Körperlich befand sie sich in ihrem Büro und saß an ihrem Schreibtisch. Wirklich anwesend war sie jedoch nicht. Sie hielt sich zu ihrer Verteidigung zugute, dass sie sehr wohl ernsthaft versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Es gelang ihr nur nicht. Immer wieder kreisten ihre Gedanken beständig um die letzten Tage, die einerseits auf eine sehr heimelige Weise fast genauso wie früher gewesen waren, und andererseits doch so absolut anders als alles, was sie bisher erlebt hatte.
Julian hatte in den vergangenen Tagen, genauso wie es bis vor acht Monaten regelmäßig der Fall gewesen war, wieder einen Großteil seiner freien Zeit bei Max und ihr verbracht. Es hatte sich angefühlt wie ein nach Hause kommen. Ihr war nicht klar gewesen, wie sehr seine simple Anwesenheit ihr tatsächlich zuvor gefehlt hatte. Nicht nur, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Es hatte ihr auch gefehlt, seine unbeschwerte gute Laune und seinen ansteckenden Optimismus um sich zu haben, seine zuversichtliche Art, für jedes Problem eine Lösung zu suchen, und seine Beharrlichkeit, wenn ein erster Versuch einmal fehl schlug. Sie hatte die positive Ausstrahlung vermisst, die ganz ohne sein Zutun die Menschen in seinem Umfeld unmittelbar bewegte, und die auf sie selbst jedesmal wie ein Energieschub wirkte. Es war unfassbar schön, ihn endlich wieder in ihrem Leben zu haben.
Aber all das machte es ihr fast unmöglich, nicht permanent an ihn zu denken und sich ausnahmsweise mal auf andere Dinge zu konzentrieren, wie zum Beispiel auf ihren Job. Erschwerend kam hinzu, dass er sie jetzt immer häufiger über den Messenger anschrieb, wenn sie sich nicht sahen. Es war nicht so, dass sie sich dadurch genervt fühlte, im Gegenteil, sie liebte seine Texte. Er schrieb keine schwülstigen Liebesbekundungen. Die hätten sie wahrscheinlich überfordert. Mit dieser Form der Romantik hatte sie sich bisher immer eher schwer getan. Große Worte lagen ihr nicht, und deren Tragweite machte ihr eher Angst als Freude. Aber Julians Texte bestanden zumeist einfach aus kurzen Kommentaren oder Anekdoten über das, was ihm im Augenblick des Verfassens gerade durch den Kopf ging. Unaufdringliche regelmäßige Lebenszeichen, so dass sie wusste, dass es ihm gut ging und dass er an sie dachte. Eigentlich nicht viel anders als früher. So hatte er ihr immer schon geschrieben, damals vor ihrer Krise. Nicht ganz so häufig wie jetzt, aber doch regelmäßig. Nur früher hatte es nicht solche intensiven Glücksgefühle in ihr ausgelöst, an ihn zu denken.
Wie sollte sie jetzt einen klaren Kopf behalten und ihre eigentlichen Aufgaben fehlerfrei erledigen, wenn ihr Gehirn sich immerzu eigenmächtig in eine rosafarbene Wattekonsistenz verwandelte? Nun ließ sie sich bereits zum gefühlt zwanzigsten Mal vom Signalton ihres Handys ablenken. Dabei hatte sie das Gerät eigentlich bereits auf lautlos gestellt und nur die Vibration noch an.
Heute war aber auch ein extrem langatmiger Büro-Tag. Seit Stunden schon überprüfte sie eintönig Zahlungen, checkte Konten und korrigierte Fehlbuchungen. Ihr brannten die Augen vom permanenten Starren auf den Monitor. Sie brauchte dringend eine Pause.
Umso schwerer fiel es ihr, Julians Texte zu ignorieren. Jeder einzelne von ihnen war eine willkommene Abwechslung. Allerdings ging er ihr ja auch so schon die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf. So gesehen war es absolut nicht nötig, dass er sich darüber hinaus noch zusätzlich in Erinnerung brachte.
Eigentlich hätte sie jetzt schon Feierabend. Kein Wunder also, dass ihre Konzentration nachließ. Aber sie wollte diesen einen Mahnlauf bevor sie ging noch fertigstellen. Die Post sollte heute noch raus, damit die Vollstreckung termingerecht erfolgen konnte. Zwar lag es in ihrer eigenen Verantwortung, wann genau sie die ihr zugeteilten Akten abschließend bearbeitete, aber wenn sie ihre Termine nicht einhielt, hakten auch alle folgenden Bearbeitungsschritte, und das würde den beteiligten Kollegen unweigerlich negativ auffallen.
Sie rieb sich die Augen, griff nach ihrem Telefon und öffnete das Messenger-Programm.
Fisch oder Schwein?
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Liebe(r) ohne Plan
RomanceKann man aktiv steuern, in wen man sich verliebt? Gibt es eine ausgleichende Gerechtigkeit für verpasste Chancen? Sabrina ist zweiundzwanzig Jahre alt und hat eigentlich immer für alles eine Lösung parat. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter war sie sch...