Kapitel 28: Schuldgefühle

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Es war acht Uhr morgens. Ich saß auf der Sitzbank und überlegte, was ich als Nächstes tun sollte. Aus dem Augenwinkel glitzerte etwas Grünes. Ich sah aus dem Fenster, auf die vorbeiziehenden Bäume an der Autobahn. Ich wusste im Moment nicht einmal, in welche Stadt wir fuhren, wo wir unsere Tour fortsetzten. Aber das war mir egal, ich hatte andere Dinge im Kopf über die ich nachdachte.

Ich bereute, dass ich Louis den zerrissenen Brief auf seinem Kopfkissen hab liegenlassen. Eine oder zwei Stunden mussten wir bestimmt noch zusammen verbringen, bevor wir jeder eigene Wege ansteuern konnten. Aber da ich sowieso keine Ahnung hatte, konnte es sich auch um fünf Stunden handeln.

Die Tür wurde aufgeschoben. Ein verschlafener Louis, mit Blick auf das Handy gerichtet und amüsierter Miene betrat den „Eingangsbereich" Wie gerne ich ihm sein Lachen aus seinem Gesicht schlagen würde. Er hatte wohlmöglich nicht mal realisiert, dass ich ihm diese „nette Geste" zurückgelassen hatte. Und wenn er es realisiert hatte, dann schien ihn das nicht zu interessieren.

Ich räusperte mich einmal unauffällig und schaute wieder aus dem Fenster. Ich spürte Louis' Blick auf mir liegen. Aber er sagte nichts. Nicht ein Wort. Ich hörte nicht einmal einen Atemzug. Neugierig drehte ich mich zu ihm um. Mein Herz raste wie verrückt. Ich war ehrlich zu mir selbst; ihn zu lieben aufhören war so unmöglich wie ein Einhorn auf einer Regenbogenwolke tanzen zu sehen.

Bei dem Gedanken musste ich leicht lächeln. Louis' blauen Augen waren immer noch auf mich fixiert.

„Freust du dich mich zu sehen?", fragte er neckend.

„Spar dir deine Kommentare", sagte ich „Hättest du gesehen was auf deinem Kopfkissen liegt, wüsstest du was du zu tun hast"

„Harry, ich will wirklich mit dir reden. Wirklich"

„Ganz ehrlich?!", ich zog eine Augenbraue hoch und verschränkte meine Arme. Louis nickte.

„Dann geh und rede mit deiner Eleanor. Louis ich-ach vergiss es. Es lohnt sich eh nicht"

Er seufzte und setzte sich gegenüber von mir auf die Bank. Sein Handy hatte er vorher auf die Arbeitsplatte der kleinen Küche gelegt. „Ich hab sehr wohl gesehen, was da lag" Mein Blick schweifte wieder auf die vorbeiziehende Landschaft und die Autos die uns entgegen kamen.

„Und genau deshalb wollte ich mit dir reden und auch, wegen gestern"

Ich verschränkte die Arme. Mein Kopf sagt, dass ich verschwinden soll. Doch mein Herz schrie „hör ihm zu" An liebsten hätte ich mein Herz aus meiner Brust gerissen und es zertreten, gequält, dafür, dass es immer und immer meinen Verstand besiegte. Ich bewegte mich nicht einen Zentimeter. Alles in mir drin schrie, stritt, streikte, artete aus, kämpfte. Doch ich betrachtete mein Spiegelbild in der Fensterscheibe und musste feststellen, dass ich wie ein ruhiges gezähmtes Kätzchen dasaß und langsam ein und ausatmete.

Ich war mir nicht sicher. Sollte ich ihm wirklich die Chance geben? Ich litt auch nur darunter. Ich konnte ihm nicht mehr vertrauen. Ich musste ihn vergessen. Er hatte zu viele zweite Chancen bekommen. Mir überkamen Schuldgefühle. Ich bin doch derjenige, der Schuld an all dem ist. Ich schluckte. Hätte ich ihm die Wahrheit erzählt, würden wir jetzt nicht hier sitzen und uns anschweigen während wir versuchten um unsere Liebe zu kämpfen. Vor meinen Augen bildete sich ein dichter Tränenschleier. Aber ich musste mich zusammenreißen. Ich durfte nicht noch mehr an die alten Zeiten, an uns denken. Auch, wenn keine Tränen fielen, bildeten sie innerlich den Nil.

„Bitte, lass es mich dir erklären. Ich möchte jetzt nicht drauf los reden. Ich warte solange bis du bereit bist. Ja, ich weiß, ich bin ein komplettes Arschloch. Ich kann mich selbst nicht mehr anschauen ohne Aggressionen zu bekommen, aber bitte lass es mich dir erklären. Ich möchte dir erklären, wie es dazu kommen konnte. Wieso es soweit kommen musste. Lass dir Zeit, ich warte"

flashlight | l.s. ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt