-6-

21 2 0
                                    

Ihre Stirn pochte heftig. Sie schlug die Augen auf, kniff sie jedoch sofort wieder zu, denn das grelle Tageslicht intensivierte den Schmerz nur. Sie blinzelte vorsichtig und versuchte, ihre Hand an die Stirn zu heben. Es klappte nicht. Irgendetwas hielt sie fest an Ort und Stelle.

Sie spürte die wohlige Wärme auf ihrer bloßen Haut. Sie war eng an einen schlafenden Männerkörper geschmiegt. Seine Hand war fest mit ihrer eigenen verflochten.

Für einen Moment genoss sie das befriedigende Gefühl von Geborgenheit, das nur durch das penetrante Hämmern in ihrem Kopf geschmälert wurde. Wieso hatte sie so einen Schädel?

Mit einem Mal war sie hellwach. Der Rotwein. Julian. Das alles war nicht wirklich so passiert, oder? Mit voller Wucht strömte die Erinnerung auf sie ein. Das Blut schoss ihr in die Wangen.

Sie hatten geredet. Endlich. Sie war so froh gewesen, ihn wiederzusehen, ihn nah bei sich zu haben, zu spüren, dass es ihm gut ging. Dann war er plötzlich unglaublich verführerisch und so verdammt sexy gewesen. Die Initiative war von ihm ausgegangen, aber sie hatte bereitwillig mitgemacht, ohne jeglichen Hauch einer Chance, seinem Drängen nicht nachzugeben. Es war absolut unmöglich, ihm zu widerstehen. Sie hatte ihn gewollt, sehr, wirklich sehr, sehr dringend. Dann hatten sie sich mit einer ungestümen, draufgängerischen Begierde geliebt, mehrfach, bis sie irgendwann völlig erschöpft aneinander gekuschelt in den Schlaf gefallen waren.

Die Erinnerung trieb ihr sämtliche erdenkliche Schamesröte ins Gesicht. Sie lagen noch genauso, wie sie wenige Stunden zuvor eingeschlafen waren. Haut an Haut und völlig nackt. Nicht auch nur einen Millimeter waren sie im Schlaf voneinander abgerückt.

Was hatte sie sich bloß dabei gedacht?

Sie hatte niemals zulassen wollen, dass er von ihren Gefühlen für ihn erfuhr. Schon beim ersten Kuss hätte sie ihn aufhalten müssen. Am besten vor dem ersten Kuss. Es wäre ihre verdammte Pflicht gewesen. Aber sie hatte ihn nicht gestoppt. Sie hatte sich bereitwillig von ihm mitreißen lassen und dem Feuer zwischen ihnen noch ordentlich eingeheizt. Ihre Willensstärke war vom Alkohol außer Gefecht gesetzt gewesen. Die Übermacht ihrer Gefühle hatte gewonnen.

Wie sollte sie das bloß Max erklären? Was sollte er jetzt von ihr denken? Er hatte sie zusammen gebracht, damit sie sich mit seinem Freund aussprach. Sie hatten sich wieder vertragen sollen - aber doch ganz sicher nicht miteinander in der Kiste landen sollen.

Shit, sie hatte ganz eindeutig ziemlich großen Mist gebaut. Ihre Beklemmung wuchs an. Sie musste hier raus. Einen klaren Kopf bekommen und sich um Schadensbegrenzung kümmern. Soweit das noch möglich war.

Vorsichtig löste sie sich aus Julians Armen, darauf bedacht, ihn nicht zu wecken. Leise zog sie sich an und schlich aus dem Raum. Hoffentlich war Max noch in seinem Zimmer. Sie hatte noch keinen blassen Schimmer, wie sie ihm gegenübertreten sollte. Am liebsten hätte sie sich einfach die Decke über den Kopf gezogen und die Welt noch eine Weile ausgesperrt, wenigstens so lange, bis dieses nervtötende Pochen in ihrer Stirn nachließ. Das störte beim Denken. Aber liegen zu bleiben war keine Option. Nicht hier mit Julian.

Max war schon wach. Kein Wunder, er war ja auch viel früher im Bett gewesen als sie. Er saß mit seinem Laptop auf der Couch und trug seinen Kopfhörer. Kurz sah er auf und nickte ihr zu, dann konzentrierte er sich wieder auf den Bildschirm.

Sie flüchtete ins Bad. Dort suchte sie nach einer Tablette gegen das Dröhnen im Schädel, wagte es jedoch nicht, ein ausgiebigeres Wellness-Programm zu starten. Das dauerte zu lange. Sie musste sich ihrer Verantwortung stellen. Sie konnte nicht riskieren, dass Julian wach wurde und Max und er ohne sie aufeinander trafen.

Liebe(r) ohne PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt