Fest entschlossen stemme ich die Tür zur Bibliothek auf. Ich habe keine Bedenken, dass Adalmar alles in seiner Macht stehende tun wird, um mir zu helfen. Doch angesichts der zugespitzten Lage bei Hof weiß ich nicht mehr so genau, was überhaupt in seiner Macht steht. Wie immer bin ich vollkommen überwältigt von diesem Reichtum an Wissen. Es kommt mir fast aberwitzig vor, dass ausgerechnet ich, ausgerechnet zu der Zeit, als Prinz Titus es gebraucht hat, die Lücke im System entdeckt habe. Dass ich das Adelsregister besessen habe, scheint schon eine Ewigkeit zurückzuliegen, dabei ist es nur etwas mehr als eine Woche her. Vor ein paar Tagen ging es noch um die Hoffnung auf einen neuen Prozess. Nun geht es darum, dass Titus seine Rechte als Bürger nicht verliert. Je weiter wir kommen, desto tiefer rutschen wir in die Misere hinein.
Ich lasse die ersten Regale hinter mir und strebe in die Mitte der Bibliothek. „Adalmar, ich brauche...", beginne ich, noch bevor ich richtig angekommen bin, doch erstarre mitten im Gehen und im Satz, denn ich bin nicht der einzige Besucher hier. Auf einem Sofa, etwa in der Mitte der freien Fläche, sitzt Henna, neben ihr aufgeschlagen auf den Polstern liegt ein Bildband. Scheinbar hat sie ihn beiseitegelegt, um sich aufmerksam der zweiten Person zuzuwenden. Unter der etwas erschrockenen Mimik von Henna und dem überlegenen Blick von Eventus versinke ich in einem Knicks.
„Verzeihen Sie, Hoheit, ich wollte nicht unterbrechen." Der Prinz verschränkt mit einem süffisanten Grinsen die Arme vor der Brust. „Aber nicht doch, Fräulein Marlene. Uns stören Sie doch nicht. Und während Sie auf den lieben Adalmar warten, verraten Sie uns doch bitte, was Sie von ihm wollen. Vielleicht ein Adelsregister. Bei denen könnte ich Ihnen auch behilflich sein." Ich stehe stocksteif und wie angewurzelt da. Mir fällt absolut nicht ein, was ich sagen könnte. Eventus ist es gelungen, mich unvorbereitet zu treffen und seine Wachsamkeit macht mir Angst.
„Ich wollte... Ich wollte nur...", beginne ich stockend und werde glücklicherweise von dem weißhaarigen Bibliothekar gerettet, der wie aus dem Nichts zwischen den Regalen auftaucht. „Fräulein Marlene, wie schön, dass Sie unsere Verabredung nicht vergessen haben. Ich habe schon alles vorbereitet." Eventus sieht etwa so verwirrt aus, wie ich mich fühle. Offenbar rechnet er tatsächlich damit, dass ich bis zum Hals in einer Verschwörung stecke. Womit er ja auch nicht ganz unrecht hätte. „Fräulein Marlene bat mich vergangenen Tag darum, mir einen Brief diktieren zu dürfen. Und natürlich bin ich den Mitgliedern des königlichen Hofes gerne behilflich." Eventus runzelt die Stirn. „An wen wollen Sie denn schreiben, Edle Dame?" Ich muss mir ein Lächeln verkneifen. Adalmars Ausrede hat auch in mir den Erfindergeist wieder erweckt. „Der Brief ist für meinen Vater, Hoheit. Es ist sehr schwer für mich, ihn nicht mehr sehen zu dürfen. So soll er wenigstens schriftlich von mir hören." Der Prinz sieht ein wenig enttäuscht aus, gewinnt jedoch schnell seine Fassung wieder.
„Ich war gerade dabei, mit Fräulein Henrietta eine Angelegenheit zu besprechen, die Sie auch betrifft. Wenn Sie sich also freundlicherweise dazugesellen wollen." Ich nicke und trete ein paar Schritte näher. „Wie Sie wissen, wird mein Bruder in Kürze für seine Missetaten geradestehen." Ich kann förmlich sehen, wie dieser Umstand seine Laune hebt. „Ich wünsche, dass der gesamte Hof an diesem Ereignis teilnimmt. Ein jeder soll sehen, was geschieht, wenn man sich gegen das Land und die Krone stellt. Sie beide werden mit Ihrer Schwester vorne auf einer Tribüne einen Ehrenplatz erhalten. Meine Frage wäre, ob Sie noch jemanden mitzubringen gedenken, als Begleitung."
Henna schüttelt den Kopf, etwas weiß um die Nase. Ich bin auch dabei, zu verneinen, als sich mein Verstand einschaltet. „Ich danke für die Frage", sage ich ernst. „Ich weiß nicht, ob es mir als rangniedrigere Person zusteht, diese Forderung zu stellen, aber ich hätte gerne Graf von Molda an meiner Seite. Wir wollten der Verurteilung ohnehin gemeinsam beiwohnen." Henna blickt betreten zu Boden. Eventus hingegen betrachtet mich mit schiefgelegtem Kopf. „Sie und Moritz scheinen ja recht viel Zeit miteinander zu verbringen." „Das stimmt, Hoheit." Er mustert mich. „Ich hätte Moritz eine etwas artigere...Liaison gewünscht, aber ich freue mich zu sehen, dass er offenbar Ihr Temperament zu zügeln weiß. Ich hoffe, dass es so bleibt. Und was den Tribünenplatz angeht, sehen Sie es als erledigt an." Ich knickse. „Vielen Dank, Hoheit."
DU LIEST GERADE
Die Hofdame
Historical FictionDas Königspaar von Calia ist tot. Der Kronprinz ist durch einen gerichtlichen Prozess seines Amtes enthoben. Sein jüngerer Bruder wartet darauf, die Regentschaft anzutreten. In dieser Situation wird Martha Griffel von ihren Schwestern an den königl...