1. Kapitel

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Während ich nach neben an zum Buchladen meines Vaters stolpere, krame ich in meiner Schultasche. „Hey Paps. Hast du meinen Schlüssel gesehen?", frage ich laut, als ich den Laden betrete. In seiner Werkstatt stehend, sieht mich mein Vater mit skeptischen Blick über den Rand seiner halbmondförmige Brille an. Gespielt genervt verdrehe ich die Augen. „Hast du denn bereits auf dem Verkaufstresen gesucht, Tori?", fragt mein Vater und zieht die Frage am Ende etwas in die Länge. Mit seinen langen, dürren Fingern schiebt er seine Brille weiter in Richtung Nasenspitze. Dabei zieht er seine Augenbrauen verheißungsvoll in die Höhe. Auf dem Tresen aus dunkelfarbenen Kirschholz steht eine antike Registrierkasse, die von Unmengen an Bücherstapeln umringt ist. Ich schiebe einige Stapel beiseite und lasse die Kasse aufschnallen. „Ich habe meine Schlüssel gefunden, Paps!", rufe ich ihm durch den Laden zu. Von meinem Vater erhalte ich allerdings keine Reaktion, doch das ist keine Besonderheit, wenn er in seiner Werkstatt steht und Bücher flickt. Gedankenverloren beobachte ich meinen Vater. Er liebt seine Arbeit und würde alles für diese tun. Manchmal habe ich das Gefühl, er liebt seine Arbeit mehr als mich, seine eigene Tochter. 

Das Klingeln der Ladentür reißt mich aus meinen Gedanken und lässt mich ruckartig herumwirbeln. Ein Junge, der in meinem Alter sein müsste, betritt den Laden. Ohne zu zögern lasse ich meine Schultasche langsam hinter den Tresen gleiten, straffe meine Schultern und drehe mich wieder zu dem Jungen. „Kann ich ihnen behilflich sein?", frage ich förmlich. Ein Lächeln huscht über seine markanten Gesichtszüge. Dabei kommen Grübchen zum Vorschein. „Letzte Woche habe ich ein Buch zum Flicken vorbei gebracht und wollte es heute abholen. Ist es denn schon fertig?" Unruhig beginnt er seine Hände zu massieren. „Einen Moment bitte", entgegne ich und eile in die Werkstatt. Ohne von seiner Arbeit aufzusehen reicht mein Vater mir ein etwas abgegriffenes Buch mit gelblichen Seiten. Als ich in den Laden zurück kehre, steht der Junge noch an selber Ort und Stelle, an der ich ihn verlassen hatte. „Hier bitte. Kann ich noch etwas für sie tun?",frage ich und reiche dem Jungen das Buch. Dieser nimmt es dankend an. Erst erhalte ich nur ein simples Kopfschütteln, dann entgegnet der Junge: „Richte schöne Grüße an Kendrick aus." Mit diesen Worten wendet er sich ab und verlässt den Laden. Erneut läutet die Glocke. „Hast du gehört?" ,rufe ich meinem Vater zu. Ein Grunzen ertönt als Antwort. Erneut schultere ich meine Tasche, um mich endlich auf den Weg zur Schule zu machen. Bevor ich gehe, verabschiede ich mich von meinem Vater mit einem Wangenkuss, dann husche ich schnell durch die Ladentür und laufe zum Bus. 

Auf dem Weg zur Haltestelle fängt mich Astrid ab. Als ich sie mir genauer ansehe, klappt mir die Kinnlade auf. „Blau?", bringe ich nur heraus. Ein breites Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht breit und bringt ihre unnatürlich weißen Zähne zum Vorschein. Begeistert nickt sie mir zu und fragt: „Gefällt es dir?", mit der Hand fahre ich durch ihre kurzen, nun meerblauen Haare. Nach einigen Minuten der Bewunderung, sage ich: "Ich finde es bemerkenswert, dass du dich das traust." Grinsend zuckt Astrid nur mit den Schultern, als wäre es selbstverständlich. Lachend füge ich hinzu: "Diesmal beißt sich die Farbe immerhin nicht mit der Krawatte der Schuluniform." Ein lautes Lachen entfährt Astrid und sie nickt zustimmend. „Wie geht es Kendrick?", fragt sie mich mit ernstem Blick. Ich zucke mit den Schultern und wende meinen Blick auf den Gehweg. Wie sollte es meinem Vater schon gehen? Das weiß wahrscheinlich noch nicht einmal er selbst so wirklich. Seit dem Tod meiner Mutter, vertieft er sich in seiner Arbeit und scheint kaum noch auf seine Umwelt zu achten. Anders kenne ich es gar nicht. Zwar läuft dadurch der Buchladen recht gut, aber so bekomme ich kaum noch etwas von meinem Vater mit. „Unverändert", antworte ich Astrid nach längerem Schweigen .Gerade als sie etwas erwidern möchte, hält der Schulbus vor uns und wir müssen unser Gespräch vorerst beenden. Wir steigen in den bereits übervollen Bus.

„Hast du schon gehört?", fragt sie mich. Begeisterung schwingt in ihrer Stimme mit. Verwirrt runzle ich die Stirn. „Was gehört?", frage ich perplex zurück. Übertrieben gespielt stupst sie mich mit ihrem Ellenbogen in die Seite und sagt: „Na der Schulball....Das Schulkomitee sucht nach tatkräftigen Helfern, um alles vorzubereiten. Außerdem möchte ich, dass du hingehst!" Etwas genervt verdrehe ich die Augen und lege den Kopf schräg. Seit Wochen schwärmt sie mir von unserem Schulball vor. Sie liebt es auf Veranstaltungen zu gehen und zu feiern. Ich bin jedoch in den meisten Fällen das komplette Gegenteil. Zwar treffe ich mich gerne mit Freunden, allerdings nicht um mit ihnen zu feiern und Alkohol zu trinken. „Astrid. Du weißt, dass ich bei solchen Veranstaltungen Fehl am Platz bin. Außerdem habe ich keine Begleitung für diesen Ball. Und was soll ich beim Schulkomitee?", entgegne ich skeptisch. Anstatt mir zu antworten, schnaubt sie nur. Als sie merkt, dass ich nicht nachgeben werde, lässt sie ihre Schultern fallen und meint: „Du bist eine ausgezeichnete Organisatorin und das weißt du auch. Zudem kannst du fürs Jahrbuch fotografieren. Außerdem brauchen wir deinen natürlichen Charme", sagt sie, nicht ganz überzeugend. Belustigt sehe ich sie an. Natürlich macht sie sich gerade über meine Tollpatschigkeit lustig. Schon seit jeher, besitze ich das Talent, Dekorationen und die Gefühle anderer Menschen zu ruinieren oder zu verletzen. „Ach komm schon, Tori. Lass mich nicht mit diesen Deppen alleine." Astrid zieht einen Schmollmund, um noch trauriger und überzeugender zu wirken. Ich gluckse nur vor mich hin und schüttle dabei meinen Kopf. An diesem Punkt, merkt sie, dass ich nicht nachgeben werde. Bevor Astrid noch einen letzen Versuch starten kann, hält der Bus vor unserer Schule. „Aussteigen", ruft der Fahrer mit aggressiven Unterton. Schweigend steigen wir zusammen aus und schlendern durch den Haupteingang. Über tausend Schüler drängen sich auf den Fluren. Lautes Gerede und das Zuknallen von Spindtüren erfüllt die Gänge. Hin und wieder werde ich von irgendjemanden angerempelt. Ich schlängle mich zu meinem Spind und öffne diesen, um meine Bücher zu wechseln. Astrid folgt mir auf den Fersen. Dicht hinter mir bleibt sie stehen. „Ich hab es dir doch schon erklärt.", sage ich. Ein Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht breit. Ich ziehe meine Augenbrauen aus Verwunderung zusammen. Was war denn so lustig? „Du weißt, dass ich nicht locker lassen werde", sagt Astrid mit einem fordernden Unterton. Natürlich wusste ich das, aber ich konnte wenigstens versuchen so zu tun, als würde ich nicht nachgeben „Wir sehen uns später", beende ich unser Gespräch, schlage den Spind zu und gehe zum Biologiesaal.

A mysterious MidsummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt