Das Feuer ist heruntergebrannt und nur die Glut erhellt mit ihrem leichten Glimmen noch schemenhaft den Raum. Ein paar Meter weiter hat Martha sich in ihren Decken vergraben und atmet ruhig. Ich betrachte ihren Hinterkopf, ihre lockigen, leicht widerspenstigen Haare, die sich offen über den Boden ausgebreitet haben. Niemals habe ich daran geglaubt, so eine Frau zu finden. Eine Frau, die gerade dann zu mir hält, wenn es schwer wird. Eine Frau, deren moralischer Kompass in die gleiche Richtung weist wie meiner. Eine Frau, der ich bedenkenlos mein Königreich anvertrauen würde. Und dennoch ist sie eine Frau, die mich nur dann als Mann annehmen wird, wenn sie mich ebenso liebt wie ich sie.
Ich seufze leise. „Worüber denkst du nach?", klingt ihre Stimme aus der Dunkelheit und ich bin kurz erschrocken, da ich dachte, sie schliefe schon. Einige Sekunden überlege ich, was ich darauf antworten soll. Schließlich ist es nicht so klug, ihr anzuvertrauen, dass ich sie insgeheim als meine Ehefrau sehe. Aber zu lügen und den Prozess anzusprechen, kommt mir auch nicht in den Sinn. Also sage ich: „Über uns beide." Eine Weile ist es still. Dann meint sie: „Stell dir nur vor, was passiert wäre, wenn ich nicht Hofdame geworden wäre. Manchmal ist es ganz gut, dass das Leben nicht nach Plan läuft." Ich runzele die Stirn. „Du bist hier mit einem zu Tode Verurteilten, hast dich mit deinen Schwestern überworfen, bist durch ein Ablenkungsmanöver verlobt und kannst trotzdem sagen, dass du froh darüber bist, wie es gekommen ist?" Ich höre das Lächeln in ihrer Stimme, als sie erwidert: „Ja, so verrückt es klingt, das bin ich."
Wieder schwebt die Stille in der Dunkelheit. Dann sage ich leise: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin, dass du bei mir bist." Darauf antwortet sie nichts. Nach einer Weile wird ihr Atem ruhiger. Vermutlich ist sie nun wirklich eingeschlafen.
***
Der nächste Tag beginnt früh, denn ich habe nicht die innere Ruhe, um lange zu schlafen. Mein Rücken macht sich unangenehm bemerkbar, für die mäßig verheilten Striemen war der Boden dann doch zu unbequem, aber ich ignoriere den Schmerz und rappele mich leise auf. Martha schläft noch und ihr Haarschopf glänzt in den ersten Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fallen. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie anstarre und mich insgeheim frage, ob ich je wieder ein Leben ohne sie werde führen können. Die Antwort fällt eindeutig aus. Und doch weiß ich nicht, ob es das ist, was sie möchte. Selbst wenn sie sich ihre Zukunft an meiner Seite vorstellen könnte, wäre sie auch bereit, den Rest in Kauf zu nehmen? Je nachdem, wie die ganze Sache ausgeht, würde sie als Regentin an meiner Seite herrschen oder als Flüchtige in einem anderen Land leben. Und ich grübele darüber nach, was wohl schlimmer für sie wäre.
Ich werfe einen Blick in den Nebenraum, um zu sehen, ob Kassandra schon wach ist und tatsächlich blickt sie lächelnd auf, als sie mich bemerkt. „Guten Morgen", grüßt sie leise, während sie sich das Haar zu einem neuen Zopf macht. Ich lehne mich in den Türsturz. „Martha schläft noch", bemerke ich ebenso leise und sie nickt. „Das ist auch gut so. Wie merkwürdig es auch klingen mag, ich glaube sie kann zum ersten Mal etwas loslassen. Sie ist nicht mehr länger diejenige, die sich sorgen muss und für den nächsten Schritt verantwortlich ist. Alles liegt nun in den Händen meiner Familie und Sie sind soweit auf dem Weg der Besserung... Ihr Körper fordert sein Recht auf Ruhe und Regeneration." Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Kassandra mustert mich verschmitzt. „Seien Sie nicht albern, Titus. Selbst wenn Sie es anders gewollt und gekonnt hätten, sie hätte sich wohl von keinem ihrer Vorhaben abbringen lassen." Als ich nichts erwidere, fragt sie nur: „Würden Sie mich an die frische Luft bringen?" Statt einer Antwort trete ich vollends in das Zimmer hinein und hebe sie vorsichtig auf meine Arme. Während ich Kassandra aus der Hütte hinaustrage und auf einer kleinen Holzbank neben der Wasserpumpe absetze, kommt mir der Gedanke, wie wertvoll es ist, wieder in Kontakt mit Menschen zu stehen. Über Jahre habe ich nur Moritz gesehen, und auch ihn äußerst selten, in letzter Zeit vor allem Martha. Aber dass Theodora und Alfons und Kassandra mir vertrauen und mich an sich heranlassen, das bedeutet mir unendlich viel.
