Was mache ich jetzt? Erfinde ich eine Ausrede? Sage ich die Wahrheit? Warte ich einfach ab? Stelle ich mich tot? Ich entscheide mich dazu, meine Arme vor der Brust zu verschränken und mit einer hochgezogenen Augenbraue mich gemeinsam mit dem Chefsessel zu drehen, sodass ich den unerwarteten Besucher anschauen kann. Immerhin weiß ich weiterhin nicht, auf welcher Seite er eigentlich steht.
»Man, jetzt guck bitte nicht so«, sagt Liam zerknirscht und eilt dann mit großen Schritten direkt auf mich zu. Meine zweite Augenbraue hüpft ebenfalls eine Etage höher, als er seine Hände an meine Wangen legt und sich zu mir beugt. Was wird das? Meine Muskeln verkrampfen, ich will zurückweichen, doch die Rückenlehne ist im Weg. Erst als er mir einen Kuss auf die Stirn drückt, entspanne ich mich. Das geht in Ordnung, außerdem würde das nur unser Liam-Liam machen, nicht der Carter-Liam. Oder? »Schön, dich heile zu sehen.« Er richtet sich wieder auf, räuspert sich und wirft einen Blick durch den Raum. »Also, was tust du hier?«
»Nein, bevor ich hier irgendetwas erzähle, fängst du an!«, verlange ich. Liam seufzt, nickt aber und lehnt sich an die Tischkante. Er weiß genau, was ich meine. Immerhin ist er derjenige, der uns eine mysteriöse Karte geschickt hat und jetzt quietschfidel durch die Gegend flirtet. »Wo soll ich anfangen ...«
»Am besten am Anfang.«
Mit einem weiteren Seufzen fährt er sich durch die Haare. »Vor einigen Wochen war ich in Tokio. Danach wollte ich euch überraschen und einen kleinen Besuch abstatten, weshalb ich zurück nach San Francisco geflogen bin. Am Flughafen bin ich dann zufällig auf Carter und seine Leute getroffen. Natürlich hat er mich sofort erkannt und ehe ich mich versah, saß ich in einem abgedunkelten Wagen. Eine Zeit lang war ich auch in einem abgeschlossenen Raum, aber dann haben sie mich rausgelassen. Frag mich nicht, wieso. Na ja, zunächst waren wir in Modesto, dann sind wir hierher gekommen. Carter will sich einfach nur dafür rächen, dass wir damals abgehauen sind.«
»Aber wenn du dich frei bewegen kannst, warum bist du dann nicht einfach abgehauen?«, will ich verständnislos von ihm wissen. Liam ist schnell und Fliehen gehört zu seinen leichtesten Aufgaben. Warum also bleibt er bei diesem asozialen Pack? »Ich darf nicht alleine das Grundstück verlassen. Sobald ich fliehe oder es auch nur versuche, tun sie Harry etwas an. Ich weiß zwar nicht, ob sie überhaupt wissen, wo Harry sich aufhält, aber das kann ich nicht zulassen. Lieber verrotte ich hier bis zu meinem Lebensende«, erzählt er und schüttelt wie zur Bestärkung seiner Aussage den Kopf. Stimmen seine Worte? Ich weiß selbst, dass ich manchmal ein bisschen naiv bin, aber diesmal will ich nicht sofort sämtliche Vorsicht in den Wind schießen.
»Bist du wirklich sein Bruder?«
Liam lacht bitter, bevor er seinen Blick zum Fenster wendet und den Kopf schüttelt. »Großer Gott, natürlich nicht. Ich habe keinen Schimmer, was ihn da geritten hat. Pia ist seine Schwester, aber ich nicht sein Bruder. Nein.«
»Aber du liebst sie?« Jetzt reißt er seinen Kopf wieder in meine Richtung und verzieht sein Gesicht zu einem gequälten Lächeln. Einen Moment mustern mich seine Augen, ehe er schließlich den Kopf schüttelt. »Nein, das gehört zu Carters Spielchen. Pia wollte schon damals was von mir und das weiß Carter. Er will, dass sie glücklich ist, deshalb soll ich mit ihr zusammen sein und sie sogar heiraten. Wenn nicht, passiert das Gleiche wie bei einer Flucht. Ich bin mir sogar sicher, dass sie nicht mal etwas von den Finessen ihres Bruders ahnt. Sie glaubt, dass mein Interesse absolut ehrlich ist und dabei heuchle ich ihr nur etwas vor.« Verstehend nicke ich. Das klingt voll und ganz nach dem Liam, den ich kenne. Er ist nicht der Dreckskerl, der seinen besten Freund verpfeift und an den Pranger stellt. Nein, er ist vollkommen loyal und opfert sich lieber selbst, bevor seine Freunde leiden.
