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Sie betrat erneut den Proberaum, zum zweiten Mal, während die vier Musiker ihre Instrumente einpackten.

„Wenn du unser Fan werden willst, musst du demnächst aber mal früher aufstehen, du hast uns schon wieder verpasst", rügte der Sänger sie mit einem spöttischen Lächeln. Julian schien das unangenehm zu sein, daher war es wohl geschickter, den Kommentar ohne Erwiderung zu ignorieren.

„Kann ich dich noch mal sprechen?" wandte sie sich stattdessen an ihn. 

„Ja, warte, ich komme mit raus", antwortete er überraschend freundlich. Er schnappte sich seine Sachen und lotste er sie zügig aus dem Raum.

Als sie die Außentür öffneten, schlug ihnen böiger Wind mit einem Schwall Wasser entgegen. Innerhalb der geschätzten zwei Minuten, die sie in dem Gebäude verbracht hatte, hatte sich der vormals leichte Nieselregen offenbar blitzartig zu einem wahren Sturzbach intensiviert.

Sie tauschten einen kurzen Blick, nickten einander zu und sprinteten wie auf Kommando einvernehmlich quer über den Hof zu einem nahe gelegenen Pavillon, der ihnen die nötige Privatsphäre und zugleich Schutz vor dem Wetter bot. Julian verstrubbelte sich mit der Hand die regennassen Haare und ihre Mundwinkel hoben sich unwillkürlich in Anbetracht der vertrauten Geste, die sie in der Vergangenheit schon so oft bei ihm beobachtet hatte.

Er grinste zurück. Seine Wangen waren vom Rennen gerötet. Diesmal wirkte er viel zugänglicher als vor zwei Wochen. Sie schöpfte neue Hoffnung. Eine so unbefangene Atmosphäre hatte zwischen ihnen schon lange nicht mehr geherrscht. Eigentlich nicht seit jener einen Nacht...

„Also? Wer schickt dich diesmal?", fragte er, aber seine Stimme klang nicht kalt und anklagend wie bei ihrer letzten Begegnung, sondern hatte jenen altbekannten leicht neckenden Unterton, mit dem er sie schon früher immer erfolgreich herausgefordert und für sich eingenommen hatte. Ihr Grinsen wurde breiter.

„Deine Mutter", erklärte sie wahrheitsgemäß. Die Kuriosität der Situation war ihr durchaus bewusst. Sie musste sich bemühen, nicht los zu prusten. Julian wirkte ebenfalls amüsiert.

"Hör auf. Deine Ideen waren auch schon mal besser."

Sie zerstörte nur ungern die gelöste Stimmung, zwang sich jedoch zu einem ernsten Gesichtsausdruck. „Leider wahr, aber glaub' mir, mit mir bist du besser bedient."

Nun hob er irritiert den Blick, und auf seiner Stirn bildete sich eine leichte Falte. 

„Was gibt es denn? Schieß los."

Sie reichte ihm das Tabletten-Tütchen. 

„Deine Mutter hat das hier in deiner Jackentasche entdeckt. Ich konnte sie heute Mittag gerade noch davon abhalten, ein Riesenfass aufzumachen und dich zur Drogentherapie einzuweisen. Aber sie macht sich Sorgen, das kannst du dir vielleicht denken."

Julian schwieg.

„Scheiße", kommentierte er schließlich.

„Was, dass sie Angst um dich hat oder dass sie deine Jackentaschen durchwühlt?"

Es kam natürlich auf das Gleiche heraus, aber der erste Punkt zeugte von mehr Verantwortungsgefühl.

„Beides. Was hat sie denn jetzt vor?" Er reichte ihr das Tütchen zurück.

„Keine Ahnung. Nichts weiter, wenn du Glück hast. Aber du solltest besser darauf aufpassen, wenn du sowas mit dir rumträgst." Sie drückte ihm die Pillen wieder in die Hand.

„Du gibst sie mir zurück?" fragte er erstaunt.

„Ja, was soll ich damit?"

Sie sah keinen Grund, ihm die Tabletten nicht zurückzugeben. Wenn Julian es tatsächlich darauf anlegte, Drogen zu nehmen, würde er sich ohnehin jederzeit wieder welche besorgen können.

Liebe(r) ohne PlanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt