Kapitel 9 - Martha

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Ich bin gerührt, als ich meinen Vater in der Tür stehen sehe, sobald ich aus der Kutsche steige. Ich weiß, welche Überwindung es ihn kostet, seine Kammer zu verlassen und sich so zu exponieren. Margot steht hinter ihm und ich sehe, wie sehr auch sie sich freut, mich wiederzusehen.

„Eine halbe Stunde", erinnert mich der Lakai, der mir die Stufen hinunter hilft. Ich nicke nur, auch wenn mir eine halbe Stunde viel zu kurz erscheint. Am liebsten würde ich schon jetzt nicht mehr zurück in den Palast, wo ich mich bereits nach wenigen Tagen in Intrigen eingesponnen habe. Aber ich muss zufrieden sein mit dem, was ich bekommen kann. Und eine halbe Stunde ist die Regel bei privaten Besuchen, solange sie nicht ausdrücklich vom Prinzen oder Prinzregenten angeordnet sind.

Eilig überbrücke ich den Abstand zwischen mir und meiner Familie, indem ich den schmalen, schmutzigen Weg undamenhaft entlangeile. Mein Vater breitet die Arme aus und ich werfe mich hinein. „Ich habe dich vermisst, meine Kleine", sagt er und ich höre, wie seine Stimme bricht. Ich löse mich aus seiner Umarmung und helfe ihm unauffällig ins Haus. Margot bugsiert ihn in seinen Lieblingssessel, während ich die Atmosphäre meines Elternhauses in mich aufsauge. Schließlich lasse ich mich auf unser schäbiges kleines Sofa fallen, das mir auf einmal vorkommt wie das bequemste Möbelstück, auf dem ich je gesessen habe. Margot reicht mir eine Tasse Tee.

„Wie ist es euch ergangen?", frage ich und blicke von ihr zu meinem Vater. Letzterer schnaubt frustriert. „Ignorante Schwachköpfe, allesamt", schimpft er. „Kaum warst du aus dem Haus kamen die an mit Personal und Geld. Hab ich alles abgelehnt. Schließlich gibt es für meine Tochter keinen Ersatz! Ich hätte das Gefühl gehabt, dich zu verkaufen." Sein trotziges Gesicht erinnert mich fast an ein Kind. Margot seufzt. „Alter Sturkopf. Wir könnten es wirklich einfacher haben. Mit der finanziellen Zuwendung könnte er sich zur Ruhe setzen und Sie hätten nicht das Problem, im Palast seine Arbeit weiterführen zu müssen. Übrigens bestehen die Boten seit Ihrem Weggang wieder darauf, ihm persönlich alles zu übergeben. Ich musste sie die letzten Male wegschicken. Keine Ahnung, wie das alles werden soll."

Ich lächele ihr beruhigend zu. „Ihr schafft das schon. Ich kümmere mich um das Problem mit den Boten. Irgendwie muss es doch eine Lösung geben." „Natürlich gibt es die", schnaubt mein Vater. „Es gibt Schreiber, die alle möglichen Aufgaben delegieren, indem sie eine Vollmacht ausstellen." „Gut", bemerke ich, „dann stelle ich Margot eine Vollmacht aus, dass sie Aufträge annehmen und abgeben darf. Und was das Geld angeht, Vater", ich lasse meine Stimme absichtlich streng klingen, „es ist sicherlich sinnvoll, ein wenig Zeit verstreichen zu lassen, ehe du dich zur Ruhe setzt, damit niemand den Zusammenhang zu mir herstellt. Aber in absehbarer Zeit werde ich mich nicht mehr um Verträge kümmern können. Ich glaube, ich bin in etwas hineingeraten." Margot horcht auf. „Wie meinen Sie das?" Ich seufze. „Ich bin mir nicht sicher, wie ich es beschreiben soll. Zwei Prinzen, die mich von ihrer Meinung überzeugen wollen, Verbrechen, Rivalität, Wahrheiten und Lügen... Es ist nichts mehr schwarz-weiß. Ich nehme stark an, dass ich unter Kontrolle geraten bin." „Aber kann das gefährlich werden? Ahnt irgendwer etwas? Wissen Sie Genaueres?", sprudeln besorgt die Fragen aus Margot heraus. Mein Vater atmet einmal tief durch.

„Margot, ich würde Sie bitten, uns kurz allein zu lassen. Ich weiß, wovon Martha spricht, aber ein Gespräch darüber ist nicht für Ihre Ohren bestimmt." Die Angesprochene erhebt sich widerstandslos. Meine Schwestern hätten rumgezetert, dass sie nicht eingeweiht werden. Aber Margot ist nicht wirklich an den Intrigen interessiert. Sie ist nur besorgt um mich. Und sie ist froh, dass ich mit meinem Vater darüber reden kann. Wortlos verlässt sie das Zimmer.

„Ich weiß, was im Schloss vor sich geht. Schon allein um meiner Töchter willen stehe ich mit einem alten Freund in Kontakt, der in der Palaststadt wohnt. Er holt regelmäßig Erkundigungen für mich ein." Ich runzele verwirrt die Stirn. „Aber ich habe nie etwas davon mitbekommen. Wieso hast du mir in diesem Punkt nicht vertraut?" Mein Vater reibt sich mit der Hand über die Stirn. Eine Geste der Erschöpfung.

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt