Kapitel 33 - Martha

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Fräulein Marlene,

ich schreibe Ihnen, weil es zu viel ist, was ich zu berichten habe, um es einen Boten mündlich übermitteln zu lassen. Zudem glaube ich, dass die Informationen, die dieser Brief enthält, zu brisant sind, um sie irgendwen wissen zu lassen. Wenn Ihr Page Ihnen alles korrekt übermittelt hat, dann sollten Sie diese geschriebenen Worte nun aus dem Mund einer Person hören, der Sie vertrauen. Vielleicht ist es Titus. Ich hoffe, dass er es ist, denn das würde bedeuten, dass er wieder bei Bewusstsein ist und es ihm einigermaßen gut geht.

Der Umstand, dass ich schreiben kann und auch nach wie vor meine Boten unkontrolliert fortschicken kann, ist Ihnen zu verdanken. Ich war am Anfang ziemlich wütend und auch gekränkt in meinem Stolz, doch gerade diese echten Befindlichkeiten dürften es gewesen sein, die Eventus davon überzeugt haben, dass mir von einer Verräterin nicht nur der Kopf lädiert, sondern auch das Herz gebrochen wurde. Zudem gab ich an, in der Ledertasche mit den Dokumenten eine nicht unerhebliche Summe an Geld mit mir geführt zu haben, mit der ich bei Ihrem Vater um Ihre Hand anhalten wollte. So – betrogen und bestohlen – habe ich Eventus' volles Mitgefühl. Ich bete nun, dass sich für Sie und Titus alles zum Besseren gewendet hat und Sie sich an dem Ort befinden, auf den wir spekuliert haben. Ich hoffe, dass Sie Unterstützung gefunden haben, denn es wird wichtig, dass Sie handeln.

Wie Sie sich vorstellen können, lässt Eventus keine Ruhe. Er wollte Titus umbringen, damit dieser keinerlei Gefahr für sein Königtum darstellt. Und nun, wo er sich an einem unbekannten Ort befindet, ist er eine größere Gefahr denn je. Sie müssen damit rechnen, dass man nach Ihnen beiden sucht und sollten entsprechend Vorkehrungen treffen. Vor allem aber sollten Sie sich beeilen. Der Namensmissbrauch der Fürstin muss schleunigst vor Gericht gebracht werden, bevor Eventus sich die geringsten Gedanken machen kann, wie er nun weiter vorgeht.

An dieser Stelle könnte ich den Brief schließen, doch ich weiß, wie sehr Sie sich um die Menschen sorgen, die Ihnen am Herzen liegen und so lassen Sie mich Ihnen berichten. Ihr Page und Ihre Zofe stehen nun in meinen Diensten. Eventus ließ sie unerbittlich befragen. Ich weiß nicht, ob sie etwas wussten, wenn, dann haben sie nichts verlauten lassen. Die beiden als meine Bediensteten zu haben, birgt ein gewisses Risiko für mich, doch auch in diesem Punkt konnte ich Eventus überzeugen. Sollten sie etwas wissen, so meine Argumentation, würden die beiden am ehesten jemandem vertrauen, der Ihnen sehr nahesteht. Und als Ihr unglücklicher Verlobter fällt diese Rolle wohl mir zu.

Ernestine erscheint mir sehr gefasst. Und doch habe ich mehrere Gespräche zwischen ihr und dem Prinzen mit angehört, in denen sie ihre Wut kaum zügeln konnte. Ihre Wut richtet sich dabei voll und ganz gegen Eventus. Ein Satz, den sie immer wieder sagt, ist: ‚Sie können mir drohen, soviel Sie wollen. Sie hätten mich fast zu einer Mörderin gemacht und schlimmer als das kann es niemals werden.' Wie Sie sich vorstellen können, ist Eventus nicht gut auf sie zu sprechen. Womöglich hätte er die Flucht in der Kutsche verhindern können, wenn Ihre Schwester sich nicht in den Weg gestellt hätte. Vorerst ist sie jedoch sicher, denn der Prinz wird nicht riskieren, dass sie mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit tritt. Und das ist ihr zuzutrauen, sollte sie sich nicht sicher fühlen.

Um Henrietta mache ich mir momentan am meisten Sorgen, obwohl sie am wenigsten von all dem weiß. Ernestine hält sich von ihr fern, um sie nicht zu gefährden, mir vertraut sie nicht mehr, aufgrund unserer Verlobung. Sie ist sehr isoliert und leidet sichtlich darunter. Ich habe gehört, dass sie gerne ihren Vater besuchen würde, doch den Hofdamen ist Ausgang momentan nicht gestattet. Die einzig gute Nachricht ist wohl, dass Eventus zurzeit viel zu viele Sorgen hat, um sie für irgendetwas gewinnen zu wollen.

Ich verbleibe mit den herzlichsten Grüßen und besten Wünschen für Sie und Titus und hoffe, dass ausnahmsweise mal etwas nach Plan läuft.

Hochachtungsvoll,

Moritz von Molda

Die Tür zum Gesellschaftszimmer fällt krachend zu und ich blicke auf. Ich habe den Brief verschlungen und alles um mich herum ausgeblendet, doch nun, wo Titus ebenfalls in der Eingangshalle steht, fühle ich mich irgendwie ertappt.

„Ich wollte nur nachsehen, ob alles in Ordnung ist und dich auch ja niemand entführt hat. Stattdessen stehst du da und... liest?" Seine Ungläubigkeit wäre fast witzig, wenn er nicht so verletzt aussehen würde. Ich lasse den Brief sinken. „Moritz hat geschrieben." Titus schüttelt den Kopf. „Mich interessiert für den Moment nicht, was du gelesen hast, sondern vielmehr, dass du überhaupt lesen kannst. Warum weiß ich nichts davon?" Ich senke den Blick. „Weil du mir gestatten musst, die Menschen zu schützen, die ich liebe. Niemand weiß, dass ich lesen und schreiben kann. Ich bin die einzige von uns Schwestern, die es gelernt hat. Ich habe damit die Arbeit meines Vaters weitergeführt." Titus runzelt die Stirn. „Dein Vater ist Schreiber." Ich nicke. „Ja, das war er einmal. Er ist erblindet und ich habe für uns den Lebensunterhalt verdient diese letzten Jahre. Als ich an den Hof kam, musste ich es geheim halten, weil es sowohl eine Gefahr für meinen Vater als auch für mich darstellen würde, wenn die Leute wüssten, dass die wichtigsten Gesetze des Landes durch meine Hand gegangen sind. Ich wollte nie Hofdame werden, doch hätte ich es mit der Krankheit meines Vaters begründet, wäre man ebenfalls misstrauisch geworden. So oder so, das ist mein Leben gewesen. Und als ich Eventus das Adelsregister ausgehändigt habe, dann nur, weil er entschlossen war, die Truhe mit meinen Schreibutensilien aufzubrechen, die er in meinem Zimmer gefunden hatte. Sei mir nicht böse, dass ich es verschwiegen habe. Ich habe es nicht getan, weil ich dir nicht vertraue. Es ist mehr so, dass der Palast kein Ort ist, wo man solche Geheimnisse aussprechen sollte."

Titus mustert mich mit vor der Brust verschränkten Armen. „Adalmar hat es gewusst, nicht wahr? Ich habe mich immer gewundert, warum er ausgerechnet in dir die Person gesehen hat, die er unterstützen muss. Nach allem, was ich über ihn weiß, fühlt er sich nur dem geschriebenen Wort verpflichtet. Und du hast da lange nicht ins Bild gepasst." Ich zucke mit den Schultern. „Adalmar hat alles herausbekommen, ohne dass ich es ihm erzählt hätte."

Stille dehnt sich zwischen uns aus. Dann verzieht sich sein Mund zu einem Lächeln. „Eigentlich sollte ich bei dir mit allem rechnen. Und übrigens siehst du sehr hübsch aus, wenn du liest. So konzentriert und völlig vertieft." Ich rolle mit den Augen. „Langsam übertreibst du es mit deinen Komplimenten. Und wo wir gerade bei Geheimnissen sind...Hast du nicht auch noch irgendwelche geheimen Hintergründe, die du mit mir teilen willst?" Meine Intention hinter der Frage ist einfach nur, die Stimmung wieder ein bisschen aufzulockern. Deshalb bin ich auch perplex, als er zugibt: „Ich habe dich im Palast eigentlich von Anfang an beobachtet. Am ersten Abend beim Dinner war ich auf der Empore. Ich habe dich dafür gehasst, dass Korbinian dich zu seiner Tischdame gemacht hat. Jetzt weiß ich es besser. Ich hätte mich auf seine Menschenkenntnis verlassen sollen. Und ich habe damals dein Gespräch belauscht mit meinem Bruder. Wo er dich ausgefragt hat. Komischerweise hat das, was du ihm gesagt beziehungsweise verschwiegen hast, mir den Anstoß dafür gegeben, einen versteckten Hinweis einzustreuen."

Ich habe immer vermutet, dass er mich beobachtet hat. Es konnte gar nicht anders sein, so viel wie er mitbekommen hat. Und doch ist es ein komisches Gefühl, das alles aus seinem Mund zu hören. Über eine Zeit zu sprechen, wo wir uns noch verabscheut haben.

Er kommt auf mich zu und deutet schließlich auf meine Hände. „Und was hat es mit den Handschuhen auf sich?" Ich streife sie ab. „Schreiberhände sind schwer zu verstecken, es sei denn, man gibt es als modisches Faible aus." Er greift nach meiner Hand und gibt ihr einen galanten Handkuss. „Nun, ich bin froh, dass das der einzige Grund ist. Vielleicht sollten wir uns nach den ganzen Geheimnissen mal dem Brief widmen."

Ich nicke. „Moritz hat geschrieben. Er ist nicht unter Verdacht geraten, zum Glück. Aber er meinte, wir sollten anfangen zu handeln." Titus nickt. „Das sollten wir. Je länger wir Eventus Zeit lassen, desto besser ist er gewappnet. Wir sollten Theodora und Fürst Alfons Bescheid geben."

Er geht zurück zum Gesellschaftszimmer und ich folge ihm. Etwas anderes bleibt mir auch gar nicht übrig. Ob mit Absicht oder nicht, Titus hat nämlich vergessen, meine Hand wieder loszulassen.


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