4. Kapitel

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Am nächsten Morgen wache ich in meinem Bett auf. Allerdings habe ich keine Erinnerung mehr daran wie ich hierher gekommen bin. Vorsichtig taste ich auf meinem Nachtkasten nach der Brille und setze mir auf. Ich schlage die Bettdecke auf und schwinge meine Beine über die Kante. Ich lasse den gestrigen Abend an meinem inneren Augen vorbei ziehen. Nach einem kurzen Augenblick stehe ich auf und mache mich auf den Weg ins Badezimmer. Eine bedrückende Stille herrscht in der Wohnung. Es ist ungewohnt, dass mein Vater nicht durch die Wohnung läuft und sein Werkzeug sucht oder er unter der Dusche laut zu Dancing Queen singt. Bevor ich ins Bad gehe, mache ich einen kleinen Schlenker zum Schlafzimmer meines Vaters. Sein Bett ist wie immer unordentlich und wie immer stapeln sich selbst im Bett alte Bücher, die er neu aufgenommen hat. Lebhaft sehe ich wie mein Vater mit zerzausten, wild in alle Richtung abstehenden Haaren wie ein verrückter Professor durch sein Zimmer hetzt und nach einem bestimmten Buch sucht. Für einen Moment wollte ich ihn in meine Arme schließen. Im nächsten Moment fällt mir wieder ein, dass er spurlos verschwunden ist und ich alleine in unsere Wohnung stehe. Krampfhaft unterdrücke ich die Tränen die mir schon die Sicht verschleiern und kurz davor sind meine Wangen runter zu kullern. Um die Tränen zurück zuhalten, wende ich mich ab und gehe ins Bad. Vor dem Spiegel öffne ich die Flechtzöpfe von gestern Abend und lasse meine Haare locker über die Schultern fallen. In leichten Wellen umspielen meine Locken meine Schultern und Gesicht. Im grellen Licht wirken meine grauschwarzen Haare noch grauer als sonst. Ich streife meinen Schlafanzug ab und stelle die Dusche an. Meine Brille lege ich sicherheitshalber auf das Waschbecken. Wie immer lege ich meinen Kopf in den Nacken und lasse das lauwarme Wasser meine Haare durchweichen. Durch die Dusche erhoffte ich mir eigentlich, dass es mir hilft wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Ich schließe meine Augen lasse das Wasser über mein Gesicht strömen. Meine Gedanken sind wirr und lassen mich unwillkürlich zusammenzucken. Doch dann schießt mir sogar eine gute Idee durch den Kopf. Ich senke meinen Kopf wieder und blinzle. Soeben habe ich einen Beschluss gefasst. Nachdem ich meinen Großvater besucht habe, werde ich zur Polizei gehen und nachfragen, was sie mittlerweile heraus gefunden haben. Ich biss mir auf die Unterlippe, aber ein Lächeln kann ich mir damit trotzdem nicht verkneifen. Stolz auf meinen Einfall steige ich aus der Dusche und trockne mich ab. Nachdem ich wieder meine Brille aufgesetzt habe, gehe ich, mit dem Handtuch um den Körper, in mein Schlafzimmer und suche mir etwas zum anziehen heraus. Ein Blick aus dem Fenster lässt mich zu einem einfachen schwarzen Pullover und einer ebenfalls schwarzen Hose greifen. Damit die Hose nicht rutscht, ziehe ich mir noch einen schwarzen Gürtel mit schlichter silberner Schnalle durch die Hosenschlaufen. Bevor ich die Wohnung verlasse schlüpfe ich in meine Docs. Im Hauseingang schnappe ich mir mein Fahrrad. Auf den Weg nach Culloden bin ich in Gedanken versunken. Nach vierundzwanzig Minuten stelle ich mein Rad vor dem kleinen Bauernhaus meines Großvaters ab. Das Dach ist noch mit Stroh bedeck. Die Fenster, an denen schon die weiße Farbe abblättert sind wahrscheinlich undicht und schützen in keinster Weise vor dem kalten Wind, der den Herbst ankündigt. Einbrecher hätten es bei diesem alten, einstöckigen Haus nicht schwer einzubrechen. Lang und laut lasse ich die Klingel läuten. Als ich merke, dass sich etwas im Haus rührt, lasse ich diese verstummen. Langsam geht die Tür auf. Mein Großvater späht durch einen schmalen Spalt. „Hallo Großvater Alistair. Wie geht es dir?", frage ich. Mit einem Kopfnicken weist er mich an rein zu kommen. „Wie es einem alten Mann schon geht. Besser als eh und je", antwortet er mir belustigt. Ich schließe die Eingangstür hinter mir. Meine noch feuchten Haare fallen lockig über meine Schulter. Ich beobachte, wie mein Großvater sich auf seinen Gehstock aus Holz stützt, während wir reden. „Wie geht es deinem Vater? Ich habe schon länger nichts mehr von meinem Schwiegersohn gehört", fragt er nach. Bevor ich antworte schlucke ich den Kloss hinunter, der sich bei dieser Frage in meinem Hals gebildet hatte. „Er ist verschwunden....", sage ich schließlich emotionslos. Überrasch dreht sich mein Großvater nach mir um. „Du hast schon richtig gehört. Vorgestern nachdem ich aus der Schule kam, war der Laden verwüstet, die Scheiben eingeschlagen und mein Vater verschwunden", kläre ich ihn auf. Verwirrt weiß dieser nicht was er sagen soll. Anstatt etwas zu sagen, lässt er sich auf einen Sessel sinken. Entsetzt streicht er sich über die Bartstoppel am Kinn. „Das waren bestimmt Engländer", murmelt er vor sich hin. Ich verdrehe die Augen. Nicht das schon wieder. „Opa. Kannst du deinen Hass gegen Engländer nicht endlich begraben. Nicht alle Engländer sind schlechte Menschen", sage ich. Entgeistert starrt er mich an. „Engländer haben damals in der Schlacht im Culloden Moor unsere Kultur genommen und unsere Vorfahren abgeschlachtet", verteidigt er sich empört. Genervt verdrehe ich die Augen und fasse mir an die Stirn, als wolle ich sicher gehen, dass es kein Fiebertraum ist. Da ich gerade keinen Nerv habe diese Diskussion erneut zu führen, gehe ich in die Küche um nach der Tablettenschachtel zu suchen. „Ich habe alle meine Tabletten genommen", sagt mein Großvater stolz. „Super",rufe ich aus der Küche. „Lass uns einen Spaziergang machen. Hast du deinen Gehstock?", frage ich. Er nickt einfach nur. Zittrig steht der Mann von seinem Sessel auf und hackt sich unter meinem Arm ein. Ich schließe die Eingangstür hinter uns ab und wir schlendern die Straße entlang. In dem Moment klingelt mein Telefon. Es ist Angus. „Hey!", begrüße ich ihn durch den Hörer. Nach einem kurzen Moment der Stille höre ich ihn sagen: „Hey. Ich wollte fragen, ob wir heute zusammen etwas unternehme möchten", sagt er. Ein Grinsen macht sich in meinem Gesicht breit. „Ich bin gerade noch mit meinen Großvater unterwegs, aber ich würde mich freuen, wenn du mich zur Polizeistation begleiten würdest", sage ich. „Warum musst du zur Polizei?", fragt er verwirrt. Ich habe es ihm nicht erzählt. „Erkläre ich dir später. Wie wäre es mit Fünfzeh Uhr?", frage ich. Angus stimmt mir zu. Nachdem wir uns verabschiedet haben, lege ich auf. „Wer war das?", fragt mein Opa neugierig. „Er heißt Angus...", bevor ich noch etwas sagen kann, unterbricht er mich und sagt: „Ist er Engländer?" Völlig perplex zucke ich mit den Schultern. „Jedenfalls kann ich nicht allzu lange spazieren gehen", sage ich.

A mysterious MidsummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt