9. Kapitel

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Die Einrichtung ist schlicht aber atemberaubend. Ein breites Himmelbett macht fast das ganze Zimmer aus. Unmengen an Kissen stapeln sich darauf. Angus schmeißt sich mit seinem vollen Körpergewicht darauf. Mein Weg führt mich zum Fenster. Der Ausblick ist atemberaubend. Die Altstadt liegt vor uns. Eilige Menschen wuseln auf den Straßen und versuchen durch den Stadtverkehr zu kommen. Der verregnete Himmle beginnt zu dämmern und wirft rot orangenes Licht auf die Straßen. „Wir sollten morgen meinen Bekannten besuchen", sagt Angus. „Das ist eine gute Idee", entgegne ich. Unentwegt sehe ich aus dem Fenster. Nach und nach flimmern die Straßenlaternen auf. Kaum zu glauben, dass ich nun in einer ganz anderen Stadt bin. Angus stellt sich neben mich, legt einen Arm um mich und zieht mich an sich. „Ich bin froh mit dir hier zu sein", flüstert er mir ins Ohr. Ich umarme ihn. „Ich bin unglaublich müde. Lass uns schlafen gehen", sage ich nach einer Weile. Wir ziehen uns um. Angus leiht mir eine seiner Boxershorts und ein großes, labbriges T-Shirt. Nachdem ich mich kurz im Bad gewaschen habe, krieche ich zu ihm unter die dicke Decke und schlage diese am Ende ein Stück um meine Beine. „Gute Nacht", murmle ich. „Gute Nacht", flüstert Angus.

Am nächsten Morgen werde ich durch die Sonnenstrahlen geweckt, die durch die Fensterfront auf mein Gesicht fällt. Ich setze mich auf und gähne. Angus kommt mit nassen Haaren und frisch angezogen Klamotten aus dem Bad. „Hast du gut geschlafen?", fragt er mich. Ich nicke und hüpfe vom Bett „Ist das Bad frei?", frage ich. „Jap. Du kannst rein", sagt er lächelnd. Ich laufe an ihm vorbei, nicht ohne ihn ebenfalls anzulächeln und schließe die Tür hinter mir ab. Nach einer kurzen Katzenwäsche komme ich wieder heraus. „Kann ich mir von dir ein Shirt leihen?", frage ich. „Du hast doch schon eines von mir an", sagt er. Ich verdrehe die Augen und sage: „Nicht zum schlafen. Ich möchte in einem frischen T-Shirt auf die Straße gehen." Grinsend wirft er mir ein dunkelgraues T-Shirt mit V-Ausschnitt und Knöpfen daran zu. Ich streife mein Schlafshirt über den Kopf und lasse es auf das Bett fallen. Als ich fertig umgezogen bin, bemerke ich, dass Angus mich die ganze Zeit beobachtet hat. „Was?", frage ich. „Nichts.", gibt er verlegen zurück und wendet schnell den Blick ab, doch an seinem peinlich berührten Gesichtsausdruck erkenne ich, dass ich ihn beim Starren ertappt habe. „Lass uns deinen Bekannten besuchen", sage ich. Angus nickt und lässt mir den Vortritt durch die Zimmertür. In der Hotellobby fängt uns sein Vater ab. „Guten Morgen ihr zwei. Besucht ihr Frank?", fragt er. „Guten Morgen. Das war der Plan", antwortet Angus. „Na dann wünsche ich euch viel Spaß und besichtigt auch die Stadt wo ihr schon da seid. Richtet Grüße an Frank aus", sagt Angus' Vater. Wir verabschieden uns und treten an die schwüle Luft. 

„Wollen wir zuerst die Stadt etwas erkunden oder willst du gleich zu der Bar?", fragt Angus mich. Ich überlege kurz. „Können wir zuerst zu diesem Frank gehen? Ich möchte endlich wissen, wo mein Vater ist", sage ich. Verständnisvoll nickt er und lotst uns durch die geschäftige Menschenmenge. „Edinburgh ist seit dem 15. Jahrhundert die Hauptstadt Schottlands. Und nach Glasgow die zweitgrößte Stadt hier. Das schottische Parlament hat in dieser Stadt seinen Sitz. Genau genommen seit 1999", erzählt mir Angus einige Fakten über die Stadt. Er erzählt mir noch vieles mehr, doch ich höre ihm nicht wirklich zu, da ich so aufgeregt bin. „Da vorne ist die Dragonfly Bar, in der Frank arbeitet", sagt er. Ich sehe auf. Es ist ein graues, unscheinbares Steinhaus umrahmt von Wohnhäusern. Hätte Angus mich nicht darauf aufmerksam gemacht, wäre mir die Bar wahrscheinlich nicht aufgefallen. Als wir sie Bar betreten, schlägt mir wohlige Hitze und lautes Stimmengewirr entgegen. Bei dem Anblick der Innenausstattung bleibt mir der Mund offen stehen. Mehrere große Kronleuchter erhellen das Innenleben in einem einladenden Licht und lassen die dunkle Theke noch dunkler erscheinen. Vor mehren Spiegeln sind unzählige Flaschen in viele Regale einsortiert. Dunkle Hocker säumen den Tresen. Ein etwas älterer Mann mit blonden Haaren steht hinter der Bar und mischt Getränke. Vier große Narben zieren sein Gesicht. Diese sind verstörend und verunstalten sein sonst schönes Gesicht. Er unterhält sich dabei mit einigen Gästen. Anscheinend hat einer einen Witz erzählt den der Barkeeper fängt lauthals anzulachen. „Das ist Frank", raunt Angus mir ins Ohr. Begeistert gehe ich zielstrebig auf den Mann zu. Als er mich sieht lächelt er mich freundlich an. 

„Ich glaube ich sehe nicht richtig", sagt der Mann und kommt hinter der Bar hervor. Lachend klatschen sich Angus und Frank ab. „Was machst du denn hier?", fragt er. „Ich freu mich auch dich zu sehen", lacht Angus und fügt hinzu: „Das ist meine Freundin Tori. Ihr Vater Kendrick ist verschwunden und wenn meine Erinnerungen mich nicht täuschen kennst du ihn noch aus Jugendzeiten." Frank schüttelt mir die Hand. „Freut mich sie kennenzulernen", sage ich. „Du kannst mich duzen", bietet mir Frank an. Ich schenke ihm ein Lächeln. „Kendrick ist also verschwunden, mmh?", fragt er. Ich nicke und sage: „Seit drei Wochen." Franks Gesichtsausdruck ist bedrückt. „Wie kann ich behilflich sein?", fragt er. „Ich würde dir gerne einige Fragen stellen. Vielleicht kann ich dann verstehen was passiert sein könnte", sage ich. Verständnisvoll nickt Frank. „Lass uns dort hinten an den Tisch setzen. Dort versuche ich dir deine Fragen zu beantworten", lädt er mich ein. „Sehr gerne", nehme ich sein Angebot an. Er führt mich durch den Laden an einen etwas abgelegenen Tisch. Angus folgt uns schweigend. „So...Was für Fragen hast du denn?", nimmt Frank das Gespräch wieder auf. „Woher kennst du meinen Vater?", frage ich. Ein Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit. „Wir sind beide Waisen und haben eine Bleibe gesucht. Und dann war da Eileen Steward. Ich weiß nicht mehr wie ich sie kennengelernt habe, aber sie hat mir ein Zuhause geboten. Dort habe ich Kendrick kennengelernt. Wir waren beide jung und haben uns von Anfang an verstanden...", Frank unterbricht sich und scheint in Erinnerungen zu schwelgen. Er kann gar nicht aufhören zu lächeln. „Ich war ein Jahr früher in der Gemeinschaft. Als dein Vater dazu kam, waren wir acht Teenager. Und dann kam deine Mutter... Sie war atemberaubend. Kendrick und mir hat sie von Beginn an den Kopf verdreht. Ihre schwarze Lockenmähne, ihr bezauberndes Lächeln. Tessa war einfach wunderschön. Allerdings war sie auch der Grund, warum unsere Freundschaft in die Brüche ging. Als ich merkte, dass dein Vater ähnliche Gefühle wie ich für sie hegte, habe ich versucht mit ihm zu reden. Vergeblich", Franks Miene verdüstert sich. Seine braunen Augen verlieren ihren Glanz und sehen betrübt auf die Tischplatte. „Er ist verrückt geworden und ist auf mich losgegangen. Ich wollte ihn besänftigen, aber er war nicht mehr aufzuhalten. In seinem Wutausbruch hat er mir diese Narben zugefügt.". sagt er und deutet auf sein Gesicht. 

Geschockt sitze ich nur da und kann nicht anders als ihn anzustarren. Verstört schlage ich eine Hand vor den Mund. Diese Seite meines Vater kenne ich nicht. „Das tut mir so unendlich leid...", wispere ich durch meine Finger hindurch. Frank ringt sich ein Lächeln ab. „Das muss dir nicht leid tun. Es ist nicht deine Schuld", beschwichtig er mich. Einen Moment kann ich nur auf die Narben starren, dann frage ich: „Was ist danach passiert?" „In seinem Wutausbruch hat er sich...", bevor Frank weiterreden kann wird die Tür der Bar aufgerissen und sechs Polizisten stürmen die Bar. Sie rufen etwas, was ich aber nicht verstehen kann. Alle Gäste sind verstummt und starren die Beamten an. Mit erhobenen Händen steht Frank langsam auf und sagt laut: „Wie kann ich ihnen helfen?" Einer der Polizisten kommt auf uns zu und sagt: „Wir vermuten einen Flüchtling aus dem Gefängnis in dieser Bar." „Dann bitte ich sie, die Bar gründlich zu durchsuchen, denn dies ist keine Herberge für Verbrecher, sondern ein Ort für pflichtbewusste Bürger", entgegnet Frank. Während die Beamten die ganze Bar durchsuchen, sehe ich ihn an und versuche aus seiner Mimik zu lesen, was er mir noch sagen wollte. Sein Gesicht ist jedoch versteinert. Als die Beamten den Täter festnehmen und gehen, kommt Frank auf uns zu. Angus sieht ihn durchdringend an. Warnend starrt Frank zurück. Es scheint als würden die beiden einen Stillen Kampf austragen. „Es tut mir leid, Tori. Mehr kann ich dir leider nicht sagen", sagt Frank schließlich. „Eine Frage habe ich noch. Was ist nach dem Streit passiert?", frage ich. Bedrückt sieht er zu Boden. „Kendrick ist mit Tessa nach Deutschland gegangen. Mehr kann ich dir wirklich nicht sagen. Ihr müsst jetzt gehen", wimmelt er uns ab. Eigentlich möchte ich ihm noch mehr Fragen stellen, aber Angus schiebt mich auf die Straße. „Warum hast du zugelassen, dass er uns fort schickt?", schreie ich schon fast. „Er hat doch gesagt, dass er uns nicht mehr sagen kann. Die Vergangenheit wühlt ihn immer noch auf", faucht Angus. Irgendwas verschweigst du, möchte ich ihm sagen. Ich merke, dass ich so nicht weiter komme, greife ich nach seiner Hand, verschränke unsere Finger und sage stattdessen: „Zeigst du mir die Stadt?" Seine Gesichtszüge entspannen sich und er erwidert: „Sehr gerne, junge Dame!"

A mysterious MidsummerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt