Kapitel 31 - Titus

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Das Erste, was ich spüre, ist eine angenehme Kühle auf meiner Stirn, obwohl mein restlicher Körper zu glühen scheint. Der Rücken brennt höllisch und ich versuche, diesen Schmerz auszublenden. Hinter meinen Augenlidern ist es schwarz, ich höre nur meinen eigenen röchelnden Atem. Und doch geht es mir besser, viel besser, als das letzte Mal, wo ich bei Bewusstsein war. Ich erinnere mich nur schemenhaft, weiß nicht einmal, wo ich bin und wie ich hierhergekommen bin. Das einzige, was mein Gedächtnis mir nicht vorenthalten will, ist das Rumpeln einer Kutsche und das helle Gesicht von Fräulein Marlene, das besorgt über mir schwebt.

Was immer meine Stirn kühlt, es verschwindet kurz, ich höre, wie es in Wasser getaucht sowie ausgewrungen wird und genieße es, als es anschließend wieder auf meinem Kopf liegt und mir Erfrischung bringt.

Mühsam hebe ich meine Lider und blicke direkt in große blaue Augen, die mich besorgt mustern. „Dem Himmel sei Dank, Sie sind endlich wach", stößt Marlene erleichtert aus. „Wie fühlen Sie sich?", fragt sie und drückt das feuchte Tuch, das sie in der Hand hält, noch etwas fester an meine Stirn. Mein Mund ist vollkommen ausgetrocknet, die Zunge klebt am Gaumen und es fällt mir furchtbar schwer, Worte zu formen. „Wasser", krächze ich deshalb nur, woraufhin sie sich sofort erhebt und an einem kleinen Beistelltisch die klare Flüssigkeit in ein Glas füllt. Die Hofdame tritt wieder an mein großes Bett, schiebt ohne zu zögern einen Arm unter meinen Kopf, hebt meinen Oberkörper an und schiebt ein dickes Kissen darunter. In dieser halb sitzenden Position fällt es mir leichter, aus dem Glas zu trinken, das sie mir an die Lippen hält. Bei jeder anderen Person wäre mir mein Zustand der Schwäche furchtbar peinlich. Ich bin es nicht gewöhnt, auf andere angewiesen zu sein und umsorgt zu werden. Doch bei ihr ist es anders. Ich weiß, dass sie die ganze Wahrheit kennt, dass sie einzuschätzen weiß, was mir passiert ist. Und vor allem weiß ich, dass ich mich für diese körperlichen Verletzungen weniger schämen muss als für meine Gehässigkeit und seelische Unausgeglichenheit, die ich vor ein paar Wochen ihr gegenüber an den Tag gelegt habe. Und obwohl mir bewusst ist, dass sie zu unglaublichen Dingen fähig ist, bewundere umso mehr, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich um mich sorgt, wie sie mich aufgerichtet hat oder nun nach meinem Handgelenk greift und meinen Puls nimmt. Ihre Finger sind angenehm kühl auf meiner Haut.

„Ihr Zustand hat sich eindeutig verbessert", informiert sie mich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Sie sieht erschöpft aus, dunkle Augenringe und die Blässe ihrer Haut zeugen eindeutig von Schlafmangel. „Warum...", setze ich an zu fragen, doch sie unterbricht mich. „Das ist jetzt nicht wichtig, Hoheit. Alle Fragen können Sie mir später stellen. Nun müssen Sie erst einmal wieder zu Kräften kommen. Ich werde in der Küche nach einer Suppe für Sie fragen."

Sie erhebt sich von meiner Bettkante und geht Richtung Tür. Kaum hat sie das Zimmer verlassen, beginnen mir die Augen zuzufallen. Ich vergesse alles, was ich wissen will – warum sie noch bei mir ist, wo wir überhaupt sind, wie wir hergekommen sind, wie sie geschafft hat, dass ich nicht tot bin – und schlafe entkräftet wieder ein.

***

Ich erwache von Geschirrgeklapper und einem leisen Fluchen. Die Stimme ist mir nicht bekannt, also schlage ich die Augen auf – was fast mühelos geht – und blicke mich um. Eine rundliche Dame stellt soeben ein Tablett mit einer Suppenterrine und einem Teller auf das kleine Beistelltischchen und eilt dann zur offenen Tür, um sie zu schließen. „Wer sind Sie?", bringe ich hervor und schiebe gleich noch die Frage „Wo ist Fräulein Marlene?" hinterher. Das Sprechen geht schon besser, auch wenn sich meine Stimme nach wie vor kratzig anhört. Die Frau hat sich bei meinen Worten umgedreht und ist in einem erstaunlich behänden Knicks versunken.

„Verzeihung, Hoheit, ich wollte Sie nicht wecken", beginnt sie. „Mein Name ist Anni, ich bin Angestellte hier." Ich runzele die Stirn. „Wo genau sind wir?" Sie lächelt freundlich. „Sie befinden sich auf dem Familiensitz von Kroesus. Der Fürst und die Fürstin haben ein offenes Ohr für Ihr Anliegen gezeigt und Sie beide vorerst aufgenommen. Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, muss ich sagen, dass Sie sich keine bessere Begleitung für Ihre Flucht hätten wählen können, als die Edle Dame. Sie ist wirklich bis an ihre Grenzen gegangen, um Sie hierherzubringen und hat, als Sie das Bewusstsein verloren hatten, einwandfreie Überzeugungsarbeit bei meinem Herrn geleistet, damit er Sie unterstützt. Und es ist nicht einfach, ihn zu überzeugen. Und vielleicht sollte ich hinzufügen, dass sie Sie die ganze Zeit über persönlich gepflegt hat, am Tag wie in der Nacht." Irgendwie fühle ich mich ein bisschen schuldig, dass ich so an ihren Kräften gezehrt habe. Und doch bin ich froh, dass Anni es mir erzählt, denn Marlene hätte in ihrer Bescheidenheit nicht die Hälfte ihrer Bemühungen erwähnt. „Wo ist sie jetzt?", frage ich und die Angestellte mustert mich streng, als würde ich mich beschweren, dass sie nicht da ist. „Ich habe sie ins Bett geschickt. Das arme Mädchen konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Aber ihre Sorge um Sie hat erst ein wenig nachgelassen, als Sie aufgewacht sind. Davor konnte ich ihr sagen, was ich wollte, sie hat nicht auf mich gehört." Ich muss lächeln. „Ja, das ist so ihre Art, auf niemanden zu hören."

Die HofdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt