatte er das gelernt? Und wie oft hatte er sie in der Vergangenheit zu Hause bereits perfekt in die Irre geleitet ohne dass sie etwas davon bemerkt hatte? Diese Frage drängte sich ihr jetzt unweigerlich auf.

Vor allem die talentierte Lisa erntete am Ende reichlich verdienten Applaus. Sie spielte souverän die weibliche Hauptrolle. 

Nach der Aufführung stellte Max sie Lisas Eltern vor, einem zurückhaltenden, ziemlich streng und konservativ wirkenden Paar, das jedoch unschwer erkennbar auf eine liebenswürdige Art überaus stolz auf seine einzige Tochter war. Sabrina sah sich in ihrem Eindruck bestätigt, dass Lisa tatsächlich aus einem klassischen gut behüteten Elternhaus stammte. Nun wurde sie doch etwas nervös, denn sie merkte schnell, dass man ihr bei aller Freundlichkeit im Gespräch sehr wohl unauffällig auf den Zahn fühlte. Offenbar wollten sich Lisas Eltern vergewissern, dass Max ebenfalls aus geordneten Verhältnissen stammte und ihre Tochter bei ihm gut aufgehoben war. Verständlich.

Leicht angespannt strich sie ihren Rock glatt, straffte die Schultern und bemühte sich um Haltung. Angemessen stilvoll gekleidet war sie anlässlich der Premierenfeier immerhin.

Unwillkürlich fühlte sie sich sofort zurückversetzt in die Situation, als sie vor einigen Jahren erstmalig Julians Eltern gegenüber gestanden hatte. Nur dass die Weyers' im Vergleich verständnisvoll, offen und großherzig gewirkt hatten, aber das wurde ihr erst jetzt im Nachhinein klar.

Unauffällig rieb sie ihre feuchten Handflächen am Stoff ihrer Kleidung. Sie wollte für Max einen guten Eindruck hinterlassen und beweisen, dass sie als Erziehungsberechtigte alles im Griff hatte. So gesehen war es vielleicht ganz gut, dass Julian heute seine Bandprobe so kurz vor dem großen Auftritt nicht hatte schwänzen können und deshalb nicht an ihrer Seite war. Ohne ihn wirkte sie auf Lisas Eltern sicher seriöser.

Augenblicklich bekam sie angesichts ihrer Gedanken ein schlechtes Gewissen gegenüber Julian. Er hatte es nicht verdient, ihre Unsicherheiten ausbaden zu müssen. Wenn sie ihn wollte, musste sie den Mut haben, zu ihm zu stehen, in jeder Situation, auch vor Lisas Eltern. Natürlich sollte Max durch sie keine Nachteile bei dem Mädchen seiner Wahl haben. Andererseits traute sie es ihrem Bruder eigentlich sehr wohl allein zu, ihnen den passenden Eindruck von sich zu vermitteln. Er und Lisa waren immerhin nun seit fast drei Monaten zusammen und wirkten anstandslos glücklich miteinander.

Der Vater verwickelte sie schließlich in ein Gespräch über das Klettern, ein Thema, zu dem sie gern und ausführlich Auskunft geben konnte. Anscheinend überlegte er, es selbst nun auch mal zu versuchen, nachdem Lisa zu Hause so von diesem Sport geschwärmt hatte.

Sie erklärte geduldig, worauf es ankam, und versicherte ihm, dass sich durchaus auch Leute jenseits der vierzig noch erstmalig an eine Kletterwand wagen konnten. Sie legte ihm lediglich nahe, zunächst Unterrichts-Stunden bei einem erfahrenen Trainer zu buchen, falls er nicht einen wirklich erfahrenen Kletterpartner an seiner Seite hatte.

Im Stillen schmunzelte sie. Ihr kam der Verdacht, dass Lisas Vater in Wahrheit wahrscheinlich in erster Linie Angst um die Gesundheit seiner Tochter hatte und die ganze Fragerei einzig dazu diente, sich unauffällig  zu vergewissern, dass der Klettersport auch wirklich kein Risiko bedeutete.

Liebe(r) ohne PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt