Meine Knie gleichen einem instabilen Kartenhaus. Dennoch steige ich die Wendeltreppe hinab und ziehe mir meine Schuhe an, die ich aus dem Regal ziehe. Keine Ahnung, was in mir vorgeht, doch ich will Harry nicht enttäuschen.
Als ich die Haustür des Gebäudes hinter mir schließe, atme ich tief durch. Warum muss es auch schon dämmern? Hätte Harry das nicht bei Tageslicht vorschlagen können? Am liebsten würde ich umkehren, doch jetzt bin ich schon draußen. Ich straffe die Schultern. Dann laufe ich los. Erst hebe ich den linken Fuß an, komme mit der Ferse auf und rolle bis zu den Zehen hinab, der rechte Fuß schwebt währenddessen in der Luft. Jeder Schritt wiederholt sich genau so, bis zum Ende der Hauswand. Ein weiteres Mal atme ich ein und biege dann um die Ecke.
»Ah!« Ich zucke zusammen und lege vor Schreck die Hand auf die Brust. »Verdammt, Niall! Was machst du hier?«
Er blickt zwischen der Mistgabel in der einen Hand und der Zigarette in der anderen hin und her, dann zu mir. Grinsend zuckt er mit den Schultern. »Bis eben habe ich gearbeitet. Jetzt mache ich Feierabend.« Mein Herz pocht zwar wie verrückt, doch beim Anblick der Kippe zwischen Nialls Fingern ziehe ich irritiert die Augenbrauen zusammen. »Du rauchst? Seit wann das denn?«
»Selten.« Er dreht sich zur Seite, stellt die Mistgabel ab und führt den Glimmstängel an die Lippen. Möglichst unauffällig mustere ich sein Gesicht, das er gen Himmel streckt. »Ist alles in Ordnung?«, frage ich. Inzwischen bin ich fast ein Jahr hier und auch wenn er nur selten raucht, habe ich es noch nie bei ihm gesehen. Ich verstehe nicht, wie Leute sich das freiwillig antun können. Es stinkt, macht Falten und verfärbt die Finger gelb. Das ist doch nicht schön! Mich wird man niemals dazu bekommen, das hat mein makelloser Körper einfach nicht verdient.
»Ja, alles bestens«, erwidert er nach wenigen Sekunden der Stille. Ich glaube ihm nicht, weshalb ich vielsagend eine Braue hebe. Niall schielt in meine Richtung und seufzt. »Ich mache mir einfach nur Sorgen um Liam. Harry hat erzählt, was passiert ist.« Verstehend nicke ich. Liam und Niall sind schon lange befreundet, natürlich macht er sich Sorgen. Wer würde das nicht? Aber ich bin mir sicher, dass er schon bald seine Weltreise fortführen kann, wenn Harry Carter das Geld gegeben hat. »Wir holen ihn da raus.«
Niall lacht bitter und schüttelt den Kopf. »Liam ist ein Profi. Wenn er da alleine nicht rauskommt, muss das schon was heißen. Bitte unterschätzt die Situation nicht.« Tun wir das etwa? Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, denn ich habe keinen Schimmer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Harry und Zayn ein Risiko eingehen, wenn es um einen von uns geht. Aber Niall war auch mal in der Szene unterwegs. Er wird wissen, wovon er spricht. Seufzend wirft er den Zigarettenstummel auf den Boden, bevor er ihn austritt und wieder aufhebt. »Ihr macht das schon. Sagt Bescheid, falls ich euch helfen kann.«
»Machen wir.« Er nickt. Dann dreht er sich um und geht. Die Mistgabel lehnt noch immer an der Hausmauer, wo ich sie einige Sekunden anstarre. Vielleicht sollten wir das Teil mitnehmen. Sie könnte eine gute Verteidigungswaffe sein, mit der man seine Gegner aufspießen kann.
Ich schüttle den Kopf und laufe weiter Richtung Scheune, von der mich noch knapp zwanzig Meter trennen. Inzwischen ist es fast dunkel, weshalb Harry im Stall sowie auf dem Platz davor das Licht eingeschaltet hat. Sein Rappe steht ruhig dort und knabbert auf irgendetwas herum. Währenddessen schnappt Harry sich einen Gegenstand aus dem roten Putzkasten, der auf einem Hocker steht. Mein Herzschlag beschleunigt sich, doch ich zwinge mich dazu, weiterzugehen. Unter meinen Schuhen knirscht der Sand, was auch das Pferd hört. Unaufhörlich drehen sich seine Ohren und fangen meine Geräusche ein.
Innere Unruhe wabert durch meine Venen, auf meiner Stirn klebt kalter Schweiß und mein Körper zittert wie der eines Junkies auf Entzug. Was tue ich hier eigentlich? Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen?! Plötzlich streckt der Hengst seinen Kopf. Es ist nur eine minimale Bewegung, dennoch bleibe ich stocksteif stehen. Oh Gott. Vielleicht sollte ich einfach wieder zurückgehen. Ich werde mich sowieso niemals mit diesen Viechern anfreunden können.
Obwohl meine eigenen Schritte in meinem Kopf wie laute Glockenschläge ankommen, hat Harry mich noch nicht bemerkt. Unentwegt kümmert er sich weiter um Olli, ohne auch nur einmal aufzusehen. Ich schließe die Augen, um mich zu sammeln.
Reiß dich am Schlüppi, Louis! Du hast doch sonst immer so eine große Klappe, da wirst du das auch hinbekommen. Harry wird nicht zulassen, dass dir etwas passiert.
