Kapitel 6

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Die Sonne erhitzt erbarmungslos den schwarzen Dodge. Ich wische mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und wippe mit meinem Bein auf und ab. Harry ist jetzt schon über eine Stunde in diesem verdammten Haus! Warum dauert das so lange? Vielleicht hätte ich tatsächlich hartnäckiger sein sollen, damit er bei uns bleibt. Ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen, wenn er nicht wiederkommt.

»Kennst du diesen Carter eigentlich, Zayn?« Im Außenspiegel suche ich seinen Blick, den er achselzuckend erwidert. »Noch nie gesehen. Zwar wusste ich, dass die beiden aus der gleichen Gang kommen, dass sie aber auch den gleichen Exfreund dort hatten, war mir neu.«

»Also hast du auch keine Ahnung, warum er Liam festhalten sollte.«

»Ne, sorry. Ich weiß nur, dass es nicht so funktionieren wird, wie Harry sich das vorstellt. Was auch immer er sich vorgestellt hat.« Das weiß ich doch auch nicht. Schnaubend strecke ich mich und greife zur im Fußraum liegenden Flasche. Der Inhalt hat jedoch inzwischen die gleiche Temperatur wie Badewasser, weshalb ich die Flüssigkeit aus dem Fenster spucke. »Hat jemand Kleingeld dabei?«, frage ich und trockne meinen Mund am Tanktop ab.

»Was willst du damit?«

»Ich verdurste gleich. Vorhin habe ich an der Hauptstraße eine Tankstelle gesehen, da will ich etwas zu Trinken kaufen. Außerdem muss ich auf Klo. Kommt jemand mit?« Zayn schüttelt den Kopf, doch Michelle nickt und öffnet die Autotür, bevor sie aussteigt. Mit gerunzelter Stirn schaut ihr Freund ihr hinterher. Als seine Spiegelbildaugen jedoch wieder auf meine treffen, hebe ich vielsagend die Augenbrauen, woraufhin er mit finsterer Miene den Blick senkt. Ich steige ebenfalls aus, beuge mich dann aber kurz durchs Fenster zu ihm. »Sollen wir dir was mitbringen?«

»Nein, danke. Beeilt euch einfach.« Seine Finger trommeln ununterbrochen auf die Armlehne der Tür und unruhig sieht er durch die Frontscheibe zur Villa, in die Harry vorhin verschwunden ist. Schluckend folge ich seinem Blick, scanne die Fenster ab, doch nichts regt sich. »Wir sind gleich zurück.«

Innerhalb weniger Minuten betreten wir die verlassene Tankstelle, wo mir direkt muffeliger Schweißgeruch in die Nase steigt. Der korpulente Kassierer reicht uns auf Nachfrage einen Schlüssel für die Toilette, den ich mit spitzen Fingern entgegennehme. »Ihr müsst einmal ums Gebäude. Da könnt ihr euch erleichtern.« Grinsend entblößt er sein nicht mehr vollständiges Gebiss und beäugt dabei Michelle von oben bis unten, die ein abschätziges Schnauben von sich gibt. »Unisex oder gibt es auch einen Schlüssel für die Frauen?« Blinzelnd löst er seine Gafferglupscher von ihr und sieht mich einige Momente verständnislos an. Dann lacht er. »Ist für beide.«

»Danke«, erwidert Michelle, dreht sich dann sofort um. Ich folge ihr, werfe jedoch noch einen prüfenden Blick über meine Schulter.

»Was ist das denn für ein schmieriger Typ?« Ich erschaudere, während das Bild seines fleckigen, mal weiß gewesenen Achselshirts nicht aus meinem Kopf verschwinden will. »Kein Plan, ich weiß nur, dass ich mich hier nicht länger als nötig aufhalten will«, murmelt Michelle und hält Ausschau nach gesuchter Sanitäranlage. »Meinst du, er folgt uns? Er hat dich angeglotzt, als wärst du ein saftiges Steak.«

»Soll er doch. Der kann mir gar nichts.« Vor einer Stahltür, dessen blauer Lack fast vollständig abgeplatzt ist, bleibt sie stehen. »Ja, dir vielleicht nicht. Was ist mit mir?« Als sie sich zu mir dreht, schmunzelt sie mit gekräuselter Stirn. »Hast du etwa Angst vor dem Widerling? Du hast ihn doch gesehen. Ehe der in die Gänge gekommen ist, bist du über alle Berge.«

»Ich kann dich hier doch nicht alleine zurücklassen«, erwidere ich und reiße die Augen auf. Vielleicht bin ich kein guter Kämpfer, vielleicht ist mir der Kerl wirklich suspekt, aber niemals würde ich einen Freund oder eine Freundin sich selbst überlassen. »Sicher. Wenn du zusammen mit mir auf Klo willst, kannst du das auch direkt sagen.« Ich lache, denn das war nicht mein Plan. Michelle scheint jedoch keinen Spaß zu machen, sondern zieht eine Augenbraue hoch und nickt zur Toilette. »Michelle, das...«