Ich seufze und reibe mir mit den Händen übers Gesicht. »Das mit Carter ist auch nur gespielt«, wispere ich, woraufhin Liam nickt. Sein Blick ist weich, als er mich angrinst. »Ich weiß.«
»Du weißt?«
»Ja, natürlich weiß ich das. Auch wenn ich etwas überrascht war, dich als erstes wiederzusehen und nicht Harry oder Zayn. Was ist eigentlich mit denen? Wo sind sie?«
»Carter hat Harry.« Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, reißt er die Augen auf. »Was?«, haucht er fassungslos. »Harry ist unten?«
Ich schlucke, denn seine Reaktion verursacht ein schmerzendes Brennen in meinem Herzen. Was soll denn bitte ›unten‹ heißen? So wie Liam mich anstarrt, kann ich mir kaum einen luxuriösen Spa-Bereich vorstellen. Aber Harry ist hier! Das ist schon mal gut. »Du weißt, wo er ist? Bring mich zu ihm!« Ihm scheint mein Wunsch nicht besonders zu gefallen, denn mit entschuldigender Miene sieht er mich an. »Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist. Außerdem bin ich mir ja nicht sicher. Ich werde mich umsehen und dir dann Bescheid geben.«
»Liam, ich will zu ihm!«
»Ich ... werde nach ihm sehen«, flüstert er und schüttelt den Kopf. »Liam, bitte! Ich habe ihn seit Tagen nicht gesehen und muss wissen, wie es ihm geht.« Ich springe vom Bürostuhl auf und stelle mich dicht vor ihn. Doch wieder ernte ich nichts als ein Kopfschütteln. »Wenn ich was Genaueres weiß, sa...« Er stoppt mitten im Satz und kräuselt die Stirn. Eine Sekunde später angelt er sein Smartphone aus der Hosentasche. In Windeseile huschen seine Augen über das bunte Display, bevor er seufzt und das Handy zurückschiebt. »Pia fragt, wo ich bin. Ich muss zurück.« Verdammt, ich habe noch so viele Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte!
»Was? Nein. Liam ich brauche deine Hilfe, du kannst jetzt nicht verschwinden!«
»Louis, wenn ich zu lange weg bin, wird es auffällig. Ich sag dir Bescheid, wenn ich was Neues habe. Bitte halte Carter noch so lange hin.« Ich will etwas erwidern, doch gleichzeitig weiß ich, dass er recht hat. Wenn er die Nachricht von Pia ignoriert, wird sie Fragen stellen. Das wäre kontraproduktiv. Deshalb seufze ich nickend. »Kopf hoch. Wir schaffen das, okay?«, sagt er und tritt gleichzeitig an mich heran, um seine Arme um mich zu schlingen. Die Umarmung tut gut, auch wenn es Liam und nicht Harry ist. Als er sich wieder von mir löst, gibt er mir noch einen Kuss auf die Wange und läuft dann zur Tür. »Liam?«
Er hält inne, dreht sich aber mit hochgezogenen Augen zu mir. »Hm?«
»Wie willst du mir überhaupt Bescheid geben?« Lächelnd legt er den Kopf schief. »Ich lass mir etwas einfallen«, erwidert er lediglich und verschwindet dann aus meinem Sichtfeld. Obwohl er mich nicht mehr sieht, nicke ich. Noch immer weiß ich nicht, wo Harry ist. Allerdings ist jetzt klar, dass Liam uns nicht verraten hat, sondern uns die ganze Zeit schützen wollte.
Mit einem tiefen Atemzug scanne ich rasch die Umgebung ab, ob noch alles an Ort und Stelle liegt. Dann lösche ich das Licht und begebe mich wieder auf den Weg in Carters Schlafzimmer. Möglichst leise schleiche ich zum Bett, bevor ich mich hinlege. Carter schmatzt kurz und legt dann einen Arm um mich, sodass mein Rücken gegen seine Brust lehnt. »Wo warst du?«, nuschelt er. Mist! Er ist doch aufgewacht. »Ich war nur kurz auf Toilette. Schlaf weiter.« Ein unverständliches Brummen erwidert er, dann ist es still. Jedenfalls in seinem Schlafzimmer, denn wenige Momente später erklingt das inzwischen bekannte Rascheln und kurz darauf auch Zayns Räuspern im Ohrknopf. Anscheinend hat das Headset wieder Platz auf seinem Kopf gefunden. Schön! Wie gerne ich ihm jetzt einen passenden Spruch entgegenschleudern würde. Er hat Glück, dass Carters Schlaf nicht tief genug ist, weshalb ich dieses Risiko lieber nicht eingehe und ebenfalls meine Augen schließe.
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Liam wird also dazu genötigt, dort zu bleiben und mit Pia zusammen zu sein ... Glaubt ihr ihm? 🤔
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Zatago III - [Larry-AU]
FanfictionTeil III von Zatago Verzweiflung. Laut dem amerikanischen Webster-Wörterbuch ist das der Zustand völliger Hoffnungslosigkeit. Doch wer denkt schon an die Bedeutung, wenn das Leben stattdessen Geld, Freiheit, Luxus und Liebe schenkt? Richtig - nieman...