Langsam öffne ich die Lider und fokussiere mich lieber auf Harry. Mein Mundwinkel zuckt in die Höhe, denn er bückt sich in diesem Moment, sodass mein Blick unweigerlich auf seinen Po in dieser engen Reithose fällt. Diese Aussicht gefällt mir gleich viel besser. Nach einem tiefen Atemzug schleiche ich weiter. Einen Meter nach dem anderen überwinde ich, meine Augen immer auf Harry gerichtet, auch wenn ich im Augenwinkel den neugierigen Blick des Hengstes registriere. Erst, als ich bei ihm ankomme, schlinge ich von hinten meine Arme um seinen Bauch und stoße erleichtert die Luft aus, als wäre er mein Rettungsring. Harry zuckt dabei nicht mal zusammen, sondern umfasst sofort meine Hand. Meine Stirn drücke ich gegen sein Schulterblatt.
Geschafft! Ich stehe hier tatsächlich nur etwas mehr als eine Armlänge entfernt neben einem Pferd. Und ich lebe! Noch jedenfalls ...
Oh Gott, oh Gott, oh Gott!
Aber jetzt bloß nicht die Augen aufmachen. Ich muss mich irgendwie ablenken. Meine Finger krümmen sich auf dem glatten Stoff, der Harrys Oberkörper umhüllt. Mir fällt auf die Schnelle nichts besseres ein, weshalb ich das Shirt hochschiebe und sanft über die nackte Haut streichle, meine Zeigefinger schlüpfen dabei unter den Bund. Harry lacht, dreht sich jedoch gleichzeitig in meiner Umarmung, sodass meine Hände auf seinen Rücken wandern. Die warmen Finger meines Freundes schließen sich um meine Wangen, bevor auch seine samtweichen Lippen meine erobern.
»Ich bin stolz auf dich«, flüstert er nach dem Kuss, woraufhin ich nur nicken kann – noch immer mit geschlossenen Lidern. »Aber mit 'nem Ständer in der Hose lässt es sich schlecht reiten.« Die Belustigung in seiner Stimme ist unüberhörbar, weshalb ich nun doch mit einem halb geöffneten Auge zu ihm luge. »Also in meiner Welt ist ein harter Schwanz fürs Reiten unentbehrlich«, murmle ich, woraufhin er kichert. »Warum wusste ich, dass du das sagst?«
»Ich habe keine Ahnung. Kannst du mich bitte nochmal küssen?« Nur der Bruchteil einer Sekunde vergeht, bis er meinen Wunsch erfüllt. Seine Lippen schmecken nach Geborgenheit, was mein Herz augenblicklich beruhigt. Seine starken Arme, die er um mich legt, schützen mich. Hier fühle ich mich sicher.
Doch irgendwann gibt er einen überrascht klingenden Ton von sich, warme Luft prallt auf mein Gesicht und weiche Nüstern streifen meine Haut. Hilfe! Ich wimmere, meine Muskeln verkrampfen und würde Harry mich nicht festhalten, wäre ich jetzt auf den Boden gesackt. Der Kuss endet abrupt, doch Harrys Gesicht bleibt dicht vor meinem. »Ganz ruhig, er tut nichts. Wir gehen einfach ein paar Schritte rückwärts, dann kommt er nicht mehr an uns ran.«
Ich presse meinen Kopf gegen seine Brust und Harry schiebt mich den ersten Schritt nach hinten. »Stopp!« Er hält inne. Ohne hinzusehen spüre ich seinen verwirrten Blick auf mir. Wer kann es ihm schon verübeln? In seiner Lage wäre ich genauso irritiert über meinen plötzlichen Sinneswandel. Als Olli an meinem Arm schnuppert und mich dabei berührt, winsle ich wie ein hilfloser Welpe. »Baby, komm. Nur ein paar Schritte, dann bist du aus seiner Reichweite.« Doch vehement schüttle ich den Kopf. »Warte.« Harry soll wirklich stolz auf mich sein! Mein Atem stockt. Mit gespitzten Lippen versuche ich, ihn unter Kontrolle zu bringen, stoße langsam die Luft aus.
Wie in Zeitlupe hebe ich den Kopf, die Nase jedoch weiterhin gegen Harrys Schlüsselbein gedrückt, sodass mir sein Duft Sicherheit gibt. Meine Augenlider zucken, als ich sie vorsichtig öffne. Die großen Pferdeaugen sehen mich an, der Nasenrücken stupst gegen meinen Ellenbogen. Mein Inneres kratzt jeden noch so kleinen Krümel Mut zusammen, bevor ich langsam meine Hand ausstrecke. Mein Arm zittert und ich atme so schnell wie beim letzten Ritt in unserem Bett. Doch als sich das weiche Fell in meine Handinnenfläche schmiegt, reiße ich die Augen auf.
»Oh ... mein ... Gott.« Meine Stimme ist nichts weiter als ein Hauchen.
Ohne mich aus den Augen zu lassen, zieht selbst Harry scharf die Luft ein. »Ich berühre ein Pferd«, flüstere ich und lächle ungläubig. Harry küsst meine Schläfe, wo seine Lippen wenige Momente verweilen. »Ich liebe dich so sehr.«
____
Louis hat sich getraut! Jedenfalls ein bisschen :D
Und Niall raucht? Hmm.

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Zatago III - [Larry-AU]
Fiksi PenggemarTeil III von Zatago Verzweiflung. Laut dem amerikanischen Webster-Wörterbuch ist das der Zustand völliger Hoffnungslosigkeit. Doch wer denkt schon an die Bedeutung, wenn das Leben stattdessen Geld, Freiheit, Luxus und Liebe schenkt? Richtig - nieman...