»Los jetzt, wir haben nicht ewig Zeit«, zischt sie. Ehe ich mich versehe, stehen wir gemeinsam in dem rechteckigen Raum. Der stechende Uringeruch beißt in meiner Nase und als ich Erbrochenes im Waschbecken sehe, schüttle ich mich. Warum kann man das nicht wegspülen? Wenn wir uns nicht in einem Wohngebiet befinden würden, wäre die Natur eindeutig die bessere Wahl. »Immerhin gibt es Toilettenpapier. Ich würde ja sagen, wehe du pinkelst im Stehen. Aber wehe du pinkelst im Sitzen!«

»Ich bin doch nicht geistesgestört!«, beschwere ich mich und hebe meinen Fuß, um mit ihm den Toilettendeckel anzuheben. Als ich die gelben Spritzer sichte, verziehe ich das Gesicht. Ein rascher Blick in den Spiegel verrät mir, dass Michelle sich umgedreht hat und nun die gesprungenen Wandfliesen begutachtet. Schmunzelnd öffne ich meinen Gürtel und bringe die Sache schnell über die Bühne. »Lass das nicht Harry oder Zayn erfahren, was wir hier machen.«

»Und wenn schon. Besonders erregend finde ich das hier jetzt nicht«, erwidert sie in bitterer Tonlage. »Das stimmt. Sag mal, was ist überhaupt bei dir und Zayn los?« Ich rupfe Toilettenpapier von der Rolle, bevor ich mich damit umdrehe und den Hahn aufdrehe. Das laufende Wasser bringt die Stückchen des Mageninhaltes in Bewegung und mich zum Würgen. »Ach, wir hatten nur eine Meinungsverschiedenheit«, murmelt sie. Verstehend nicke ich, während ich mit ausgestreckten Armen meine Hände wasche. Der Seifenspender ist jedoch leer und das Handtuch bräunlich verfärbt, weshalb ich mich lieber an meinem eigenen Tanktop abtrockne. »Um was ging es denn? Das geht doch schon ein paar Tage so.«

»Um unsere Zukunft.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und unterdrücke den Drang, sie irritiert anzuschauen. »Wie meinst du das? Habt ihr da etwa unterschiedliche Vorstellungen?«

»Sieht ganz so aus. Weißt du, vielleicht sieht es nach außen nicht immer so aus, als würde ich auf Romantik stehen. Aber ich träume, schon seit ich ein kleines Mädchen bin, von einer traumhaften Hochzeit. Irgendwo am Strand zum Beispiel. Aber Zayn ... na ja. Er will nicht heiraten. Niemals.« Autsch. Wenn er ihr das so gesagt hat, kann ich verstehen, dass sie eingeschnappt und verletzt ist. Ich kann mir zwar auch nicht vorstellen zu heiraten, aber würde Harry eine Andeutung in diese Richtung machen, würde ich zumindest darüber nachdenken. Irgendeine Lösung findet man doch sicherlich. Aber wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb sie letzte Nacht nicht auf Zatago, sondern bei Luigi geschlafen hat.

»Vielleicht gibst du ihm noch ein bisschen Zeit? Ihr seid noch nicht mal ein Jahr zusammen«, überlege ich vorsichtig. Michelle betätigt die Spülung und tritt dann zu mir ans Waschbecken. »Ich will doch nicht sofort heiraten, aber irgendwann in ein paar Jahren. Selbst das hat er verneint.«

»Gib ihm trotzdem ein bisschen Zeit. Ich kann mir vorstellen, dass ihn das überrumpelt hat. Wenn ich zurückdenke, wie panisch er war, als es um euren ersten Sex ging ...« Ich beende den Satz nicht, sondern lasse ihn so im Raum stehen. Als sich unsere Blicke im Spiegel begegnen, wackle ich stattdessen vielsagend mit den Augenbrauen. »Panisch?«

»Oh ja. Kannst du dir das nicht denken, so verklemmt wie er ist? Das solltest du doch am besten wissen.« Ich lache und kicke dann endlich wieder die Tür in die Freiheit auf. Tief einatmend strömt die frische Luft in meine Lungen. »Verklemmt?« Mein Mund öffnet sich, doch abrupt halte ich inne. Das klingt, als wäre sie anderer Ansicht. »Nicht? Oh bitte, ich will alle schmutzigen Details!« Sie verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. »Vergiss es. Sieh mal.« Mit einem Nicken deutet sie zu den Tanksäulen, an denen unser Dodge steht. Meine Muskeln entspannen sich, als ich Harry am Steuer ausmache. »Gott sei Dank.«

»Geh schon mal zum Auto, Louis. Ich bringe noch eben den Schlüssel weg.«

»Bring mir Wasser mit. Und Eis«, rufe ich ihr hinterher. »Und Kekse!« Schokolade wäre bei diesen Temperaturen wohl eine schlechte Wahl.

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Na, Gott sei Dank. Zumindest Harry sitzt im Auto und wurde also nicht von einer, wie Zayn befürchtete, Bande festgehalten :D

Und Louis und Michelle hatten ein interessantes Klogespräch übers Heiraten xD 

Zatago III - [Larry-AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt