Sie gab ihm fünfundvierzig Minuten, dann schrieb sie ihm:
Tut mir leid, wie das gerade gelaufen ist. Das ging nicht gegen dich.
Sie war nicht gut im texten. Zumindest nicht, wenn es um andere Dinge ging als simple Terminabsprachen. Sie redete lieber persönlich. Aber mit seinem Abgang hatte er ein Statement gesetzt, deshalb hatte es jetzt wohl kaum Zweck, ihn anzurufen. Sie hätte auch gar nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen.
Er las Nachricht, antwortete jedoch nicht. Okay, sie hatte auch nicht mit einer Antwort gerechnet. Sie hatte ihn verletzt, das brauchte Zeit. Und er hatte ja recht. Abstand war wahrscheinlich das Sinnvollste. Eine gemeinsame Lösung konnte es doch eh nicht geben. Ihre letzte Aussprache hatte im Bett geendet, das war auch nicht die richtige Option für sie beide.
Sie joggte eine große Runde durch den Stadtpark, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Dann bereitete sie das Abendessen vor. Es gab Kartoffelauflauf, da hatte sie eine Weile dran zu schälen und zu schnibbeln. Max hatte bestimmt Hunger, wenn er von seinem Basketballspiel zurückkam. Als sie dann immer noch nichts mit sich anzufangen wusste, begann sie die Wohnung zu putzen. Sie schrubbte Küche und Bad, wusch die Schränke aus und unterzog danach sogar das Treppenhaus einer gründlichen Reinigung, obwohl man sich dafür sonntags durchaus schon mal Ärger einfangen konnte, weil die älteren Mitmieter des Hauses offenbar mehr Wert auf Feiertagsruhe legten, als dass sie froh über blitzblanke Stufen waren.
Sie überlegte, raus unter Leute zu gehen. Einige ihrer Freunde trafen sich sonntags am frühen Abend regelmäßig auf eine Runde Billard. Aber sie war nicht scharf darauf, Dennis über den Weg zu laufen. Der hatte sich in den letzten Monaten dieser Truppe angeschlossen. Sie ging nicht davon aus, dass er auf sein Billard Spiel verzichten würde, nur weil sie sich von ihm getrennt hatte. Kaum zu glauben, dass es wirklich erst gestern war, dass sie mit ihm Schluss gemacht hatte. So viel war seitdem passiert.
Der Hauptgrund, zu Hause zu bleiben, war aber, dass sie mit Max reden wollte. Sie musste sichergehen, dass er ihr die Nacht mit Julian nicht übel nahm. Und sie wollte erfahren, wie es zwischen den beiden aktuell stand. Der Gedanke, dass Max sauer auf sie war oder dass er jetzt wegen ihr vielleicht Streit mit Julian hatte, war beklemmend.
Sie hoffte, dass beide im Laufe des Tages noch Kontakt hatten. Normalerweise schrieben sie regelmäßig. Max hatte es schließlich nur gut gemeint, als er Julian aus Versehen geoutet hatte. Er hatte nur versucht ihren Streit zu schlichten. Wieder so ein Punkt. Wäre sie nicht seine Schwester, wäre das alles so nicht passiert. Dann wäre Max morgens gar nicht dabei gewesen. Und Julian hätte ihn wahrscheinlich im Vorfeld in seine Pläne eingeweiht.
∞
Aus dem erhofften Gespräch mit ihrem Bruder wurde erstmal nichts. Als er auftauchte, war er in weiblicher Begleitung. Das war ungewöhnlich. Bis jetzt hatte Max noch nie ein Mädchen mit nach Hause gebracht. Sie musterte die junge Frau unauffällig. Sie schien in etwa in seinem Alter zu sein und machte einen aufgeweckten, sympathischen Eindruck.
„Das ist Lisa", erklärte er. „Lisa, das ist meine Schwester."
Lisa lachte. „Hallo, Schwester von Max."
Sabrina musste ebenfalls lachen. Sie mochte Lisa auf Anhieb. Sie wirkte natürlich und hatte offensichtlich Humor. Schüchtern war sie jedenfalls nicht, denn sie redete gleich drauflos: „Du heißt Brini, oder?"
Sie schluckte. Julian war der Einzige, der sie ‚Brini' nannte. Er hatte irgendwann vor vielleicht zwei Jahren damit angefangen und sie hatte es ihm nicht wieder abgewöhnen können. Sie hatte diese Kurzform ihres Namens schrecklich gefunden, und genau das hatte Julian wohl anfangs daran gereizt. Also hatte sie irgendwann aufgehört zu protestieren und gehofft, der Sache so den Nährwert zu entziehen. Erfolglos. Dass Julian seitdem die ungeschriebene gewohnheitsrechtliche Erlaubnis besaß, sie so ansprechen zu dürfen, bedeutete allerdings nicht, dass dies auch für Dritte galt.
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Liebe(r) ohne Plan
RomanceKann man aktiv steuern, in wen man sich verliebt? Gibt es eine ausgleichende Gerechtigkeit für verpasste Chancen? Sabrina ist zweiundzwanzig Jahre alt und hat eigentlich immer für alles eine Lösung parat. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter war sie sch...