„Ich habe eine Frage an Sie", beginnt Kassandra und ich sehe diesen neugierigen Schimmer in ihren Augen, der mir verrät, dass es bei ihrer Frage nicht um Intrigen und Machtspielchen geht, sondern um Klatsch und Tratsch und den Wunsch, die Erste zu sein, die vertrauliche Informationen spezieller Art erhält. Misstrauisch rümpfe ich die Nase. „Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen eine Antwort geben will." Schmollend schiebt sie die Unterlippe vor. „Sie wissen ja noch gar nicht, was ich fragen will." Ich seufze ergeben. „Also gut, fragen Sie." Das neugierige Funkeln ist wieder da. „Ich frage mich", beginnt sie lächelnd, „ob Martha eines Tages Königin sein wird." Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird. Natürlich habe ich schon oft darüber nachgedacht, vor ein paar Minuten erst gegrübelt, was sie wohl empfindet, den Gedanken an unsere gemeinsame Zukunft gestern mit in den Schlaf genommen, aber diese Frage so offen und unumwunden gefragt zu bekommen, ist etwas ganz anderes. Außer Kassandra hätte sich wohl niemand getraut, diese Frage überhaupt zu stellen. „Wissen Sie, ich rede ja auch viel mit Martha. Aber irgendwie lässt sich so schwer einschätzen, was sie denkt. Ich meine, sie hat so viel für Sie getan, das legt nahe, dass sie Sie sehr mögen muss. Und doch habe ich natürlich keine Ahnung, wie diese Geschichte überhaupt angefangen hat." Ich verziehe das Gesicht. „Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, falls Sie darauf anspielen", beginne ich vage und Kassandra sieht enttäuscht aus. „Hass auf den ersten Blick trifft es vielleicht besser", füge ich hinzu und ihr Gesicht beginnt zu strahlen. Vermutlich wittert sie einen interessanten, exklusiven Bericht. Ich seufze. „Hören Sie zu, Kassandra, vieles, was geschehen ist, ist mir wirklich unangenehm und peinlich. Ich bin in den letzten Monaten ein anderer Mensch geworden und würde mich selber verachten, wenn ich meinem früheren Ich begegnen würde. Ich habe damals alle und jeden gehasst. Bei Martha war es anfangs besonders einfach und irgendwann unglaublich schwierig. Inzwischen empfinde ich absolut das Gegenteil." „Sie lieben sie?", will meine Gesprächspartnerin bestätigt wissen. Und plötzlich ist es ganz einfach, es laut auszusprechen. Vielleicht weil ich irgendwo in einem Wald hocke und die Situation, in der ich es Martha gestehen muss, noch so unendlich weit entfernt erscheint. Oder vielleicht auch, weil Kassandra plötzlich alle kindliche Neugierde abgelegt hat und ich das Gefühl habe, dass sie mich bestärken möchte. „Ja, ich liebe sie", sage ich schlicht. „Und ich habe keine Ahnung, ob ich ihr die Zukunft bieten kann, die sie sich wünscht, ob ich überhaupt gut genug für sie bin, ob sie nicht unglücklich wird, wenn sie das Leben leben muss, welches für mich vorherbestimmt ist..." Kassandra unterbricht mich mit einer Handbewegung. „Titus, Sie können keinen anderen Menschen aus sich machen und Sie können auch nicht die Pflicht Ihrem Land gegenüber vernachlässigen. Was ich damit sagen will ist, dass es genügt zu sein, wer Sie sind. Mein Mann ist Stallmeister. Ich stamme aus einer Familie niederen Adels. Alfons war zu Beginn unserer Beziehung bereits mit Theodora verlobt. Johannis hat immer geglaubt, mir nicht genügen zu können, weil seine Familie nicht reich und ohne Titel ist. Dabei ist das für mich nicht wichtig gewesen. Ich bin so glücklich gewesen, einen Mann kennenzulernen, der mich zum Lachen bringt und der mich mit meinen körperlichen Einschränkungen annimmt, wie ich bin. Bis er das erkannt hat, verging viel Zeit. Und bei Ihnen ist es ganz genauso. Womöglich wünscht Martha sich ein Leben in Freiheit und Einfachheit, ohne alles höfische Brimborium. Aber eventuell übersehen Sie auch, was ihr wirklich wichtig ist. Wenn man liebt, dann spielen Stände und festgefügte Erwartungen keine Rolle mehr, sondern nur der andere Mensch zählt."
Die Hüttentür öffnet sich und Martha streckt den Kopf heraus. „Hier seid ihr. Ich habe Frühstück gemacht." Sie blickt von mir zu Kassandra und meint vorsichtig: „Ich hoffe, ich unterbreche nicht irgendwas..." Sandra grinst verschmitzt und bemerkt quirlig wie eh und je: „Überhaupt nicht. Titus hat mir nur erzählt, dass ihr euch am Anfang gar nicht leiden konntet." Ich hebe sie auf meine Arme, um sie wieder hineinzutragen, und verdrehe die Augen. „Ich habe es vielleicht erwähnt. Warum muss sie aus allem immer so eine riesige Sache machen?" Martha lacht. „Das ist ihre Art, an mehr Informationen zu kommen. Sandra, hat er dir erzählt, dass er am Anfang aussah wie ein Urwaldmensch?" Ich stöhne gespielt laut auf, aber zu meiner Überraschung macht es mir gar nicht so viel aus, dass sie darüber reden. Es sind harmlose Neckereien, wie in einer Familie. Ein Stück Normalität und Heimat.
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Die Hofdame
Historical FictionDas Königspaar von Calia ist tot. Der Kronprinz ist durch einen gerichtlichen Prozess seines Amtes enthoben. Sein jüngerer Bruder wartet darauf, die Regentschaft anzutreten. In dieser Situation wird Martha Griffel von ihren Schwestern an den königl...